Heute war Benedikt Bühlers großer Auftritt im Bundestag. Der Pharmaziestudent will die Apotheken vor Ort retten – mit einer der erfolgreichsten Petitionen jemals. Ich habe nach der Anhörung mit ihm gesprochen.
Benedikt Bühler, der selbst Mitglied in der CDU ist, lässt sich durch den Gegenwind aus seiner eigenen Partei nicht von seinem Kurs abbringen. Der Bundestag lud ihn nach seiner erfolgreichen Petition zur Anhörung vor dem Petitionsausschuss am 27. Januar 2020. Wochenlang bereitete er sich akribisch auf seinen großen Auftritt vor. Sein Auftritt zog die Aufmerksamkeit der Fachpolitiker aller Fraktionen auf sich – und selbst Jens Spahn gab sich die Ehre.
Bühler hob in seiner Rede die Apotheke vor Ort als einen Ort sozialer Wärme hervor und spielte auf ein Zitat von Jens Spahn aus dem Juli 2019 an, in dem er die Apotheke als ein „Stück Heimat“ bezeichnet hatte. Außerdem betonte er die Sicherheit der Arzneimittel, die bei einem Versandhandel nicht über die ganze Lieferkette gewährleistet werden könne. Er verstehe nicht, warum in 21 von 28 EU-Staaten ein Versandhandelsverbot existiere, in Deutschland dieses aber nicht Europarechtskonform möglich sein solle. Und nicht zuletzt fürchte er, dass über den Schleichweg der ausländischen Versandapotheken große, profitorientierte Kapitalgesellschaften Eintritt in die deutsche Arzneimittelversorgung bekommen könnten, der ihnen durch das strikte Fremd- und Mehrbesitzverbot von deutschen Apotheken aus guten Gründen bislang verwehrt sei.
Kordula Schulz-Asche, die bei den Grünen Expertin für Arzneimittelversorgung ist und ebenfalls Bühlers Rede gespannt verfolgt, hält die Angst vor dem Apothekensterben, die der junge Pharmaziestudent verbreitet, für übertrieben: „Bislang beträgt der Anteil von Versandapotheken am Umsatz mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln gerade einmal ein Prozent“, gibt sie zu bedenken. „Und akut kranke Patienten möchten ihre Arzneimittel direkt nach dem Arztbesuch haben. Egal ob Papier- oder E-Rezept, sie werden weiter in die Apotheke vor Ort gehen, bei der sie wissen, dass die Arzneimittel vorrätig sind.“
Doch kennt sie damit die Lebenswirklichkeit vieler Patienten in Deutschland? Schließlich wird ein Großteil der Medikamente an chronisch kranke Patienten verschrieben. Und die haben es meist nicht so eilig, schließlich haben sie ja noch einen kleinen Vorrat an Medikamenten zu Hause, wenn sie sich ihr Folgerezept holen. Der bequeme Versandhandel, der noch dazu mit Preisvorteilen lockt, könnte gerade da attraktiv sein.
Dass der Umsatz der Versandapotheken momentan noch so gering ist, sieht Benedikt Bühler nicht als Grund, vorbeugende Maßnahmen wie das Rx-Versandverbot jetzt anzugehen. „Wenn das E-Rezept kommt, werden die Vor-Ort-Apotheken sterben“, ist sich der Pharmaziestudent sicher. „Großinvestoren halten schon jetzt große Anteile der ausländischen Versandapotheken, um bald saftige Gewinne abzuschöpfen.“
Gegenwind kommt jedoch auch aus den Reihen der FDP. Die Gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus findet: „Jeder Patient sollte die Wahlfreiheit haben, von wem er seine rezeptpflichtigen Arzneimittel bezieht.“ Der Versandhandel ergänze die Versorgung vor Ort.
