In der Klimadiskussion wurde ein neuer Bösewicht identifiziert: Übergewichtige Patienten. Sie sollen den Klimawandel beschleunigen, schreiben Forscher. Für mich wird hier eine rote Linie überschritten.
Adipositas schadet der Gesundheit. Sie geht mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko einher. Und: Sie schadet dem Klima. Dazu gibt es jetzt Studienergebnisse. Wie ist mit dem neu erkorenen Schuldigen zu verfahren?
In der renommierten Zeitschrift Obesity wird darüber berichtet, welchen ökologischen Fußabdruck adipöse Menschen verursachen. Faidon Magkos von der Universität Kopenhagen wollte es genau wissen und kommt auf plus 20 Prozent, verglichen mit Normalgewichtigen. „Auf globaler Ebene trägt Adipositas zu zusätzlichen Treibhausgas-Emissionen von rund 49 Megatonnen CO2-Äquivalent pro Jahr aus dem Stoffwechsel, 361 Megatonnen pro Jahr aus der Nahrungsmittelproduktion und 290 Megatonnen pro Jahr aus dem Automobil- und Lufttransport aufgrund des höheren Körpergewichts bei“, schreibt er im Artikel. „Die Gesamtauswirkungen der Fettleibigkeit können daher zusätzliche Emissionen von etwa 700 Megatonnen CO2-Äquivalent pro Jahr sein, was etwa 1,6 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen entspricht.“
Medizinisch betrachtet ist Übergewicht gesundheitsgefährdend, also keine gute Sache. Und nun kommt auch noch heraus, dass die „Adibösen“ dem Klima schaden. Was heißt das jetzt? Auf sie mit Gebrüll? Wissenschaftlich betrachtet ist die Erderwärmung samt ihrer Folgen nicht anzuzweifeln – traurige Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber übergewichtige Menschen einfach als einen weiteren Schädling neben Fabriken, Flugzeugen oder Vulkanen einreihen? Das geht meiner Ansicht nach entschieden zu weit.
Wenn man böse wäre, könnte man den Gedanken noch weiterspinnen. Versagen sowohl Lifestyle-Änderungen als auch psychologische Programme, unterziehen sich stark übergewichtige Patienten Eingriffen der bariatrischen Chirurgie. Aber Achtung: Auch in der Anästhesie lauert das Böse. Der Kohlendioxid-Abdruck kann hier weit nach oben schnellen. Schließlich sind Narkosegase wahre Klimakiller. Desfluran etwa hat ein relatives Treibhauspotential von 2.540 (Kohlendioxid: 1) und verbleibt rund 14 Jahre in der Atmosphäre. Im Vergleich dazu liegt das relative Treibhauspotential von Sevofluran bei 130, und das Gas ist etwa 1,1 Jahre in der Atmosphäre stabil. Also besser dem Klima zuliebe doch nicht operieren? Das bleibt offen.
Nebenbei erwähnt wird Adipositas heute nicht mehr als konstitutionelle „Normvariante“ verstanden, sondern als chronische Erkrankung, die darüber hinaus in der Gesellschaft mit Stigmata behaftet ist. Wie sinnvoll beziehungsweise fair ist es, genau diese Gruppe jetzt in den Fokus der Klimadiskussion zu rücken? Darüber lässt sich streiten. Ich halte den Denkansatz nicht für konstruktiv, sondern für ziemlich gefährlich.
Für mich stellt sich die Frage: Darf Forschung wirklich alles? Sie darf viel, aber alles darf sie meiner Meinung nach nicht. Sichert das Thema „Klimawandel“ automatisch Plätze in guten Fachzeitschriften? Oder geht es vielmehr um neue gewinnbringende Präparate?
Zwar erklären die Autoren der Studie, dass es keinen Conflict of Interest gibt, allerdings nennt Arne Astrup, er hat die Letztautorenschaft beim Artikel, dennoch diverse Punkte an entsprechender Stelle: Beratungsgremien mehrerer Lebensmittel- und Pharmaproduzenten, Aktienoptionen bei Gelesis AS, Boston, Massachusetts und finanzielle Unterstützung von DC-Ingredients, von der Danish Dairy Foundation, der Global Dairy Platform und von der Gelesis AS.
Dass es eine gute Sache ist, wenn übergewichtige Menschen abnehmen, steht völlig außer Frage. Dass nun das Klima als Anlass dafür herhalten soll, halte ich allerdings für absurd.
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