„Sollen wir bei Ihrem Vater noch alles machen?“ Gemeint ist der Einsatz von invasiver, maximaltherapeutischer Intensivmedizin. Meine Meinung ist: Der Fehler liegt in der Frage.
Angeregt von diesem Tweet hat sich auf Twitter eine recht differenzierte Diskussion entspannt:(Wenn der Tweet nicht sichtbar ist, einmal das Browserfenster aktualisieren.)
Es ging um Ärzte, die Angehörige von Patienten mehr oder weniger direkt mit der Frage konfrontieren, ob man denn noch alles bei dem Patienten machen solle. Gemeint ist damit die Frage nach dem Einsatz von invasiver, maximaltherapeutischer Intensivmedizin.
„Möchten Sie, dass wir ihren Vater auch beatmen? Wir würden dann so einen Schlauch in die Lunge legen. Wenn wir das nicht machen wird er irgendwann ersticken.“
So oder ähnlich gruselige Aussagen habe ich selbst schon miterleben müssen.
Auf Twitter wurde eifrig diskutiert, ob der Wortwahl („Eier in der Hose haben“) und des gesetzten Zieles. Es wurde von einigen kritisiert, dass es moralisch nicht vertretbar sei, einem anderen Menschen das Recht auf Leben abzusprechen.Vor allem glaube ich, wurde hier einiges vermischt.
Die von mir sehr geschätzte @ZoiNetou hatte dazu ein paar sehr gute Gedanken:
Ob Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, Ärztinnen und Ärzte oder Rettungsdienstfachpersonal – ich glaube, dass wir uns in der Grundsache sehr einig sind. Es unterscheidet sich vielleicht die Wortwahl, die gewählten Ausdrücke und Formulierungen. Die Standpunkte und Fragen, die sich bei Twitter in der teils hitzigen Diskussion ergaben, sind selbst das Ergebnis eines oder mehrerer Kommunikationsfehler.
Während wir über ein Missverständnis miteinander reden (twittern), entstehen fortwährend neue Missverständnisse. Weil wir einen anderen Informationshintergrund haben, weil wir eine andere Ausbildung haben, weil wir ein Homonym nicht als solches erkennen – und aus 1.000 anderen Gründen.
Die Ausgangssituation ist für Ärzte und Pflegekräfte so alltäglich und banal wie nur irgend möglich. Einem Menschen geht es gesundheitlich schlecht, der Patient soll auf die Intensivstation aufgenommen werden.
Die für uns als Fachleute banale Ausgangssituation stellt aber die Angehörigen vor existenzielle Fragen: Es ist der worst-case, auf den sie sich in der Regel eben doch nicht vorbereitet haben. Tausend Fragen schwirren im Kopf herum und dann will der Arzt auch noch wissen ob jetzt alles gemacht werden soll oder nicht. Und natürlich (!) soll alles gemacht werden, warum denn auch nicht?
Das Dilemma der Entscheidung für die Angehörigen ist unlösbar:
Entscheiden Sie sich gegen eine Ausweitung der Intensivtherapie, dann kann es passieren, dass sich die Angehörigen zukünftig mit dem Gedanken quälen, den Patienten indirekt getötet zu haben. Er hätte leben können, wir haben das durch unsere Entscheidung verhindert. Wir haben Opa umgebracht.
Entscheiden Sie sich für eine Ausweitung der Intensivtherapie, dann kann es passieren, dass sich die Angehörigen zukünftig mit dem Gedanken quälen, den Patienten unnötigem Leid ausgesetzt zu haben.
Die ganzen Schläuche, diese Qualen, diese Schmerzen. Wir haben den Opa gefoltert.
Wichtig ist hierbei: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob die getroffene Entscheidung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht oder nicht. Gibt es einen eindeutig formulierten Patientenwillen und kann dieser befolgt werden, so wird sich die Frage nach dem ob nicht ergeben.
In dem Moment, in dem wir die Angehörigen fragen, was wir machen sollen, drängen wir sie in ein moralisches Dilemma, aus dem es kein Entkommen gibt.
Wir dürfen Angehörige niemals fragen, was wir tun sollen. Wenn wir das Gespräch mit den Angehörigen suchen, dann mit dem Wissen, dass ein Gesundheitszustand eingetreten ist, dessen kurative Therapie eine invasive Form der Maximaltherapie notwendig macht, die möglicherweise nicht im Sinne des Patienten ist.
Wir dürfen die Angehörigen danach fragen, ob sie etwas über die Wünsche, Werte und moralischen Vorstellungen des Patienten wissen. Wir müssen den Angehörigen vor allen Dingen klar machen, dass nicht sie es sind, die eine Entscheidung für oder gegen das Leben treffen.
