Bevor Dr. Martin Stürmer heute Abend bei Markus Lanz zu Gast ist, hat er den DocCheck News Fragen zum 2019-nCoV beantwortet. Vor allem die lange Inkubationszeit bereitet dem Virologen Sorge.
Seitdem bekannt ist, dass das Corona-Virus nun auch erstmals in Deutschland festgestellt wurde, bestimmt das 2019-nCoV die Berichterstattung. Dr. Lea Wask von den DocCheck News hat heute morgen ein Interview mit dem Virologen Dr. Martin Stürmer geführt und Fragen gestellt, die besonders für Mediziner relevant sind. Er ist wissenschaftlicher Leiter in einem privaten Forschungslabor für Mikrobiologie und Virologie in Frankfurt.
Lea Wask: Vor ein paar Tagen noch wurde gesagt, für Europa stelle das 2019-nCoV keine Gefahr da. Nun gibt es aber auch in Deutschland die erste Infektion und die WHO korrigierte ihre Aussage zur Gefährdungslage in Europa von „moderat“ auf „hoch“. Für wie gefährlich halten Sie das Virus mittlerweile?
Martin Stürmer: Das kann man schwer einschätzen, ich denke es ist immer besser vorsichtiger zu sein und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, als dass man zu nachlässig ist und dann kommt es doch zu einem vermehrten Ausbruch.
Das Problem ist bei diesem neuen Coronavirus die lange Inkubationszeit von 14 Tagen, in der die Infizierten noch keine Symptome haben. Sie reisen dann unbesorgt und haben Kontakt zu anderen Menschen, die sie dann infizieren können. Ich denke, grundsätzlich ist die Gefahr für Europa eher klein. Unsere Unikliniken sind gut vorbereitet, wir haben bereits schnelle Testverfahren und die ganzen Informationen zu den Fällen aus China. Bisher handelt es sich ja in Europa eher um Einzelfälle. Ich gehe davon aus, dass wir hier jetzt alle in Alarmbereitschaft sind, die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und das Virus somit in Schach halten können. Wie sich ja nun herausstellte, handelte es sich bei dem infizierten Ehepaar in Frankreich doch um eine parallele Ansteckung beider in China. Der aktuelle Fall in Deutschland ist laut RKI nun eine der drei ersten Mensch-zu-Mensch Übertragungen außerhalb Asiens. Da muss man jetzt natürlich abwarten, ob da noch was kommt.
Haben Sie in ihrem Labor für Mikrobiologie und Virologie schon etwas von dem Ausbruch mitbekommen?
Ja, wir hatten direkt Anrufe auch von Ärzten, die uns Tupferproben zusenden wollten von Patienten mit den passenden Symptomen. Wir verweisen dann aber an die Unikliniken und die Hotline vom Gesundheitsamt Frankfurt, die eigens hierfür eingerichtet wurde. Das letzte, was wir wollen, ist, dass irgendwelche Proben durch die Gegend geschickt werden, die potenziell das 2019-nCoV enthalten könnten.
Die Übertragungsrate des 2019-nCoV wird ja von Epidemiologen auf zwischen 3 und 5 geschätzt, das würde bedeuten, dass jeder Infizierte weitere 3-5 Menschen ansteckt. Denke Sie, dass diese Zahl in den nächsten Wochen noch nach oben korrigiert wird?
Auch das muss man abwarten. Die Informationen aus China und die Anzahl der Betroffenen ändern sich ja auch täglich. Erst hieß es, eine Übertragung findet nur vom Tier zum Menschen statt, dann doch auch zwischen zwei Menschen. Die Übertragungsrate scheint jetzt erstmal deutlich niedriger zu sein als die bei SARS damals. Es kann aber natürlich auch mal ein sogenannter Super-spreader dabei sein, der dann eine hohe Virusausscheidung hat und 10 oder 15 Menschen anstecken kann.
Was für ein Gesundheitsrisiko stellt das Virus für gesunde Menschen dar? Kann man davon ausgehen, dass der Verlauf bei einem Patienten ohne Vorerkrankung dem einer Grippe entspricht?
