Die Mutter vermutet eine Allergie. Tatsächlich schwebt das Kind in Lebensgefahr.
Universitätsklinik. Aus historischen Gründen gab es keine Kinderabteilung, die jetzt eingerichtet werden soll. Bisher wurden Kinder vom Internisten versorgt, wenn‘s blutet, vom Chirurgen, bei Hautausschlägen vom Dermatologen. Die Verteilung übernahm bei ambulanten Fällen meist schon der Pförtner. Die ersten ausgebildeten Kinderkrankenschwestern befinden sich schon im Haus.
Ein etwa 10-jähriger Junge wird von der Mutter gebracht, da er Hautausschläge zeigt und sich krank fühlt. Er muss lange warten, dann erscheint der jüngste Assistenzarzt der Dermatologie. Die Mutter berichtet, der Junge nehme sein 10 Tagen Ritalin wegen ADHS. Könnte es eine Allergie gegen Ritalin sein? Der Hautarzt überlegt, hält das für denkbar, verschreibt ein Antihistaminicum und empfiehlt Wiedervorstellung in drei Tagen, wenn Symptome nicht verschwunden sind.
In diesem Moment kommt eine gelernte Kinderkrankenschwester vorbei, sieht den Jungen und fragt: „Doktor, könnte das nicht auch eine Sepsis sein?“
Um es kurz zu machen: So war es! Der Junge hatte eine schwere Form der Meiningokokkensepsis, ein Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom, das unbehandelt immer zum Tode führt. Bei sofortiger intravenöser Antibiotika-Therapie überleben 50 Prozent der Patienten. Der Junge wurde, mit drei intravenösen Tröpfen versehen, auf die Intenivstation gebracht und hat überlebt.
Der entscheidende diagnostische Fehler: Allergische Hautreaktionen sind ebenso wie Effloreszencen etwa bei Masern, Scharlach oder Röteln wegdrückbar. Petechiale Blutungen wie hier, sind es hingegen nicht. Das lernt jeder Kinderarzt im ersten Ausbildungsjahr.
Dieser Beitrag ist von Thomas Lennert. Mit dieser Kasuistik hat der Kinderarzt i. R. an unserem DocCheck-Wettbewerb Mein kniffligster Fall teilgenommen. Weitere Patientenfälle werden in den nächsten Wochen in unserem Newsletter und auf diesem Kanal veröffentlicht.
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Bildquelle: Michael Rogers, unsplash