Ein neues Computermodell soll vorhersagen, wie sich Populationen von blutbildenden Stammzellen mit zunehmendem Alter entwickeln. Das Modell nutzt dafür die Telomere an den Chromosomen von Blutzellen. Abnorme Längenverteilungen können auf Krankheiten hindeuten.
Es ist schwierig, den exakten Zusammenhang zwischen dem Alter und der „Teilungsgeschichte“ von Stammzellen einerseits sowie deren Entartungsrisiko und dem damit einhergehenden Krebs-Erkrankungsrisiko für einen Patienten andererseits herzustellen. Benjamin Werner und Arne Traulsen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön haben deshalb in Kooperation mit Fabian Beier und Tim Brümmendorf die Entwicklung der Stammzellen berechnet.
Bei jeder Zellteilung schrumpfen die Telomere etwas – so lange, bis keine weitere Teilung mehr stattfinden kann. „Die Telomerlänge spiegelt also die früheren Teilungen einer Zelle wider. Daraus konnten wir Rückschlüsse auf die den fertigen Blutzellen zu Grunde liegende Stammzellen ziehen“, erläutert Werner. „Zu den durchschnittlichen Telomerlängen gab es genügend Daten aber keine passenden Modelle, oder aber Modelle ohne Daten. Nun haben wir ein Modell mit Daten“, ergänzt Traulsen. Die Wissenschaftler analysierten die Blutzellen von insgesamt 356 gesunden Probanden aller Altersstufen und bestimmten die Verteilungen der Telomerlängen. Auf Grundlage dieser Daten testete das Team im Anschluss verschiedene mathematische Modelle, um damit die Längenverteilung für jedes Alter zu beschreiben. „Es zeigte sich, dass dasjenige Modell am besten funktioniert, das auch ein Anwachsen des Stammzellenpools berücksichtigt“, erklärt Werner. Telomere im Fluoreszenzmikrsokop. Telomerlängenverteilung (großes Bild: rot, kleines Bild: hellgrün). © MPI f. Evolutionsbiologie
„Dank des Modells genügt uns jetzt eine Momentaufnahme der aktuellen Telomer-Längenverteilung, um in die Vergangenheit und die Zukunft der Telomere eines Menschen zu blicken. Wir lernen also die Stammzellenpopulation zu jedem beliebigen Zeitpunkt kennen“, so Traulsen. Dadurch lassen sich Krankheiten vorhersagen oder Risikogruppen identifizieren. Beispielsweise gibt es Hinweise, dass Menschen mit einer optimalen mittleren Anzahl an Stammzellen das geringste Risiko besitzen, an Krebs zu erkranken. Aus den Mikroskop-Aufnahmen lassen sich die Längenverteilungen konstruieren, die im mathematischen Modell beschrieben werden. © MPI f. Evolutionsbiologie „Sehr stark verkürzte Telomere können wiederum die Entstehung bestimmter Krankheiten begünstigen“, so Beier. Mit ihrem Modell können die Wissenschaftler jetzt solche möglichen Zusammenhänge überprüfen. „Dies könnte in der Zukunft die Diagnostik aber auch die prognostische Einschätzung und damit zielgerichtete Behandlung bestimmter Blutkrankheiten verbessern“, sagt Brümmendorf. Originalpublikation: Reconstructing the in vivo dynamics of hematopoietic stem cells from telomere length distributions Benjamin Werner et al.; eLife, doi: 10.7554/eLife.08687; 2015