Sie verlangen oft gleich mehrere Nasensprays auf einmal, gerne mit dem Zusatz „die günstigsten, die Sie haben“. Es geht um Kunden, die abhängig von Nasenspray sind. Ich finde: Das Personal sollte hier nicht nachgeben.
Die Nasenspray-Sucht ist ein Phänomen, das jedem Apothekenmitarbeiter bekannt ist. Manche Kunden verlangen auch gleich die 100-ml-Großpackung Olynth®-Nasentropfen. Beim Hinweis, das Nasenspray nur bis zu dreimal täglich und nicht länger als eine Woche am Stück anzuwenden, wird nur müde abgewunken. „Sparen Sie sich die Worte. Ich kenne das Zeug seit Jahren – aber ich komme einfach nicht los davon“, ist da noch eine der freundlichsten Aussagen.
Manchmal hört man auch Dinge wie „Ach, hören Sie doch auf mit den Belehrungen. Wegen Leuten wie Ihnen bin ich doch erst abhängig geworden“. Stimmt das? Sind die Apothekenmitarbeiter zum Dealer geworden, der einfach nur die Droge unter die Leute bringt? Ich würde hier gerne eine ordentliche Portion Zweifel anbringen. Doch wie kann man den Aufhörwilligen helfen, sich von ihrer Sucht zu befreien?
Laut einer Recherche des WDR für seinen Beitrag „Wenn Nasensprays abhängig machen“ leiden etwa 100.000 Menschen in Deutschland unter einer Abhängigkeit von abschwellenden Nasensprays mit dem Wirkstoff Xylometazolin. Auch die Wirkstoffe Oxymetazolin und Phenylephrin haben eine ähnliche Wirkung und ebenfalls ein Abhängigkeitspotential, doch werden sie nicht so häufig verwendet. Die meisten Patienten geraten in die Dauergebrauchsschleife, wenn sie die angegebene maximale Anwendungsdauer von einer Woche des täglichen Gebrauches überschreiten, oder das Spray zu häufig verwenden.
Xylometazolin ist ein α-Sympathomimetikum und gehört zur Gruppe der Imidazol-Derivate. Es bindet an die gleichen Rezeptoren wie Adrenalin und wirkt als Vasokonstriktor. Die Blutgefäße in der Schleimhaut werden verengt, und der Patient bekommt für etwa vier bis sechs Stunden wieder Luft. Dauerhaft angewendet und in zu hohen Dosen kann der Gebrauch des abschwellenden Wirkstoffes durch den sogenannten „Rebound-Effekt“ eine Rhinitis medicamentosa auslösen, die durch eine chronische Schwellung der Nasenschleimhäute gekennzeichnet ist. Der genaue Mechanismus dazu ist allerdings noch unklar.
Dieses Phänomen wird auch „Privinismus“ genannt – der Name leitet sich vom Präparat „Privin“ ab, das mit dem Wirkstoff Naphazolin genau diesen Effekt hervorgerufen hat. Dadurch leidet nicht nur der Geruchs- und der Geschmackssinn, auch die Selbstreinigung der Nase funktioniert nicht mehr richtig. Die Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten steigt an und die Schleimhäute trocknen aus. Durch die ständige Vasokonstriktion wird die Nase samt Nasenknorpel nicht mehr gut durchblutet.
Das kann in manchen Fällen zu einer chronischen Entzündung der Nasennebenhöhlen führen, seltener sogar zu Löchern in der Nasenscheidewand. Auch die sogenannte „Sattelnase“ kann eine Folge übermäßigen Gebrauchs von abschwellenden Nasensprays sein. Das sind allerdings die besonders schweren Fälle, zumeist entwickelt sich eine Rhinitis sicca (trockene Rhinitis), und seltener eine Rhinitis atrophicans (auch Ozaena oder „Stinknase“ genannt). Im letzteren Fall ist eine Selbstmedikation nicht mehr möglich und es muss ein Arzt zur Behandlung aufgesucht werden.
