BEST OF BLOGS | Keiner der Ärzte will es ihr sagen. Die Patientin muss bald erfahren, dass keine Aussicht auf Heilung besteht. Was jetzt fehl am Platz ist: Mitleid und Trost.
Ich durfte wieder Haken halten. Meine dritte Woche als PJ-Student in der Chirurgie. Auf dem OP-Tisch lag eine 25-jährige Patientin. Karzinom. Metastasen überall. Die Bauch-OP sollte Klarheit verschaffen, wie ihr zu helfen war. So hatte man es ihr am Vortag erklärt. Die Chirurgen warfen einen kurzen Blick in ihren Bauchraum und machten gleich wieder zu. Ihr war nicht mehr zu helfen.
Die Chirurgen waren betroffen und überdeckten es mit reichlich Sarkasmus. Der OP-Plan war voll und wir kamen erst am späten Nachmittag wieder auf Station. Naja, man hätte vorher schon ein Zeitfenster finden können, um zu ihr zu gehen, alle scheuten sich aber vor dem Gespräch. Wer würde ihr mitteilen, dass keine Aussichten mehr auf Heilung bestanden?
Kurz vor Feierabend raffte sich mein Oberarzt auf. Er ging in das Zweibettzimmer und teilte ihr knapp und sachlich die Ergebnisse der OP mit. Er beschränkte sich auf die Fakten, wollte es offensichtlich rasch hinter sich bringen. Es war für ihn ein großer Stress. Dagegen waren die üblichen Wutausbrüche des Chefarztes ein Spaziergang.
Wie reagierte die Patientin? Sie hörte ihm zu, blieb äußerlich gefasst.Nicht so ihre Bettnachbarin, die alles mit anhören musste. Sie brach sofort weinend zusammen. Es ging ihr so schlecht, dass der Chirurg sie mit in ein anderes Zimmer nahm und gefühlte 30 Minuten auf sie einging.
Die Karzinom-Patientin blieb allein mit ihren Gedanken und ihrem Schicksal.
In so einer Situation herrscht häufig Verunsicherung darüber, was die richtigen Worte gewesen gewesen wären, um das Gegenüber zu unterstützen. Brauchte die Patientin kurz und knapp die Fakten? Wäre es ihr besser gegangen, wenn der Arzt Mitgefühl oder sogar Mitleid gezeigt hätte? Hätte er ihr Trost spenden müssen? Ärzte sehen sich mit folgender Frage konfrontiert: Wie können wir schlechte Nachrichten so überbringen, dass der Patient sie verarbeiten kann und sich unterstützt fühlt, während wir uns gleichzeitig vor zu viel emotionaler Beteiligung schützen?
Für viele ist „Breaking bad News“ eine extreme Belastungssituation, wie eine Studie zeigt. Die Ärztekammer Berlin bot dazu eigene Kurse an, um die Belastung zu senken und die Gesprächsführung zu üben. Ob man sich emotional schützen sollte, wollte eine Studentin in einem großen Mediziner-Forum von Kollegen wissen. Sie befürchtete, dass sie „zu empathisch sei“, ihr diese Schicksale zu nahe gehen würden. Sie wollte im Forum wissen, wie andere Ärzte damit umgehen. Viele gaben ihr Tipps und berichteten von eigenen Erfahrungen, wie:
Natürlich müssen wir uns davor schützen, dass die Schicksale der Patienten uns zu sehr mitnehmen. Aber wir wollen auch dem Patienten helfen, mit der schlechten Nachricht umzugehen.
So versuchen wir es mit den verschiedenen Methoden, dem Patienten den Schmerz zu erleichtern. Wenn wir schon eine schlechte Nachricht überbringen müssen, dann wollen wir doch wenigstens auch versuchen, dabei etwas Gutes zu tun.
