Ich habe mir die neue Adipositas-Studie, die derzeit für Aufsehen sorgt, genauer angesehen. Ist es gefährlich, Adipöse als Klimasünder an den Pranger zu stellen oder kann man es als zusätzliche Motivation sehen, um abzunehmen?
Als ich in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift „Obesity“ las, dass adipöse Menschen das Klima deutlich stärker belasten als Normalgewichtige, habe ich mich zunächst gefreut: Schließlich evaluiere ich in meiner kurz vor dem Abschluss stehenden Promotion ein neues Therapieprogramm für adipöse Patientinnen und Patienten der Uniklinik Köln. „Nicht nur was Gutes für die Gesundheit der Menschen, sondern gleich auch etwas für die Umwelt getan!“, dachte ich mir. Doch beim genaueren Hinschauen wurde ich nachdenklich. Adipöse, das habe ich auch bei der Begleitung unserer Programmteilnehmer immer wieder erfahren, werden im Alltag häufig stigmatisiert. Ist es da nicht gefährlich, sie nun auch noch als Klimasünder an den Pranger zu stellen?
Das Forschungsteam um den griechischen Wissenschaftler Faidon Magkos, der an der Universität von Kopenhagen arbeitet, hat in dem Review „The Environmental Foodprint of Obesity“ alle verfügbaren Daten und Studien zum Einfluss des menschlichen Körpergewichts auf den individuellen CO2-Fußabdruck zusammengetragen. Dabei machten die Forscher besonders drei Bereiche aus, in denen ein erhöhtes Körpergewicht zu einem höheren Ausstoß an Treibhausgasen führt: Die erhöhte CO2-Abatmung durch den gesteigerten Metabolismus des Individuums, der Treibhausgasausstoß bei der Herstellung der gesteigerten Nahrungsmittelmenge und die Umweltbelastung beim Transport des Einzelnen. Multipliziert mit der Anzahl adipöser Menschen weltweit ergeben sich alarmierende Zahlen: Die Adipositas-Epidemie führe zu einem zusätzlichen Ausstoß von rund 700 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr, schreiben die Forscher. So viel, wie Kanada oder Mexiko jährlich emittieren.
Die Zahlen, das ist auch den Autoren des Reviews bewusst, sind nur eine Annäherung an die wirkliche Umweltbelastung durch Adipositas. Zu viele Faktoren in der Berechnung können interindividuell, vor allem je nach Region, schwanken: Welche Nahrungsmittel nutzen die Menschen wirklich, um die erhöhte Kalorienmenge zu sich zu nehmen? Wie ist der Energiemix vor Ort? Und welches Transportmittel bevorzugen sie, auf dem Weg zur Arbeit? Die Frage nach der Umweltbelastung durch Adipositas ist in der Wissenschaft auch keineswegs neu: Schon 2009 warnten Londoner Wissenschaftler davor, die zunehmende Adipositas-Epidemie könnte die Klimakrise verschärfen.
Doch die Autoren um Faidon Magkos bieten erstmals eine recht detaillierte Analyse, die mehrere Studien und weltweite Daten umfasst. Auch sie weisen darauf hin, dass die Diskussion um die Umweltbelastung durch Adipositas auf keinen Fall zu einer weiteren Stigmatisierung der Erkrankten führen dürfe.
Genau dort sehe auch ich eine Gefahr in den Ergebnissen des Reviews. „Übergewicht schadet der Umwelt“ titelte der Spiegel schon 2009 nach der Veröffentlichung der Londoner Wissenschaftler. Solch unsensible Berichterstattung kann den Leidensdruck der Erkrankten zusätzlich verstärken. Wenn sie sich zunehmend auch noch als böse Umweltsünder begreifen, könnte das zu einer Schere im Kopf führen, die jegliche Therapiemöglichkeiten schon im Ansatz behindert. Und in Adipösen den Sündenbock zu suchen für die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, nachhaltig angebaute Lebensmittel zu liefern oder emissionsneutrale Mobilitätskonzepte zu schaffen, verbietet sich.
Nein, die Ergebnisse des Reviews können nicht zu der Aufforderung führen: „Du musst abnehmen, sonst schadest du dem Klima!“ Aber sie können als Chance für eine zusätzliche Motivation der therapiebereiten Erkrankten begriffen werden: Viele Maßnahmen, die auch positive Effekte aufs Abnehmen haben, wie den Arbeitsweg mit dem Fahrrad zu fahren, sind auch gut fürs Klima! Und die Umstellung der Ernährung weg von tierischer Nahrung zu mehr pflanzenbasierten Lebensmitteln liefert auch einen wichtigen Beitrag. Das sollte auch in den gängigen Gruppentherapieprogrammen noch mehr betont werden: In dem neuen Programm für die Uniklinik, das ich derzeit evaluiere, findet sich bereits eine ganze Schulungseinheit zu „Nachhaltigkeit“.
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Bildquelle: Ivars Krutainis, Unsplash