Rund 100 Patienten sollen das weltweit teuerste Medikament kostenlos erhalten. Wer die Einmaldosis im Wert von 1,9 Mio. Euro bekommt, will der Hersteller auf ungewöhnliche Art entscheiden.
Über das Medikament Zolgensma© wurde schon viel diskutiert. Zuerst natürlich über den Preis – derzeit etwa 2,1 Millionen Dollar. Dann schimpfte im November das Bundesgesundheitsministerium (BMG), Novartis müsse das Mittel kostenlos abgeben und jetzt gibt es erneut Ärger: Der Lösungsvorschlag des Unternehmens wird harsch kritisiert. Krankenkassen reden von einem „Glücksspiel“.
Zolgensma© (Wirkstoff Onasemnogen-Abeparvovec) ist eine Gentherapie zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA). Es wird als Einmalinjektion verabreicht. Im Juni 2019 wurde Onasemnogen-Abeparvovec von der FDA in den USA für Kinder bis zwei Jahre zugelassen. In der EU wurde der Arzneistoff zwar als Orphan Drug bei der EMA eingereicht, ist derzeit aber noch nicht zugelassen.
Deshalb hatten Ende November das BMG auf Anraten von Neuropädiatern und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) an den Pharmahersteller appelliert: Novartis solle das Mittel an Kinder unter zwei Jahre mit SMA befristet kostenlos im Rahmen des Compassionate Use abgeben. Compassionate Use bezeichnet den Einsatz von Arzneimitteln in besonderen Härtefällen, obwohl diese noch nicht genehmigt oder zugelassen sind.
Darauf reagierte Novartis: Gestern gab das Unternehmen bekannt, man wolle die Gentherapie im kommenden Jahr rund 100 Patienten kostenlos zur Verfügung stellen. Vom 3. Februar 2020 an soll eine unabhängige Kommission alle zwei Wochen losen. Bis Juni soll es 50 Dosen für Kinder unter zwei Jahren geben. Insgesamt im kommenden Jahr bis zu 100 Mal.
Das Programm solle in Ländern durchgeführt werden, in denen Onasemnogen-Abeparvovec bisher nicht zugelassen sei, wie derzeit auch in Deutschland. Im Rahmen des Programms sollten Ärzte infrage kommende Patienten bei Avexis, einer Tochter von Novartis, melden, erläutert eine Novartis-Sprecherin. Diese Ärzte würden dann die Kriterien für eine Vergabe prüfen.
„In Deutschland prüfen wir, inwiefern Patienten in dieses weltweite Programm eingeschlossen werden können. Dazu haben wir ersten Kontakt mit der zuständigen Behörde, dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) aufgenommen“, teilt Novartis mit.
Die Krankenkassen kritisieren dieses Vorgehen. Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen, teilt mit: „Im Laufe des nächsten Jahres 100 Dosen Zolgensma© rund um die Welt zu verteilen, macht für die kranken Kinder die Behandlung zu einem Glücksspiel."
Obwohl das BMG auf eine Lösung gedrängt hatte, will es sich zu dem aktuellen Vorgang nicht äußern. Es sei bisher über die Details nicht informiert, sagt Sprecher Hanno Kautz.
Auch in anderen Ländern wird das Vorgehen kritisch beäugt. Die britische Patientenorganisation Treat-SMA äußerte sich zwar positiv zu der Initiative von Novartis, hat jedoch auch Bedenken. „Angesichts der Tatsache, dass an vielen Orten kein Zugang zu einer SMA-Behandlung besteht, müssen wir noch davon überzeugt werden, dass eine Gesundheitslotterie eine angemessene Möglichkeit darstellt, um den ungedeckten medizinischen Bedarf bei dieser schweren Krankheit zu decken“, erklärte Treat-SMA.
Bleibt die Frage: Was will Novartis mit dieser Aktion erreichen? Die Aufmerksamkeit aller ist ihnen auf jeden Fall sicher – jedes Medium berichtet über die Aktion. Ist es also einfach eine geschickte Marketing-Aktion? Denn mit der Vergabe von 100 Einmaldosen weltweit ist es nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Häufigkeit der Erkrankung liegt bei 1 zu 10.000 Lebendgeburten pro Jahr.
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