Die Welt blickt mit Entsetzen auf Paris. Terroranschläge stellen nicht nur Politiker vor Herausforderungen. Ärzte werden mit Schusswunden konfrontiert – einer bislang seltenen, aber häufig tödlichen Verletzungsart. Wie sollten sie Patienten versorgen?
Schussverletzungen gehören im klinischen Alltag zu den raren, aber folgenschweren Ereignissen. Krankenhäuser haben im bundesweiten TraumaRegister DGU® zwischen 2009 und 2011 genau 305 Fälle erfasst [Paywall]. Die Letalitätsrate ist mit 39,7 Prozent vergleichsweise hoch, was Experten auf Kopfverletzungen in suizidaler Absicht zurückführen. Nach den Anschlägen von Paris stellen sich Kollegen die Frage, wie sie Patienten im präklinischen und klinischen Bereich optimal versorgen.
Schussverletzungen basieren auf solider Physik. Sie entstehen beim beim Energietransfer eines Projektils auf unseren Körper. Gummigeschosse übertragen nur einen Teil ihrer Energie. Sie führen vor allem zu Prellschüssen mit Quetschung und Hämatombildung. Dahinter können sich innere Verletzungen verbergen, etwa Knochenbrüche oder Schäden an Muskeln. Beim Durchschuss oder Steckschuss gelangen Projektile aus unterschiedlichen Metallen direkt in den Körper. Berechnungen via E=0,5mv2 zufolge ist ihre Geschwindigkeit v weitaus relevanter als die Masse m. Dabei absorbieren Strukturen höherer Dichte wie Leber oder Knochen mehr Energie als Organe mit geringer Dichte, beispielsweise Lungengewebe. Selbst kleine, unscheinbare Eintritts- oder Austrittswunden können mit massiven Schäden in Verbindung stehen. Therapie und Prognose unterscheiden sich – je nachdem, welche Strukturen betroffen sind – in allen Phasen stark voneinander.
Das beginnt schon am Unfallort. Rettungskräfte versuchen, die Vitalfunktionen wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten. Hier gibt der ursprünglich für Gefechtsszenarien entwickelte C-ABCDE-Algorithmus wertvolle Hilfestellungen: Circulation (Stoppen von Blutungen), Airway (Atemwegsmanagement), Breathing (Lungenfunktion sicherstellen), Circulation (Volumentherapie), Drugs (Analgesie), Environment (Maßnahmen gegen Hypothermie). Einige Patienten verbluten jedoch, bevor sie das nächste Krankenhaus erreichen. Um vor Ort zu intervenieren, haben Wissenschaftler der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) einen speziellen Schaum entwickelt. Ihr Wound Stasis System (WSS) wird in den Bauchraum eingebracht. Bei Tieren verringerte sich der Blutverlust durch WSS auf ein Sechstel. Der Schaum befindet sich noch im Teststadium, könnte früher oder später aber auch zivile Einrichtungen bereichern. Momentan gelten ein schneller Transport und eine zeitnahe OP als entscheidend.
Im Schockraum angekommen, bietet die S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung wichtige Hilfestellungen. Eine Studie aus dem Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler, Wien, [Paywall] zeigt das ganze Spektrum erforderlicher Eingriffe. Innerhalb von acht Jahren behandelten Ärzte 491.500 Notfälle, darunter 67 Schussverletzungen. Bei 34 Personen führten Mediziner eine Exzision, Revision und Drainage des Schusskanals aus. Sie fanden in 30 Fällen intrakorporale Projektile; 28 davon wurden geborgen. Fünf Patienten erlitten einen Kopfdurchschuss mit Fraktur des Schädels und schweren Hirnverletzungen. Hier wurden Ein- und Ausschusslöcher revidiert, exzidiert und drainagiert. Hirndrucksonden (zwei Fälle) und eine Trepanation kamen hinzu. Bei zwei Personen war eine Thorakotomie erforderlich – unter anderem, um einen Durchschuss des rechten Vorhofs via Patch zu übernähen. Darüber hinaus führten Chirurgen sieben Laparotomien, fünf Darmteilresektionen, zwei Cholezystektomien, zwei Übernähungen perforierter Darmsegmente, eine Übernähung der Magenwand beziehungsweise der Harnblase und eine Teilresektion des Omentum majus aus. Schussbrüche und Weichteilverletzungen der Extremitäten traten in sechs Fällen auf. Bei diesem Verletzungstypus schweben Patienten selten in Lebensgefahr.
Dazu ein paar Hintergründe: Handfeuerwaffen verursachen gering bis mäßig ausgeprägte Weichteilschäden. Subkutan nicht tastbare Geschosse heilen ein. Sie sollten im Körper belassen werden, extrem giftige Metalle ausgenommen. Bei Frakturen handelt es sich meist um Typ-I- oder Typ-II-Verletzungen nach der Gustilo-Anderson-Klassifikation. Hochenergetische Projektile beziehungsweise Schrotschüsse führen zu Typ-III-Läsionen inklusive starker Zerstörung von Gewebe. Zur Therapie: Ärzte schienen stabile Frakturen funktionell. Reicht die Maßnahme nicht aus, bleiben operative Verfahren der Orthopädie, inklusive Stabilisierung per Fixateur externe. Als weitere Maßnahmen sind sowohl ein Wunddébridement als auch die prophylaktische Gabe von Antibiotika i.v. erforderlich. Bei stärkerem Materialverlust bleibt noch, über autologen Knochenersatz nachzudenken. Sind Gefäße betroffen, erfolgt deren Versorgung über eine End-zu-End-Anastomose oder über ein Veneninterponat.
Ganz klar, Schussverletzungen sind eine Herausforderung – nicht nur aus heilberuflichem Blickwinkel. Rechtsmediziner empfehlen, Bekleidung, Verbände der Notversorgung, Projektile, Geschossteile und Wundexzisate zu asservieren. Von jeder Wunde sollten noch vor der Desinfektion „Hautabklatsche“ durchgeführt und Fotos aufgenommen werden. Ihr Material dürfen Ärzte nur mit Zustimmung von Patienten an Ermittlungsbehörden geben. Auch hier gilt die Schweigepflicht. Bei Bewusstlosigkeit ist vom mutmaßlichen Willen auszugehen. Hoffen wir, dass Schussverletzungen weiterhin eine Seltenheit im klinischen Alltag bleiben.