Die wertschätzende Kommunikation nach Rosenberg betont den Unterschied zwischen Mitleid (engl. „Sympathy“) und Mitgefühl (engl. „Empathy“, oder „emphatisches Zuhören“. Dahinter steckt die Frage, wie wir damit umgehen, wenn jemand traurig ist, weil er mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen hat. Mitleid und Mitgefühl unterscheiden sich dadurch, wie wir zuhören und wie wir mit den Gefühlen unseres Gegenübers umgehen:
Bei Mitleid oder Trösten steht unser Versuch im Vordergrund, gegen die Traurigkeit des Gegenübers etwas zu tun. Wir übernehmen die Verantwortung für die Gefühle des anderen. Wir versetzen uns in sie hinein und wollen die Gefühle wegbekommen. Das tun wir mit der besten Absicht. Aber dem Betroffenen hilft es nicht und wir belasten uns emotional damit, was uns z.B. zum Weinen bringt. Mitleid äußert sich zum Beispiel durch:
Alles gut gemeint, aber nicht hilfreich (wie Nina weiter unten schildert) und für uns emotional belastend. Es hilft auch nicht, wenn wir tröstend unser Gegenüber berühren, z.B. die Hand auflegen oder in den Arm nehmen.
Das Leid der Person wird nicht kleiner, wenn wir mitleiden, statt Mitgefühl zu zeigen. Beim Mitgefühl achten wir darauf, wie der andere sich fühlt und was er braucht. Wir treten dabei in den Hintergrund. Es geht um empathisches Zuhören, mit der emotionalen Distanz, die wir dringend brauchen. Wir formulieren die Gefühle und Bedürfnisse, die wir bei unserem Gegenüber vermuten.
Das kann kurzfristig diese Gefühle verstärken, es schafft eine Verbindung, für die die Betroffenen hinterher dankbar sind, denn sie fühlen sich in ihrem Schmerz verstanden statt getröstet. Jemand will bei ihnen sein, nicht ihre Gefühle „wegmachen“. Wir dürfen dabei keine Floskeln verwenden, die man wie eine neue Sprache auswendig lernen kann. Es geht um die Haltung, die dahinter steckt und mit der wir Patienten begegnen.
In ihrem Buch „42 Schlüsselunterscheidungen“ erläutern Katarine Hoffmann und Liv Larsson den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl:
„Hören wir empathisch zu, horchen wir darauf, was der andere fühlt und braucht und fühlen uns in das ein, was in ihm vorgeht. Empathie kann wortlos sein, aber sie kann auch verbal spiegeln, was wir den anderen sagen hören. Etwa durch Fragen aus unserer Perspektive, wenn wir meinen, den Faden verloren zu haben. Oder durch Vermutungen, von denen wir glauben, sie könnten dem anderen dabei helfen, die Verbindung zu seinem Inneren herzustellen oder zu vertiefen.“ Ein Beispiel für eine solche Gesprächssituation und die Haltung des Arztes finden Sie bei Dockcheck-TV. Es basiert auf dem Konzept SPIKES.
Was Mitleid statt Mitgefühl bei unserem Gegenüber auslösen kann, beschreibt die Rollstuhlfahrerin Nina im (inzwischen entfernten) Kommentar eines Blogartikels. Sie schildert, wie es ihr geht, wenn sie von anderen Menschen Mitleid erfährt:
Es ist für mich überhaupt nicht hilfreich, weil ich dann immer suggeriert bekomme, dass ich nicht glücklich sein darf (ich sitze im Rollstuhl und sehe etwas zerbrechlich aus).
In den letzten Jahren ist es besser geworden, aber es gibt immer noch Menschen, für die ist es der Weltuntergang, einen Rollstuhl zu brauchen. Wenn jemand Mitleid hat, dann fühle ich mich weniger Wert und ich kann mich (wenn es mir mal nicht so gut geht) nicht getröstet fühlen.
Ich reagiere dann entweder so, dass ich den anderen tröste oder fast immer eher so, dass ich irgendwas sage oder mache, was man nicht erwartet. Ich versuche die Menschen, die Mitleid haben, absichtlich zu ärgern (indem ich was Gemeines sage oder so) damit sie sauer sind und kein Mitleid mehr haben. [...]
Die Leute glauben ja, dass es gut ist, wenn sie Mitleid mit mir haben. Sie sind dann empört, wenn ich vom Wesen her nicht das arme Hascherl bin, dass sie erwartet haben. [...]
Aber was kann ich für die Vorannahmen und Erwartungen der anderen?“
Nach jedem schwierigen Gespräch lohnt es sich, zu reflektieren, wie eine mitfühlende Haltung und Gesprächsführung gelungen ist. Konntet ihr euch in die Situation des Patienten hineinversetzen und auf seine Gefühle eingehen, ohne zu versuchen, sie zu verändern? Wie hättet ihr es gemacht? Schreibt es in die Kommentare.
Bildquelle: MatteoSunbreeze, pixabay