Ja, unter den Todesfällen in China sind, soweit ich weiß, bis auf einen 35-jährigen Mann nur ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Das größte Risiko besteht für Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Personen über 60 Jahren. Der klinische Verlauf scheint dem einer Grippe zu ähneln. Bisher sind respiratorische Syptome und Fieber bekannt.
Der neue Erreger hat eine große Ähnlichkeit zum SARS-Virus von 2002/2003. Was sind die Unterschiede?
Beim SARS-Virus war damals das Problem, dass der Test erst sehr spät bereitstand und das Virus lange unbekannt blieb. Bei der SARS-Infektion gab es eine relativ kurze Inkubationszeit von ein paar Tagen und wer keine Symptome hatte, galt auch für andere Menschen als nicht infektiös. Beim 2019-nCoV haben wir eine sehr lange Inkubationszeit von circa 14 Tagen und die Betroffenen können auch ohne Symptome zu haben andere Menschen anstecken. Sie reisen unter Umständen noch und können eben so das Virus verbreiten. Die Übertragungsrate war größer bei SARS, zumindest von dem, was man bis jetzt von 2019-nCoV weiß. Außerdem kamen ja bei SARS nach circa 2 Wochen auch Magen-Darm Symptome wie Diarrhö vor, da natürlich auch Erreger verschluckt werden. Von dem, was man bisher aus China mitbekommen hat, scheint dies bei 2019-nCoV nicht der Fall zu sein.
Wie würden sie die kommende Entwicklung des Ausbruchs von 2019-nCoV einschätzen? Jens Spahn sagt, Deutschland sei gut vorbereitet. Wie sehen Sie das?
Ich denke, aus China wird jetzt noch einiges kommen. Die Infektionszahlen werden in den nächsten Tagen und Wochen wohl dort noch weiter ansteigen. Ich denke aber auch, in Europa und Deutschland werden wir das ganze ganz gut in Schach halten können. Alle Unikliniken sind darauf vorbereitet, Verdachtsfälle können direkt isoliert und getestet werden. In Europa wird das Risiko vermutlich klein gehalten werden können, aber zu 100 Prozent kann man das natürlich nicht sagen. In Wuhan kamen all diese Maßnahmen ja leider zu spät. Bis die ersten Symptome auftraten, konnten Infizierte ja schon fleißig andere Personen anstecken. In China sind große Ansammlungen von Menschen ja nicht unüblich, da breitet sich so ein Virus enorm schnell aus. Die Maßnahmen, die jetzt dort ergriffen wurden, sind sinnvoll, kamen aber leider letztendlich zu spät.
Was sind konkrete Schritte, die jetzt in Deutschland prophylaktisch umgesetzt werden sollten? Was müssen Ärzte und gerade Hausärzte hierzulande beachten?
Oberste Priorität hat in diesem Fall im Moment noch die Reiseanamnese. Wenn jemand mit den entsprechenden Atemwegssymptomen und gegebenenfalls Fieber kommt, muss als erstes abgeklärt werden, ob derjenige in China war oder Kontakt zu China-Reisenden hatte. Wenn dies nicht der Fall ist, wird es sich um eine normale virale Influenza oder gängige Coronaviren handeln. Wenn ein Kontakt zu China bestand, dann müssen die Betroffenen schnellstmöglich an eine Klinik überwiesen werden. Diese sind sehr gut ausgestattet und können alle nötigen Maßnahmen ergreifen. Auf keinen Fall würde ich empfehlen, selber Abstriche zu nehmen und diese an Labore zu schicken.
Generell würde ich aber nicht in Panik verfallen. Meiner Meinung nach schadet es nicht, die gängigen Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der winterlichen Grippewelle einzuhalten. Das heißt, regelmäßig die Hände waschen, nicht offen in den Raum zu Husten oder Niesen, sondern am besten in die Armbeuge und so weiter. Wenn wir uns alle daran halten, dann können wir vielleicht als Nebeneffekt auch gleich die jährliche Influenza-Welle in Schach halten.
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Bildquelle: Nick Fewings, unsplash