Ich sage das den Angehörigen genau so.
„Egal was Sie mir sagen, egal was Sie mir hier in unserem Gespräch berichten.Die Entscheidung für oder gegen eine Ausweitung oder Fortsetzung der Intensivtherapie ist eine ärztliche.
Auch das sage ich so oder ähnlich den Angehörigen:
„Es geht bei unserem Gespräch nicht darum, was Sie möchten, es geht nicht darum, was ich möchte. Es geht um den mutmaßlichen oder erklärten Willen des Patienten und es ist unsere Pflicht, den umzusetzen.“
Auf gar keinen Fall darf der Eindruck entstehen, dass wir unsere eigenen Werte und Vorstellungen vom Leben und vom Lebensende dem Patienten oder den Angehörigen aufoktroyieren.
Was fragt man denn dann, wenn man nicht fragen soll, ob alles gemacht werden soll?
Nun, die Frage kann vor allem lauten, was soll das Ziel sein?Entspricht es dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten, dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen sollen, sein Leben zu retten?
Oder entspricht es eher seinem erklärten oder mutmaßlichen Willen, dass wir ihn bis zuletzt mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln (!) begleiten, um Luftnot, Angst und Schmerzen zu nehmen?
In einigen Fällen ist es sogar möglich, beides zu versuchen. Nehmen wir einen hochbetagten, multimorbiden Patienten mit respiratorischer Insuffizienz bei Pneumonie. Klingt konstruiert, ist aber der Klassiker auf deutschen Intensivstationen. Eine Pneumonie ist keine per se Tod bringende Erkrankung, kein bösartiges Grundleiden wie beispielsweise Lungenkrebs.
Es wäre möglich, dass sich der Patient hiervon erholt, die Chancen stehen möglicherweise gut, dass er nach Genesung wieder in sein Umfeld zurück kehrt. Es besteht aber auch die Chance, dass die Luftnot so stark und die Oxygenierung so schlecht werden, das eine Intubation und künstliche Beatmung notwendig wird.
Wir behandeln die Pneumonie mit einem Antiinfektivum und lindern die Luftnot unter anderem mit einer nicht-invasiven Beatmung (ASB ist eine tolle Sache) und akzeptieren, wenn sich der Zustand hierunter verschlechtert. Der Patient erhält großzügig Medikamente gegen die Luftnot und die Angst (Morphin) und bleibt auf der Intensivstation.
Wir haben bei uns auf der Intensivstation definiert, dass es keinen Therapieabbruch gibt. Wir ändern Therapieziele. Zum Beispiel ganz einfach von Lebenserhalt auf Erhalt von Lebensqualität.
Angehörige, die sagen, sie wollten, dass alles gemacht werde, haben eigentlich nur Angst, dass wir ihren Vater oder ihre Mutter in einen Nebenraum abschieben und auf den Tod warten.
Sie wollen, dass sich gekümmert wird und sagen das in einer Sprache und mit Worten, die nicht den unseren entsprechen.
Es ist unsere Verpflichtung, auf die Sorgen und Nöte der Angehörigen einzugehen und ihnen die von uns getroffenen Entscheidungen zu erklären und sie auf dem weiteren Weg zu begleiten.
Man kann übrigens auch ganz wunderbar einen fortgeschritten onkologisch erkrankten, präterminalen Patienten auf die Intensivstation aufnehmen – auch und gerade, wenn nichts mehr gemacht werden soll.
So noch nicht geschehen, legen wir einen Zugang, starten einen Morphinperfusor und geben bei Bedarf Lorazepam buccal. Wir beantworten Fragen der Angehörigen und erklären den Sterbeprozess. Das ist eine palliative Akuttherapie und wenn sich der Zustand stabilisiert, kann der Patient auch noch auf die Normalstation verlegt werden, wo es in der Regel etwas ruhiger ist als bei unseren dauerbimmelnden Monitoralarmen.
Wir sollten die Situation für die Angehörigen also nicht unnötig komplizierter machen als es ohnehin schon ist. Statt der Frage, ob noch alles gemacht werden soll, sollten stattdessen die möglichen Ziele in den Fokus gerückt werden.
Abschließend geht an dieser Stelle ein ausdrücklicher, herzlicher Dank an alle Leserinnen und Leser. Ich freue mich insbesondere drüben bei Twitter (wo ich als @narkosedoc unterwegs bin) über den oft wertschätzenden Austausch unter Kolleginnen und Kollegen.
Ich freue mich auf spannende Diskussionen, Kommentare und auch Korrekturen im neuen Jahr.
Bildquelle: Andrew Ly / Unsplash