Der Wunsch aller Ärzte ist weniger Bürokratie. Darauf reagiert Spahn mit der eAU – der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Was bedeutet das jetzt? Krankfeiern per Klick?
Ärzte wünschen sich mehr Zeit für ihre Patienten beziehungsweise ihre Familie – und weniger Bürokratie. Das hat eine Studie der apoBank zusammen mit DocCheck Research ergeben. Jetzt hätten wir die Chance, zumindest einen Teilprozess im Gesundheitswesen zu vereinfachen, nämlich bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen).
Hier hat sich das Vorgehen seit Jahrzehnten nicht geändert. Versicherte erhalten ihren gelben Zettel gleich in dreifacher Ausfertigung: für sich selbst, für den Arbeitgeber und für ihre Krankenkasse. Die TK schätzt, dass Ärzte pro Jahr etwa 75 Millionen Krankmeldungen ausstellen, was 225 Millionen bedruckten Blättern Papier entspricht. Das ist auch Deutschlands oberstem Digitalisierer aufgefallen. Im Nebenberuf ist er Gesundheitsminister und heißt Jens Spahn.
Der Christdemokrat hat bereits eine Neuregelung parat. Ab 1. Januar 2021 will er, dass Ärzte AUs nur noch digital an Krankenkassen und Arbeitgeber übermitteln, als elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Ein Bürokratieentlastungsgesetz hat den Bundesrat bereits passiert: grünes Licht auf allen Ebenen. Das klingt gut, aber wie so oft sind Health-IT-Projekte bei uns zum Scheitern verurteilt. Eine Spurensuche.
Heute erhalten Versicherte einen Durchschlag für ihre Unterlagen. Das macht Sinn, sollten Unterlagen verloren gehen oder sollte es sonstige Nachfragen geben. Wie soll das bei elektronischen Krankmeldungen gelingen?
Noch gibt es flächendeckend keine elektronische Gesundheitskarte (eGK), von Modellprojekten einmal abgesehen. Und was in einem Jahr passiert – oder nicht passieren wird – ist mehr als fraglich. Deshalb bekommen GKV-Versicherte trotz eAU immer noch einen Ausdruck für ihre Unterlagen.
Old School bleibt, wie anfangs beim Medikationsplan. Rechtlich brauchen sie die Hardcopy als Beweismittel, sollte etwas bei der digitalen Übertragung schieflaufen. Zwar würde die Nachweispflicht von Angestellten im digitalen Prozess entfallen. Doch wer haftet, sollte etwas schieflaufen? Im schlimmsten Fall drohen Abmahnungen oder Kündigungen.
Hinzu kommen diverse Ausnahmen: Alle Änderungen betreffen geringfügig Beschäftigte nicht. Und Mediziner, welche nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, werden ebenfalls ausgeschlossen. Welche Rolle PKVen spielen, ist unklar. Spahn novelliert Passagen im V. Sozialgesetzbuch – und spricht damit GKVen an. Möglicherweise folgen private Krankenversicherungen später.
Der Wunsch nach einer digitalen AU hat auch Firmen an allen Ecken und Enden der Republik aufgescheucht. Kein Wunder, schließlich gilt sie im E-Health-Bereich als eine der attraktivsten Anwendungen schlechthin. Doch die Herangehensweisen unterscheiden sich grundlegend, wie zwei Beispiele zeigen.
Die TK arbeitet bei Modellprojekten mit folgender Systemarchitektur: Zum Einsatz kommt u.a. Praxissoftware der Duria eG. Ärzte versenden über einen Kommunikationsserver sichere E-Mails mit der eAU an die Krankenkasse. Der Arbeitgeber stellt eine automatisierte Anfrage und holt sich die eAU vom Kommunikationsserver ab. „Im weiteren Verlauf des Projekts möchte die TK auch den Versichertendurchschlag der AU-Bescheinigung elektronisch zur Verfügung stellen“, schreibt die Kasse, ohne an der Stelle Details zu nennen.
Anders geht die BKK Linde vor. Sie bietet Versicherten zusammen mit der CompuGroup Medical (CGM) eine elektronische Patientenakte als App. Neben klassischen Funktionen wie Befunden, Medikationsplänen oder Röntgenbildern landet auch die eAU in der digitalen Patientenakte. Bleibt als Einschränkung: „Um die Daten direkt aus dem eigenen System überspielen zu können, muss auch der Arzt eine CGM Software in der Praxis nutzen“, so die Versicherung.
Wieder einmal verselbständigt sich die Health IT. Am liebsten hätte jede Kasse ihr Pilotprojekt, um zu zeigen, wie innovativ man doch ist. Welcher Kommunikationsstandard sich letztlich durchsetzen wird, wird sich zeigen. Letztlich ist hier die gematik gefragt.
Problem 4: Krankfeiern per Klick
Jenseits technischer Spitzfindigkeiten bleiben noch juristische Fragen offen. Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots schafft neue Möglichkeiten zur Wertschöpfung. So bietet die Dr. Ansay AU-Schein GmbH aus Hamburg gegen Gebühr digitale Krankschreibungen als pdf-Datei an. Der Rechtsanwalt Ansay ist kein Unbekannter – er hatte mit Krankschreibungen per WhatsApp bereits Schlagzeilen gemacht. Das neue System basiert der Website zufolge auf sicheren Servern und Abrufcodes für Dokumente per SMS.
Digitale AUs gibt es für Bagatellerkrankungen wie grippale Infekte, Regelschmerzen, Rückenschmerzen, Stress, Blasenentzündungen oder Kopfschmerzen. Um eine eAU zu bekommen, füllen User Online-Fragebögen aus. Ein Arzt stellt Diagnose aus und bereitet digitale Krankschreibungen vor.
Ärztekammern prüfen den Service aus juristischer Sicht. Und die Wettbewerbszentrale lässt Aussagen wie „100% gültiger AU-Schein“ beziehungsweise „Krankschreibung ohne Arztbesuch“ überprüfen. Sie hält die Leistungen für irreführend und wittert einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz.
Wäre es nicht verlockend, per Mausklick einen Tag krankzufeiern? Wohl wahr, nur ist der persönlich abgeholte AU-Schein auf Papier keine Garantie dagegen. Migräne oder Rückenschmerzen lassen sich nun mal nicht erkennen. Wer vorher etwas gegoogelt hat, beschreibt diverse Symptome auch recht glaubwürdig.
Bildquelle: Artur Aldyrkhanov, unsplash