Jeder Herzpatient sollte zwei Herzen haben, findet Volkmar Falk vom Deutschen Herzzentrum in Berlin. Was er genau damit meint, erklärt er im Interview mit Stefan Waller.
Das Video in schriftlicher Form:
Dr. Stefan Waller: Wo sehen Sie die größten Chancen der Digitalisierung – gerade auch in der Kardiologie?
Prof. Volkmar Falk: Ich glaube, man muss das Ganze im Kontext von „value-based care“ sehen. Im Moment leben wir ja noch in der Abrechnungsmedizin, das heißt, wir werden für bestimmte erbrachte Interventionen bezahlt. Ich glaube, dass dieses System endlich ist. Wir müssen ein System entwickeln, in dem Qualität und auch Qualitätstransparenz bezahlt wird.
Die Digitalisierung wird uns dabei helfen. Und sie wird auch den Patienten helfen, diese Zentren zu finden. Wenn ein Patient sich für ein solches Zentrum entscheidet, wird es dort ein digitales Office geben, wo der Patient unmittelbar mit dem Spezialisten ins Gespräch kommen kann. Dort werden zu allen erfassten Daten parallel digitale Zwillinge entstehen, die auch mit dem Patienten altern. Das heißt, jede Bilddateninformation, die dazukommt – beispielsweise aus Echographie, CT oder auch MRT – wird das parallel entstehende Herzmodell des Patienten verändern.
Der Patient wird uns also Daten liefern und wir werden diese Daten natürlich auch im Sinne der Versorgungsforschung, der personalisierten Medizin und der Outcome-Datenforschung nutzen. Wir werden also aus diesen vielen Daten mithilfe von künstlicher Intelligenz und Algorithmen Therapievorschläge im Sinne von entscheidungsunterstützenden Systemen erarbeiten.
Wir haben bereits gute Beispiele dafür, dass das funktionieren kann. Wenn der Patient dann einmal die Klinik betritt, ist entweder schon ein Modell da - oder es entsteht mit Bilddaten, die wir abrufen. Parallel wird dann für den Patienten schon die optimale Therapie vorbereitet. Wenn eine operative Therapie indiziert ist, kann man auch überlegen, ob man sie im Rahmen einer Simulation vorab durchspielt. Wir werden auch wissen, ob dieses oder jenes Implantat für den Patienten besser wäre, weil wir es vorab schon virtuell implantieren können. Wir werden also eine prädiktive Modellierung haben, das heißt, wir werden beispielsweise vorhersehen können, wie sich einzelne Implantate im Herz verhalten werden.
Der Patient wird auch damit einverstanden sein, ein Datenspender zu sein: Denn wer von der personalisierten Medizin profitieren will, muss auch bereit sein, eigene Daten zu Verfügung zu stellen. Natürlich müssen die Daten unter der Wahrung von Vorschriften und Datensicherheit gespeichert werden. So kann künftigen Patienten eine bessere Therapieentscheidung ermöglicht werden.
Das Zentrum wird natürlich auch eine telemedizinische Unit haben. An der Charité haben wir dafür schon ein gutes Beispiel – wir haben das erstmalig auf die Straße gebracht, etwa im Bereich Herzinsuffizienz. Wir haben gezeigt, dass man mit Telemedizin einen prognostischen Benefit erzeugen kann – wenn es gut gemacht ist. Wenn wir von diesen Zentren sprechen, können wir natürlich nicht überall die gleiche Versorgung etablieren, aber wir können die Telemedizin verwenden, sodass auch entlegene Gebiete profitieren können.
Endlich zeigen ja auch Studien, dass die Telemedizin Menschenleben rettet und die Versorgung verbessert. Aber man hat auch gesehen, dass es sehr aufwändig ist und es nur dann was bringt, wenn am Ende der Kette der Mensch steht, der entsprechend reagiert.
Ich glaube nicht, dass Algorithmen selber Entscheidungen treffen werden, aber wir werden Entscheidungshilfen bekommen. Ich denke, dass wir auch viel mehr mit second-opinion-Programmen arbeiten werden. Dafür muss der Datenfluss natürlich funktionieren. Aber die Digitalisierung der Medizin, die wir gerade erleben, ist nur der Anfang. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch im Bereich der kardiovaskulären Medizin extrem profitieren werden – sei es im Bereich Medikation oder im Bereich Interventionen. Wir werden viel sicherer Entscheidungen treffen können, als nur auf Basis randomisierter Studien und von Versorgungsforschungdatenbanken.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich am meisten für die Zukunft?
Ich würde mir vorstellen, dass wir nicht mehr nur über Krankenhäuser reden, sondern über „Gesundhäuser“ – also, dass sich das Verhältnis zu Krankenhäusern ändert. Auch die Architektur von Krankenhäusern muss anders werden. Wenn man im Moment in ein Krankenhaus kommt, kann es ja sogar krank machen. Und das betrifft sowohl die Patienten als auch die Mitarbeiter – die auch darunter leiden, in dieser doch lebensfeindlichen Atmosphäre zu arbeiten. Wir müssen die Einstellung zu Gesundheit und Krankheit und unser Selbstverständnis verändern. Wir sollten versuchen, mit allen Mitteln – einschließlich der Architektur, der Digitalisierung, unseren Skills und unserer Subspezialisierung – dazu beizutragen, dass diese Aufenthalte für den Patienten so einfach, schonend und bequem wie möglich werden.
Mir persönlich fällt in Deutschland auch immer wieder die schlechte intersektorale Verknüpfung auf. Wir haben immer noch Barrieren zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, die unsere tägliche Arbeit erschweren und auch für Patienten unnötige Hürden darstellen. Da muss etwas passieren.
Gerade da kann ja die Digitalisierung helfen?
Richtig, die könnte helfen, wenn man sich auf Standards einigen würde. Wir brauchen eine viel bessere intersektorale Verknüpfung. Wir werden auch neue Berufe erleben, die wir noch nicht kennen – gerade im Health Sector.
Die Krankenhäuser der Zukunft werden auch viel mehr Budget für IT ausgeben müssen. Aktuell sind das je nach Krankenhaus nur 1–2 % des Budgets – künftig müssen aber moderne Krankenhäuser sicher 5 % des Budgets für die IT verwenden. Das Geld muss aber irgendwie auch in das System hineinkommen und das ist noch unklar, wie das gehen kann.
Ich denke, wir brauchen die personalisierte Medizin – das ist sehr wichtig. Wir müssen wegkommen von reinen Leitlinientherapien, und hin zu datenbasierter und personalisierter Medizin. Das bedeutet, dass jeder Patient auch ein Datenspender wird. Diese Daten können wir dann nutzen, ähnlich wie wir das schon im privaten Bereich selbstverständlich tun. Diesen Umgang müssen wir also für medizinische Daten noch lernen und uns entsprechend verhalten.
Herzlichen Dank, Herr Professor Falk!
Bildquelle: Mae Mu, Unsplash