Die Hälfte der angestellten Ärzte fühlt sich häufig überlastet. Jeder fünfte denkt über einen Berufswechsel nach. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Marburger Bundes.
Erneut hat eine Mitarbeiter-Befragung unter Ärzten stattgefunden. Im MB-Monitor 2019 des Marburger Bundes ging es um die Frage, inwiefern Überlastung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Die Ergebnisse veröffentlichte die Interessensvertretung gestern in folgender Pressemitteilung:
Überstunden, fehlendes Personal und zunehmender Zeitdruck zehren an der Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken. Durch immer mehr Verwaltungstätigkeiten wird ihnen die Arbeit zusätzlich verleidet. Jeder fünfte Klinikarzt (21 %) denkt inzwischen über einen Berufswechsel nach. Das geht aus der Mitgliederbefragung MB-Monitor 2019 des Marburger Bundes hervor. An der vom Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich im September/Oktober 2019 bundesweit rund 6.500 angestellte Ärztinnen und Ärzte.
Rund drei Viertel der Befragten (74 %) haben das Gefühl, dass die Gestaltung der Arbeitszeiten sie in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, z.B. in Form von Schlafstörungen und häufiger Müdigkeit. 15 Prozent der angestellten Ärztinnen und Ärzte waren durch ihre Arbeit schon einmal so stark psychisch belastet, dass sie sich in ärztliche bzw. psychotherapeutische Behandlung begeben mussten, z.B. wegen eines Burnouts. Durch die hohe Arbeitsverdichtung, den Personalmangel und den ökonomischen Erwartungsdruck der Klinikbetreiber kommen immer mehr Ärztinnen und Ärzte an ihre Grenzen: Knapp die Hälfte der Befragten (49 %) sagt, sie seien häufig überlastet; jeder zehnte stimmt der Aussage zu: „Ich gehe ständig über meine Grenzen“.
„Die Arbeitsbedingungen in den Kliniken müssen sich grundlegend verbessern. Nur dann können Ärztinnen und Ärzte ihre Patienten so versorgen, wie es ihren ärztlichen Vorstellungen entspricht. Wer auf Dauer an seinen eigenen Ansprüchen scheitert und keine Zeit hat für Gespräche mit Patienten, für kollegialen Austausch und nach der Arbeit für Familie und Freunde, fängt irgendwann an, die eigene Tätigkeit in Frage zu stellen. Weder der Politik noch den Krankenhäusern darf diese Entwicklung gleichgültig sein“, sagte Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes.
Viel Zeit für die Patientenversorgung geht durch administrative Aufgaben verloren, die über ärztliche Tätigkeiten hinausgehen. Der tägliche Zeitaufwand für Datenerfassung, Dokumentation und organisatorische Tätigkeiten ist im Vergleich zu früheren Befragungen des Marburger Bundes stark angestiegen. Gaben im Jahr 2013 erst 8 Prozent der Krankenhausärzte an, mindestens vier Stunden am Tag mit Verwaltungstätigkeiten befasst zu sein, so sind es jetzt 35 Prozent. 25 Prozent sagen, sie würden täglich drei Stunden mit Verwaltungsarbeit verbringen; 26 Prozent schätzen den täglichen Zeitaufwand auf zwei Stunden und 14 Prozent der Befragten sind eine Stunde pro Tag mit administrativen Tätigkeiten befasst.
„Es ist schlichtweg ein Skandal, wie viel Arbeitskraft und Arbeitszeit mit Datenerfassung und Dokumentation vergeudet wird. Wenn nur die Hälfte an Zeit für unsinnige und überflüssige Schreibarbeit eingespart werden könnte, hätten wir schon viel für die Patientenversorgung gewonnen. Entlastung könnten gut geschulte Verwaltungskräfte auf den Stationen schaffen und eine bessere, anwenderfreundliche IT-Ausstattung“, sagte Johna. Am Ende komme es aber vor allem darauf an, der Überbürokratisierung der Krankenhäuser endlich Einhalt zu gebieten: „Wir brauchen eine Generalinventur, bei der unnötige Vorgaben identifiziert und danach ersatzlos gestrichen werden. Hier ist die Politik gefordert, der Regulierungswut der Krankenkassen nicht mehr länger nachzugeben.“
Vollzeittätige Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Durchschnitt 56,5 Stunden pro Woche, inklusive aller Dienste und Überstunden. 26 Prozent der Befragten geben an, einen Teilzeitvertrag zu haben. Damit setzt sich ein Trend fort, der bereits in zurückliegenden Mitgliederbefragungen des Marburger Bundes zu beobachten war. „Die Verringerung der tariflichen Wochenarbeitszeit um etwa 8 bis 10 Stunden scheint oft für viele Ärztinnen und Ärzte die einzige Möglichkeit zu sein, regelmäßig mindestens einen freien Tag in der Woche zu haben. Diese private ‚Arbeitszeitreform‘ ist ein klares Indiz dafür, dass die Krankenhäuser zu wenig in eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben investieren. Mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit bei der Arbeitszeitgestaltung, wie sie der Marburger Bund in der aktuellen Tarifrunde mit den Ländern für die Ärzte in Unikliniken fordert, würde die Arbeitszufriedenheit deutlich erhöhen“, betonte die MB-Vorsitzende.
Eine Reaktion aus dem Bundesgesundheitsministerium ließ nicht lange auf sich warten – oder zumindest ein Ausblick darauf. So ließ Spahn via dpa verlautbaren, dass er auf die Beschwerden deutscher Klinikärzte reagieren werde. Er sehe die Verantwortung aber auch auf Seiten der Arbeitgeber, erklärte er in den Medien. Dienstpläne müssten so aufgestellt werden, dass unterschiedliche Interessen berücksichtigt würden und Ärzte und Pflegekräfte genügend Zeit für ihre Aufgaben hätten. Es werde im Gesundheitswesen noch wie in den 90er-Jahren geplant, habe er manchmal den Eindruck.
Dieser Text basiert zum größten Teil auf einer Pressemitteilung des Marburger Bundes.
Bildquelle: Andy Beales, unsplash