Die periphere arterielle Verschlusskrankheit jagt den meisten Betroffenen keine Angst ein. Und das, obwohl sie lebensbedrohlich sein kann. „Durchblutungsstörungen sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt ein Gefäßchirurg.
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) hat sich zu einem Volksleiden entwickelt. Dafür bekommt sie aber noch ziemlich wenig Aufmerksamkeit – sowohl von Ärzten als auch von Patienten. Das muss sich ändern, sagt Tom Hammermüller, Chefarzt im Gefäßzentrum Niederlausitz im Gespräch mit den DocCheck News.
Je mehr Risikofaktoren vorhanden sind, umso wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer PAVK oder Schaufensterkrankheit. Solche Risikofaktoren sind vor allem Nikotinabusus, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie oder Fettstoffwechselstörungen. Auch Patienten mit den anderen Erscheinungsformen der Atherosklerose wie die KHK, die cerebrovaskuläre Erkrankung und z.B. bei Niereninsuffizienz sollten beachtet werden.
Doch das größte Problem ist die Zuckerkrankheit. „Um die 80 Prozent meiner Patienten haben Diabetes mellitus“, erzählt Tom Hammermüller, Chefarzt im Gefäßzentrum Niederlausitz. „Früher in den 80er und 90er Jahren waren es noch die Raucher. Doch jetzt habe ich es fast ausschließlich mit Diabetikern zu tun, wenn es um die PAVK geht.”
Nicht zu unterschätzen sind noch jene Patienten, die ursprünglich den Arzt wegen Rückenbeschwerden aufsuchen, die sich dann als Gefäßprobleme entpuppen. Häufig liegt auch beides vor. Ältere Menschen leiden dann sowohl an Arthrose als auch an Gelenkabnutzung, oft auch an der Wirbelsäule. Hier ist ein Gehtraining in vielen Fällen schwer oder gar nicht umsetzbar. Tun kann man trotzdem etwas, indem man den Lifestyle ändert: „Gewicht reduzieren, Zucker- und Fettstoffwechsel einstellen, Aspirin nehmen – wenn man das alles macht, lässt sich die Progredienz der Verkalkung in aller Regel aufhalten“, fasst der Gefäßmediziner zusammen.
Sowohl bei der symptomatischen als auch bei der asymptomatischen PAVK sieht Hammermüller Versorgungslücken bei der Diagnose und Behandlung. „Immer noch wird zum Beispiel die seit mehreren Jahrzehnten etablierte Facharztqualifikation des Gefäßchirurgen in der Bedarfsplanung zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung nicht berücksichtigt“, so seine Kritik. Nur niedergelassene Ärzte dürfen jeden Patienten direkt behandeln. „Es gibt in der Niederlassung viel zu wenig Gefäßmediziner und kaum niedergelassene Gefäßchirurgen (nur in unserem Versorgungsbezirk in OSL gibt es keinen Gefäßchirurgen). Zum Teil gibt es Ermächtigungen für eine Sonderzulassung (leistungsbegrenzt und mit Zuweisungsfilter) für Krankenhausärzte, in der Regel darf man dann nicht jeden Gefäßpatienten direkt behandeln.”
Angesichts der Tatsache, dass die Schaufensterkrankheit sich zur Volkskrankheit entwickelt hat und die Zahl der Kranken kontinuierlich ansteigt, sei das Angebot an behandelnden Ärzten lächerlich klein, findet der Experte. Hinzu komme, dass man als Gefäßchirurg von der kassenärztlichen Vereinigung in erster Linie als ein ausschließlich im Krankenhaus tätiger Operateur und Amputeur wahrgenommen werde, kritisiert Hammermüller. „Die Gefäßchirurgie hat sich aber in den letzten 30 Jahren zum zentralen Akteur hinsichtlich Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge in der Gefäßmedizin entwickelt, keine andere Facharztqualifikation vereint einen vergleichbaren Umfang an Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Behandlung von Gefäßpatienten.“
Ein weiteres Problem: Auf Patientenseite wisse kaum jemand über die periphere arterielle Verschlusskrankheit Bescheid. Die Folge: Risiken der Atherosklerose würden kaum minimiert, denn mangels Krankheitsbewusstseins seien die meisten Patienten nicht adhärent. „Die konsequente LDL-C Senkung nach risikoadjustiertem Zielwert wird mit Muskelschmerzen und medienwirksam mit der ‚Cholesterinlüge‘ konterkariert“, erklärt der Gefäßchirurg. Die Prävalenz an Diabetes mellitus betrage im Süden Brandenburgs über 12 %, Amputationsrate und die kardiovaskuläre Mortalität sei im bundesweiten Vergleich anhaltend führend. „Eine Gehsportgruppe zu installieren gleicht einem Spießrutenlauf“, schildert Hammermüller das Problem, Betroffene zu mobilisieren. Der Gehsport ist für PAVK-Patienten sehr wichtig, wird aber praktisch nicht gefördert. So seien organisierte Gehgruppen weder finanziell attraktiv, noch seien die Patienten sonderlich adhärent.
„Durchblutungsstörungen sind nur die Spitze des Eisbergs. Patienten versterben nicht an den Durchblutungsstörungen, sondern am Herzinfarkt, denn die Verstopfung ist nicht nur in den Beinen, sondern überall.“ Genau das Betroffenen begreiflich zu machen, sei eine Herausforderung für den Arzt, erklärt der Gefäßexperte. Man könne Patienten zwar vor Läsionen am Fuß oder gegebenenfalls dem Raucherbein warnen, die meisten seien davon aber eher unbeeindruckt. Bei Herzsportgruppen sei das anders, so Hammermüller. „Diese Patienten haben Angst vor kardiovaskulären Ereignissen und bleiben dran.“ Trotz erheblicher Anstrengungen von Gefäßmedizinern, Fachgesellschaften und Patientenvertretern sei die PAVK nicht ausreichend in der Versorgungsrealität anerkannt.
Eine rasche Progredienz der Atherosklerose kann vermindert werden, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. „Gefährlich wird es, wenn es an Herz und Hirn geht“, sagt Hammermüller. „Betroffene Herz- oder Hirngefäße verursachen viel größere Probleme. Deshalb ist die PAVK als eine Markererkrankung zu betrachten.“ Denn die Schaufensterkrankheit gilt als spätes Stadium der Atherosklerose mit hoher systemischer Kalklast. Konzentriert man sich nur auf symptomatische Patienten, wird nur einer von 10 Erkrankten erkannt, schätzt der Gefäßmediziner.
Doch wie gelingt es, die Erkrankung früher zu erkennen und die Versorgungslücke zu schließen? Im Nachbarland setzt sich etwa die Österreichische Gesellschaft für Internistische Angiologie (ÖGIA) für die Einführung eines PAVK-Screenings ein, wie es bereits in Dänemark Standard ist. Einer dänischen Studie zufolge konnte die Mortalität durch das Screening und entsprechende Lebensstilmodifikation und Medikation um 7 % reduziert werden. Dieser Idee kann Hammermüller durchaus Positives abgewinnen: „Ein Screening, vor allem von Risikogruppen, z.B. durch farbkodierte Duplexsonographie der Hals- und/oder Beingefäße zur Abschätzung der Kalklast wäre sinnvoll und ist meines Erachtens überfällig.“ Auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin forderte schon 2009 ein PAVK-Screening für ältere Menschen, in Angriff genommen wurde das Vorhaben letztendlich nie.
Das war der zweite Teil des Expertengesprächs. Hier geht es zum ersten Teil:
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