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Für das Sommersemester 2020 können sich Medizinstudenten erstmals nach den neuen Zulassungsregelungen bewerben. Doch die Reform hat das Verfahren keineswegs gerechter gemacht.
Ende 2017 ging ein Raunen durch das Land: Das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium, das stets ein Stammtischthema ist („Findest du, 1,0er sind die besseren Ärzte?“), war vom Bundesverfassungsgericht für „in Teilen verfassungswidrig“ erklärt worden. Die Hoffnung war groß, dass der verhasste NC bald schon Geschichte sein würde und endlich jeder, unabhängig von seiner Abiturnote, eine echte Chance auf einen Medizinstudienplatz haben würde.
Zwei Jahre und eine Vielzahl von Verhandlungen zwischen den Regierungen der Bundesländer später, trat die Reform mit dem Start der Bewerbungsphase für das Sommersemester 2020 am 1. Dezember 2019 in Kraft. Doch ist das Verfahren nach der Reform wirklich gerechter? Gelang den Kultusministern der große Wurf?
Auf den ersten Blick hat sich gar nicht so viel verändert: Die sogenannte Quotenregelung, die in Deutschland schon seit Jahrzehnten Tradition ist, bleibt erhalten. Früher teilten sich die Plätze für Bewerber in eine Quote von 20 Prozent auf, die nur über die Abiturnote vergeben wurden (Abiturbestenquote) und eine Quote von 60 Prozent, die über ein je nach Universität unterschiedliches Auswahlverfahren der Hochschule (ADH-Quote) vergeben wurden. Hinzu kamen 20 Prozent Plätze, die nach Länge der Wartezeit der Bewerber verteilt wurden (Wartezeitquote). Die Auswahlverfahren der Hochschulen reichten von individuellen Auswahltests in Form von Assessment-Centern, studienspezifischen Eignungstests wie dem Hamburger Naturwissenschaftstest (HamNat) oder dem Test für Medizinstudiengänge (TMS) bis hin zur Anerkennung medizinischer Berufsausbildungen. In jedem Fall spielte aber auch hier die Abiturnote eine große Rolle. An einigen Hochschulen war sie sogar das einzige Auswahlkriterium.
Diese hohe Gewichtung der Abiturnote im ADH sowie die immens lange Wartezeit in der Wartezeitquote (zuletzt über sieben Jahre) und die schlechte Vergleichbarkeit von Abiturnoten über Bundesländergrenzen hinweg, hatte das Bundesverfassungsgericht 2017 kritisiert. Die Abiturnote als Auswahlkriterium an sich hatten die Richter hingegen gar nicht in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil: Sie hoben sogar hervor, dass anhand der verfügbaren Studiendaten die Abiturnote die zuverlässigste Vorhersagekraft für den späteren Erfolg eines Bewerbers im Studium zulässt.
Somit waren die Hoffnungen, die Abiturnote würde nach der Reform nur noch eine untergeordnete Rolle im Auswahlverfahren spielen, von Anfang an übertrieben. Das Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen um einen neuen Staatsvertrag enttäuschte aber dann selbst die realistischeren Beobachter: Der Umfang der Abiturbestenquote wird im neuen Verfahren von 20 auf 30 Prozent erhöht. Somit werden in dieser Quote in Zukunft noch mehr Bewerber nur über ihre Abiturnote ausgewählt. Im Auswahlverfahren der Hochschulen müssen zur Abiturnote zwar nun zwei weitere Schulnotenunabhängige Kriterien, wie Studieneignungstest oder medizinische Berufsausbildung hinzukommen. Doch auch hier spielt der NC weiterhin eine große Rolle, eine medizinische Ausbildung bringt hingegen an den meisten Hochschulen nur wenige Punkte. Und die zusätzliche Eignungsquote, die die frühere Wartezeitenquote ersetzt und in der die Bewerber nur nach schulnotenunabhängigen Kriterien ausgewählt werden, macht nur rund 10 Prozent der Plätze aus.
Die Entscheidungen der Kultusminister waren von Pragmatismus geprägt: Wie können wir genau die Bewerber gezielt auswählen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das umfangreiche Medizinstudium schnell und erfolgreich abschließen können? Für die Abiturnote und die Studieneignungstests HamNat und TMS liegen dafür die besten Studiendaten vor. Bei geschätzten Kosten von 200.000 Euro für den Steuerzahler pro Studienplatz ist es nachvollziehbar, diese Auswahlkriterien zu bevorzugen. Fairer macht es die Auswahl unsere künftigen Ärzte dabei noch lange nicht. Denn Abiturnote und Testergebnis sagen wenig über die individuelle Persönlichkeit der Bewerber aus, ihren Umgang mit Menschen und ihrer Fähigkeit zu Empathie. Und erst recht nicht macht dieses Verfahren den Zugang zum Medizinstudium für diejenigen gerechter, die in der Schulzeit vielleicht einfach schlechte Lehrer hatten oder sich jahrelang in der Pflege abgeschuftet haben, immer in der Hoffnung, eines Tages ihren Traum vom Medizinstudium erfüllt zu bekommen.
Bildquelle: Gregory Haves, unsplash