In wenigen Wochen wird ein Urteil gefällt, auf das viele Menschen warten. Auch Jens Spahn, der über 100 Anträge auf Sterbehilfe pauschal abgelehnt hat und deshalb scharf kritisiert wird.
„Spahn verweigert Informationen zu dem Thema ebenso hartnäckig wie die Sterbehilfe selbst. Das geht nach Ansicht der Richter aber zu weit“, schreibt der Tagesspiegel. Was ist genau passiert?
Wie der Tagesspiegel berichtet, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anweisung des Bundesgesundheitsministers 102 schwerstkranken Patienten den Zugang zum Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital verwehrt. Für weitere 31 Fälle steht noch eine Entscheidung aus.
Im März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, Medikamente zur Selbsttötung bei schwerstkranken Patienten in extremen Ausnahmesituationen zu erlauben. In solchen Fällen müssen Anträge einzeln geprüft werden. Und genau hier liegt das Problem, denn die Einzelfallprüfung blieb 2018 aus. Obwohl das BfArM seit 2017 dazu verpflichtet ist, jeden Antrag im Einzelnen zu prüfen, schien der Ablauf anders gewesen zu sein. Spahn wies das Institut persönlich an, alle Anträge pauschal abzuweisen. Schon im Sommer des vergangenen Jahres berichtete die ihm unterstellte Behörde von ihrem Dilemma. Die Prüfung von Anträgen sterbewilliger Patienten sei „sinnlos und zeitraubend, wenn das Ergebnis ohnehin klar sein soll“, hieß es damals in einem internen Schreiben des Leiters der Bundesopiumstelle des BfArM an die Behördenleitung. „Trotzdem hält das BfArM an dem aufwändigen Prüfverfahren fest. So werden Antragstellerinnen und Antragsteller regelmäßig aufgefordert, medizinische Gutachten und Patientendaten vorzulegen. Am Ende folgt die sichere Ablehnung“. In der Wartezeit starben 24 der Patienten.
Im Jahr 2015 wurde der Paragraf 217 geltend. Darin geht es um die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“, bei deren Ausübung Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren drohen. Es ist hier nicht nur gemeint, dass die Absicht besteht, Gewinn zu erzielen, auch regelmäßige oder wiederholte Unterstützung zählt dazu, selbst wenn sie unentgeltlich ist. Von diesem Verbot nicht betroffen sind Angehörige oder Nahestehende. Auf dem Gebiet der Palliativmedizin ist die Situation unklar, bei manchen macht sich die Unsicherheit breit, sich strafbar zu machen.
Es kam zur Klage. Die Beschwerdeführer leiteten „insbesondere aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht […] ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab“, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts. „Dieses Recht umfasse als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung auch die Inanspruchnahme der Unterstützung Dritter bei der Umsetzung der Selbsttötung. Sie machen geltend, § 217 StGB greife in dieses Recht ein, weil die von ihnen gewählte Form der Suizidassistenz der Strafnorm unterfalle und ihnen daher nicht mehr zugänglich sei“, so weiter. Der Paragraf stelle zudem nicht hinreichend sicher, dass die im Einzelfall geleistete ärztliche Suizidhilfe straffrei bleibe. Außerdem könne man nicht klar sagen, ob der Paragraf auch bislang straffreie Formen der Sterbehilfe (indirekte Sterbehilfe und Behandlungsabbruch) und der Palliativmedizin erfasse. Eine am Patientenwohl orientierte Behandlung sei so unmöglich.
Betroffene sehen im Verhalten Spahns einen Rechtsbruch. So auch der zu den Klägern gehörende Helmut Feldmann. Der 73-Jährige ist unheilbar an COPD erkrankt. Aus seiner Sicht versuche der Bundesgesundheitsminister, sich über das Bundesverwaltungsgericht hinwegzusetzen. Deshalb zeigte er ihn an. „Ich werfe dem BVG vor, dass es auf den Tod der Kläger setzt. Zwei sind bereits verstorben“, wird er in einem älteren Zeitungsbericht zitiert. Mittlerweile ist die Zahl bekanntlich gestiegen.
Nachdem Schwerkranke, Sterbehilfevereine und Ärzte geklagt hatten, ging es bei der mündlichen Verhandlung im April 2019 darum, neue Kriterien für die Suizidbeihilfe zu definieren, unter denen sie in Deutschland zulässig sein könnte. Am 19. November 2019 erklärte das Verwaltungsgericht Köln ein generelles Verbot für mit dem Grundgesetz unvereinbar und rief das Bundesverfassungsgericht an. Bei einer heiklen Angelegenheit wie Sterbehilfe müsse Spahn transparenter vorgehen, finden die Kölner Richter. Vom Ministerium fordern sie Informationen zu einer Ministervorlage, in der das Karlsruher Verfahren von Beamten bewertet wird. Dies hätten sie „nach einer Auskunftsklage des Tagesspiegels im Eilverfahren entschieden“.
Wie es nun mit dem mittlerweile seit vier Jahren herrschenden Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe weitergeht? Jens Spahn bleibt hartnäckig und wartet ab, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Auch er hat Beschwerde eingelegt. Auf seinem Twitter-Profil finden sich Posts zu Themen wie Notfallversorgung, Pflege und Organspende, das Wort Sterbehilfe kommt nicht vor.
Am 26. Februar 2020 wird nun das Bundesverfassungsgericht das Urteil zum Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe verkünden. Je nach Ausgang könnte das Urteil auch Auswirkungen auf den Bundesgesundheitsminister und sein Verhalten haben.
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