Doch was treibt einen jungen Spross wie Benedikt Bühler, für dessen Generation es eine Selbstverständlichkeit ist, alles bei Amazon zu bestellen, an, sich für ein so traditionelles Konzept wie die Apotheke vor Ort einzusetzen? Ist es die Angst um die Zukunft der Apotheke seiner Mutter, die seit Generationen im Familienbesitz ist? Oder möchte sich der junge CDU-Politiker bei den älteren Menschen in seiner Heimat profilieren? „Arzneimittel sind Güter höherer Ordnung. Ein Medikament darf nicht auf dem Weg verloren gehen, es darf nicht zu hoher oder zu niedriger Temperatur ausgesetzt werden. In diesem Fall ist eine Versandisierung keine Digitalisierung! Deshalb halte ich an dem alten Modell fest.“
Wenn ich momentan durch meine Heimatstadt Köln radle, winken mir von allen Werbeflächen große hellgrüne Plakate der Online-Apotheke „DocMorris“ zu. „Das E-Rezept kommt“, verspricht der Versandhändler vollmundig. Das ist mehr als euphemistisch: Zwar hat der Bundestag unlängst mit dem im August 2019 in Kraft getretenen „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ die Weichen für die Digitalisierung der Medikamenten-Rezepte gestellt. Die flächendeckende Einführung des E-Rezepts wird aber sicher noch bis 2021 dauern.
„DocMorris“ ist das egal. Der Verbraucher soll schon heute an die schöne neue Welt gewöhnt werden: Medikamente mit nur einem Klick! Schnell, bequem und mit attraktiven Preisvorteilen. „Ein Medikament ist nicht ein Konsumgut wie Schuhe oder Klamotten, die ich einfach bei Amazon bestellen kann“, erklärt mir Benedikt Bühler im persönlichen Gespräch.
Der 20-jährige Pharmaziestudent aus Baden-Württemberg sieht die klassischen Apotheken durch den Versandhandel in großer Gefahr. Im Frühjahr 2019 startete er eine Petition, die ein sofortiges Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln fordert. Die Petition wurde zur erfolgreichsten Petition, die je in der Geschichte der Bundesrepublik über das offizielle Petitionssystem des Bundestages eingereicht wurde. Mit über 420.000 Unterzeichnern sprengte sie alle Rekorde. Vielbeachtete Petitionen, wie die zur Reduzierung der sogenannten Tamponsteuer (rund 82.000 Unterzeichner) sehen dagegen alt aus.
Ein Versandverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel wird von Teilen der Apothekerschaft schon seit Jahren gefordert. Durch eine Lockerung der Gesetze war es 2004 ausländischen Versandapotheken möglich geworden, Medikamente nach Deutschland zu verschicken. Spätestens seit der Europäische Gerichtshof 2016 auch noch die Preisbindung von Medikamenten für ausländische Versandapotheken aufhob, fürchteten die örtlichen Apotheken die neue Konkurrenz. Der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe setzte sich daher für ein Versandverbot rezeptpflichtiger Arzneimittel ein. Nachdem daraus in der letzten Legislaturperiode nichts mehr wurde, schrieben CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag, dass sie sich für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einsetzen werden.
Davon möchte Gesundheitsminister Jens Spahn heute allerdings nicht mehr viel wissen: Er sieht die Gefahr, dass ein Verbot des Versandhandels vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern würde. Die örtlichen Apotheken würde er deshalb viel lieber mit dem „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ schützen und die attraktiven Boni-Zahlungen, die ausländische Versandapotheken momentan Patienten bei Einlösen ihrer Rezepte gewähren, über das Sozialgesetzbuch verbieten.
Auch Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, distanziert sich inzwischen von den Absichten im Koalitionsvertrag. „Der entsprechende Passus im Koalitionsvertrag geht einzig und allein auf die Unionsfraktionen zurück“, teilt sie auf Anfrage mit.
Das Rx-Versandverbot wird auch nach dieser Anhörung vor dem Petitonsausschuss im Bundestag weiter heiß diskutiert werden. Ob sich daran die Zukunft der Apotheken vor Ort entscheidet, ist nicht sicher. Werde ich bald in Köln nur noch an grünen Werbeplakaten vorbeiradeln oder auch noch an Apotheken?
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