Frittierte Heuschrecken, Mehlwurmschokolade, Madenrisotto. Das alles könnte zum Speiseplan der Zukunft gehören. Insekten sind gesund und können einfach gezüchtet werden. Doch wo liegen die Risiken beim Verzehr? Und welche Herausforderungen kommen auf die Medizin zu?
Bisher findet man sie höchstens in Spezialitätenrestaurants und Internet-Shops: Käfer, Seidenraupen, Würmer oder Heuschrecken. Doch das könnte sich ändern: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organisation, FAO) der Vereinten Nationen setzt sich dafür ein, mehr Insekten auf den Speiseplan zu bringen – und das durchaus auch in Europa. Sie enthalten laut FAO viele gesunde Nährstoffe wie ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Mineralien und könnten als alternative Proteinquelle dazu beitragen, die Weltbevölkerung zu ernähren. Im Gegensatz zu anderen Nutztieren seien sie einfach zu züchten und umweltfreundlich – denn Insekten können sich von organischen Abfällen ernähren, brauchen nur wenig Wasser und Landfläche und produzieren deutlich weniger Treibhausgase und Ammoniak als Rinder oder Schweine. Weltweit essen etwa zwei Milliarden Menschen Insekten – vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika. In den meisten westlichen Ländern würden die Menschen den Verzehr von Insekten jedoch mit Ekel betrachten und als primitiv ansehen, so die FAO. Vor kurzem hat sich nun die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) mit den möglichen Risiken von Insekten als Lebensmittel befasst. Dabei wertete die Behörde wissenschaftliche Studien und weitere Informationen aus und prüfte auf dieser Basis Risiken bei der Produktion, Verarbeitung, Lagerung und beim Verzehr der Krabbeltiere. Insbesondere ging es um biologische und chemische Gefahren: um Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Parasiten und um schädliche Substanzen wie Schwermetalle, Toxine oder Hormone. Außerdem wurde das Risiko für allergische Reaktionen untersucht.
Das wesentliche Ergebnis: Die Risiken hängen von einer Reihe von Faktoren ab, etwa den Verfahren, mit denen die Insekten produziert und verarbeitet werden, der Lebenszyklus-Phase und insbesondere der Nahrung der Gliederfüßer. Wenn Insekten mit zugelassenen Futtermitteln ernährt werden, entspricht das Gefahrenpotential – etwa für Krankheitserreger oder Schadstoffe – voraussichtlich dem Risiko anderer nicht-verarbeiteter Eiweißquellen, heißt es in dem Bericht. Das Risiko für Prionen sei bei Insekten gleich oder geringer als bei anderen Nutztieren, so die EFSA – vorausgesetzt, dass ihre Nahrung kein Eiweiß von Menschen oder Wiederkäuern enthält. Auch bei der Entsorgung von Abfallstoffen – etwa Ausscheidungen oder toten Insekten – können Gesundheitsgefahren entstehen. Diese können jedoch gering gehalten werden, wenn die gleichen Maßnahmen zur Abfallentsorgung wie bei anderen Nutztierarten eingesetzt werden, so der EFSA-Bericht. „Wenn Insekten nach den gesetzlichen Vorschriften der Lebensmittelherstellung in Europa gezüchtet, gefüttert, verarbeitet und gelagert werden, sind die Risiken beim Verzehr vergleichsweise gering“, sagt auch Birgit Rumpold vom Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim e. V.