Um von den abschwellenden Nasensprays loszukommen gibt es Möglichkeiten, die der Patient kennen sollte. Es handelt sich ja nun nicht im klassischen Sinne um eine Sucht, denn es fehlt sowohl das Gefühl der Hochstimmung bei Gebrauch der „Droge“, als auch eine gefährliche körperliche Entzugssymptomatik. Trotzdem steht der Abhängige unter einem starken Druck und lebt in der ständigen Angst, dass ihm das Nasenspray ausgehen könnte. Nicht selten haben die Patienten daher mehrere Sprühflaschen im Einsatz, um nicht „trockenzulaufen“. Zum Abdosieren eines Dauergebrauchs der länger als ein halbes Jahr andauert sollten etwa 14 Tage ins Auge gefasst werden. Ein bewährtes Schema sieht folgendermaßen aus:
Randomisierte Studien zu dieser Methode des einseitigen Ausschleichens fehlen leider, die Erfahrung mancher HNO-Ärzte spricht allerdings dafür, dass es gut funktioniert. Schlägt dieses Schema fehl, so ist es sinnvoll, einen HNO aufzusuchen, der eine weitere Therapieoption anbieten kann. Bei schwereren Abhängigkeiten wird mit kortisonhaltigen Nasensprays und Antihistaminika gearbeitet, um den Dauergebrauch der abschwellenden Sprays zu unterbinden.
Ein dazu von mir befragter HNO gibt auch zu bedenken, dass die bereits entwöhnten Patienten schnell rückfällig werden, wenn ihre Nasenlöcher noch nicht wieder so zuverlässig schnell abschwellen, wie sie es zuvor gewohnt waren. Seine Erfahrungen mit dieser Methode des ausschleichens waren bisher nicht gut. Er setzt in seiner Beratung auf den „kalten Entzug“, bei dem nach spätestens vier – zugegebenermaßen langen – Wochen die Nase wieder zuverlässig von alleine abschwillt. Er rät weiterhin zum sanften Abschwellen hypertone Salzsprays, die Befeuchtung der Schleimhäute mit Dexpanthenol oder in schwereren Fällen den Gebrauch topischer Corticoide.
Besonders stark schädigend wirkt die Kombination von Benzalkoniumchlorid mit abschwellenden Nasensprays. Auch scheint Naphazolin unter den α-Sympathomimetika den geringsten Schaden an den Flimmerhärchen zu verursachen, ist aber keineswegs ungefährlich (s. Privinismus). Wie unschwer anhand des Erscheinungsjahres der Studien zu erkennen ist, ist dieser Umstand auch schon viele Jahre bekannt. Das Empfehlen eines konservierten Sprays sollte daher in jedem Fall unterbleiben, um die Schleimhaut und die Zilien nicht unnötig zusätzlich zu schädigen.
Selbstverständlich sollte auch der Hinweis auf die korrekte Dosierung und den maximalen Anwendungszeitraum sein. Im Gegensatz zu den hierzulande oft genannten fünf bis sieben Tagen sieht die FDA das noch etwas strenger: Die Arzneimittelbehörde nennt als Therapiedauer tatsächlich nur drei Tage. Der Hinweis, dass sich bei Mehrgebrauch eine Abhängigkeit entwickeln kann, ist ebenfalls äußerst wichtig. Die Apothekenbetriebsordnung schreibt ganz klar vor, dass Apotheker „einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten“ haben, und „bei begründetem Verdacht auf Missbrauch“ das jeweilige Medikament nicht abgeben sollen. Dies wird häufig nicht berücksichtigt mit der zweifelhaften Legitimation, dass sich die Patienten ihre Nasensprays auch ohne möglicherweise peinliche Fragen beantworten zu müssen, bei Internet-Apotheken bestellen könnten.
Ob es sinnvoll ist, abschwellende Nasensprays der Verschreibungspflicht zu unterstellen sei dahingestellt. Sicherlich hätte es einen Effekt auf die Anzahl der Abhängigen, würde aber mit einer deutlich erhöhten Zahl an Menschen einhergehen, die nur aufgrund einer Erkältung die Arztpraxen oder die Notdienste aufsuchen müssen.
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