Die Sache scheint völlig klar: Der 21-jährige Mann hat eine Pilzvergiftung. Doch so einfach ist der Fall dann doch nicht.
Als sich der Fall ereignete, arbeitete ich in einem kleineren kommunalen Krankenhaus am Land. Es war Herbst und Herbstzeit ist Pilzzeit. Damit steigt automatisch die Zahl der Patienten, die sich nach ihrem Abendessen nächtlich in der Notaufnahme vorstellen.
Ich war Assistenzärztin und hatte Nachtdienst auf der Intensivstation, als mich um Mitternacht mein Kollege von der Notaufnahme bat, einen 21-jährigen Patienten mit Übelkeit und Bauchschmerzen sowie erhöhten Transaminasen nach einer Pilzmahlzeit aufzunehmen. Ein Blick auf das Labor zeigte auch stark erhöhte Leberwerte. GOT, GGT sowie GPT waren im dreistelligen Bereich. Was mich stutzig machte, war ein sehr stark erhöhtes Troponin.
Aufgrund dieser Konstellation nahm ich den Patienten auf die Intensivstation auf. Nachdem der Patient am Monitor angeschlossen war und ich mich nach gründlicher Untersuchung davon überzeigt hatte, dass er kreislaufstabil war und bis auf leichte Bauchschmerzen und Übelkeit keine vitale Bedrohung hatte, machte ich mich auf Spurensuche der doch beängstigenden Laborkonstellation.
Im EKG zeigte sich eine erhöhte konkavförmige ST-Strecke mit spitz-positiven T-Wellen in V2 und V3. Die ST Streckenhebung war jedoch gerade noch im Normbereich und nicht untypisch für einen jungen sportlichen Patienten.
In der Herzechokardiographie konnte ich nichts pathologisches feststellen.Anamnestisch erfuhr ich, dass der Patient mit seiner Familie selbst gesammelte Pilze gegessen hatte. Er sei jedoch der einzige mit diesen Beschwerden. Also startete ich einen Telefonmarathon. Vom Giftnotruf erfuhr ich die Telefonnummer des ehrenamtlichen Mitarbeiters der Giftpilzzentrale. Nachdem ich den armen Mann geweckt hatte, schloss dieser eine Pilzvergiftung aufgrund der Symptomatik und der Anamnese aus.
Die nette Dame, die meinen Anruf beim Giftnotruf entgegen genommen hatte, erzählte mir, dass sie vor kurzem einen ähnlichen Fall bei einem jungen Patienten hatte. Dieser hatte auch erhöhte Leberwerte kombiniert mit einem erhöhten Troponin gehabt. Hier sei die Ursache eine Pfortaderthrombose gewesen. Also schnappte ich mir wieder den Ultraschall und legte einen Doppler über die Lebervenen.
Ich sah einen guten Fluss über der V. portae, der V. lienalis und der V. mesenterica superior und konnte so die Pforaderthrombose ausschließen.Ich machte eine erneute Anamnese, da ich bei der Laborkonstellation auch an eine akute Hepatitis gedacht hatte. Hier wiederholte der Patient explizit, dass er gegen Hepatitis A und B geimpft worden sei. Er hatte sogar den Impfausweis dabei, der bestätigte, dass die Impfungen stattgefunden hatten und regelmäßig aufgefrischt worden waren. Trotzdem nahm ich bei der Troponin-Kontrolle die komplette Hepatitis-Serologie ab. Troponin und EKG Kontrolle waren auch im Verlauf unverändert.
Nach der ganzen Diagnostik, dem Nachdenken und natürlich der Versorgung der anderen oftmals wirklich kreislaufinstabilen Patienten war es auch schon Morgen geworden. Ich verabschiedete mich von meinem Patienten und überließ ihn den Kollegen vom Tagdienst.
Am Abend, als ich wieder meinen Dienst antrat, war mein Patient schon auf die Normalstation verlegt worden und meine Kollegen verrieten mir schmunzelnd des Rätsels Lösung. Ich hatte mit der Abnahme der Hepatitis-Serologie den Nagel auf dem Kopf getroffen. Unser Patient hatte eine akute Hepatitis A trotz seines vermeintlich ausreichenden Impfstatus.
Dieser Beitrag ist von Cordula Birker. Mit dieser Kasuistik hat sie an unserem DocCheck-Wettbewerb Mein kniffligster Fall teilgenommen. Weitere Patientenfälle werden in den nächsten Wochen in unserem Newsletter und auf diesem Kanal veröffentlicht.
Bildquelle: Damir Omerović, unsplash