Allerdings gibt es zum Thema „essbare Insekten“ noch eine ganze Reihe offener Fragen. So sind laut EFSA-Informationen zu chemischen Schadstoffen und Krankheitserregern, die Wirbeltiere befallen, noch sehr begrenzt. Ebenso fehlen systematische Daten zum Insektenverzehr beim Menschen. „Weitere Forschung zu diesen Themen ist dringend zu empfehlen“, betont das Wissenschaftlerkomitee. Tatsächlich können von Insekten weitere Risiken ausgehen. So können Menschen, die gegen Hausstaubmilben oder Schalen- und Krustentiere allergisch sind, eine Kreuzallergie gegen Insekten entwickeln [Paywall]. „Insekten enthalten Tropomyosin, und es gibt Hinweise, dass sie weitere Substanzen mit allergenem Potential enthalten können“, erklärt Rumpold. „Deshalb ist es wichtig, Insekten als Inhaltsstoff in Lebensmitteln deutlich zu kennzeichnen – ähnlich wie dies bei Nüssen der Fall ist.“ Als allergische Symptome können Hautausschläge, Entzündungen von Augen und Nase, Schwellungen oder Asthma auftreten. Ein Risiko besteht auch für Menschen, die häufig Kontakt mit Insekten haben – also etwa für Arbeitskräfte in Insektenfarmen oder Köche, die Insekten zubereiten. „Bei den meisten Menschen besteht jedoch ein geringes Risiko, beim Konsum oder Kontakt mit Insekten allergisch zu reagieren“, heißt es in einem Bericht der FAO. Wenig bekannt ist auch über die Auswirkungen des Chitins, einem Bestandteil des Exoskeletts von Insekten. „Studien deuten darauf hin, dass Chitin antimikrobielle Wirkungen hat und sich positiv auf die Immunabwehr auswirken kann“, sagt Rumpold. „Auf der anderen Seite könnte es auch allergische Reaktionen auslösen. Zudem weiß man wenig darüber, ob Chitin beim Verzehr abgebaut wird – und wie es sich auswirkt, wenn große Mengen Chitin gegessen werden.“ Auch hier sind weitereForschungsarbeiten notwendig. Allerdings ist es möglich, das Chitin vor dem Verzehr zu entfernen. Studien zufolge führt dies zur besseren Aufnahme der Proteine und einer erhöhten Verdaulichkeit.
Anders als in Europa, wo für Lebensmittel strenge Qualitätskontrollen gelten, können in anderen Regionen der Welt noch ganz andere Gesundheitsgefahren auftreten. So werden viele der 1.900 Insektenarten, die weltweit gegessen werden, einfach in der Natur gesammelt – oder unter weniger strengen Bedingungen aufgezogen. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass sie Krankheitserreger oder schädliche chemische Substanzen – etwa Schwermetalle oder Pestizide – enthalten. Auch eine ungeeignete Verarbeitung oder Lagerung kann zu schweren gesundheitlichen Problemen führen. So wurden beim Genuss von Insekten bereits Fälle von Lebensmittelvergiftungen durch verdorbenes Fleisch oder Pilzgifte (Aflatoxine), Parasitosen und Zoonosen beschrieben. Darüber hinaus können manche Insekten zu Vergiftungen führen, wenn sie nicht auf eine bestimmte Art verarbeitet werden. So kann der Verzehr afrikanischer Seidenraupen, die nicht ausreichend mit Wärme behandelt wurden, Ataxie-Symptome und Bewusstseinsstörungen auslösen. Bei anderen Arten müssen giftige Stacheln oder Haare entfernt, die Tiere ausreichend lang in Wasser eingeweicht oder für längere Zeit gekocht werden. Schließlich können essbare Arten mit giftigen verwechselt werden – etwa bei manchen Grashüpfer- oder Käferarten in Afrika. Ärzte in den Tropen sollten bei entsprechenden Symptomen auch nach dem Konsum solcher Insekten fragen. Zudem kommt Aufklärung eine wichtige Rolle zu. „Es ist es wichtig, die Betroffenen über die richtige Handhabung, Verarbeitung und Lagerung von Insekten zu informieren“, schreibt Hans G. Schnabel von der University of Wisconsin im Bericht der FAO.
Solche ausgefallenen oder gar giftigen Insekten werden in Europa wohl nicht auf den Markt kommen. Das größte Potential als Lebens- oder Futtermittel besteht hierzulande laut EFSA für Stubenfliegen, Mehlwürmer, Grillen und Seidenraupen. Es ist jedoch fraglich, ob Insektengerichte in Europa je einen großen Markt ausmachen werden. „Dazu müssten zunächst kostengünstige, automatisierte Aufzuchtbetriebe entwickelt werden, in denen sichere Insektenprodukte hergestellt werden können“, schreibt Arnold van Huis [Paywall] von der Wageningen Universität in den Niederlanden. Außerdem müssten Strategien entwickelt werden, um die Akzeptanz essbarer Insekten zu erhöhen und ihre Vorteile für die Umwelt deutlich zu machen, so van Huis. „Im Bereich der Futtermittel besteht eine realistische Chance, Insekten als umweltfreundliche Alternative zu Fischmehl oder Soja in großem Umfang einzusetzen“, sagt Birgit Rumpold. „Essbare Insekten werden aber in Europa wohl eher eine exotische Nische bleiben.“ Originalpublikation: Risk profile related to production and consumption of insects as food and feed EFSA Scientific Committee; EFSA Journal, doi: 10.2903/j.efsa.2015.4257