BEST OF BLOGS | Die Ansteckungsgefahr für Infektionen unterschiedlichster Art ist in einem Krankenhaus enorm. Es strotzt dort nur so vor Keimen. In diesem Beitrag geht es um die größten Gefahrenquellen.
Bei kaum einem Thema klaffen Anspruch und Wirklichkeit so auseinander wie beim Thema Hygiene im Krankenhaus. Sinnvollen Vorschriften stehen oftmals leichtsinnige Handlungen im Klinikalltag gegenüber, über die man mit etwas Abstand nur den Kopf schütteln kann.
Vorausgeschickt sei, dass ich schon sehr früh im Elternhaus erzogen wurde, auf die Hygiene in meiner Umgebung zu achten. Der Satz „Dreck härtet ab“ galt bei uns nicht. Mein Vater (ein Arzt, das nur zur Erklärung) ging – so sah ich es zumindest damals – mit einem richtigen Hygiene-Spleen durch die Welt. Ein Beispiel: Die Türen öffentlicher Toiletten wurden grundsätzlich nur mit dem Unterarm geöffnet oder ganz oben angefasst, um selbige zu öffnen und hindurchzugehen. Ich habe ihn oft bei derlei Verrenkungen beobachtet und geschmunzelt. Manchmal war es mir aber auch – sorry Papa – ganz einfach nur peinlich. Die beste mir bis heute in Erinnerung gebliebene Geschichte, auf die er heute noch sehr stolz ist, beschrieb er mir auf seine unnachahmliche Art detailverliebt und ausführlich und die geht so:
Es war morgens irgendwann in den Siebzigern und er stand vor einem Waschbecken auf einem Campingplatz, um sich die Zähne zu putzen. Dabei fiel ihm – und jetzt wirds dramatisch – aber die Kappe der Zahnpastatube wie eine trieselnde Roulettekugel genau in eben dieses Waschbecken. Und natürlich war es wie beim fallenden Marmeladenbrot: Der Verschluss kullerte genau mit der Schraubseite, also der „guten Seite“, auf den Ausguss. Für Hygiene-Fanatiker wie für meinen Vater die reinste Katastrophe und ein veritabler Konflikt, denn schließlich war es eine ganz neue Tube. Was sollte er tun? Ein echtes Dilemma.
Dabei reifte der folgende und sofort in die Tat umgesetzte Entschluss: Die Tube muss entsorgt werden. Entschlossen pfefferte er die Zahnpastatube samt Verschluss in den Mülleimer. Die Vorstellung, wie viele Keime und Bakterien sich in wenigen Momenten allein in dieser Kappe hätten versammeln können, ließ ihn noch lange danach sichtbar erschauern. Damals, als ich die Geschichte erstmals hörte, sah ich ihn ungläubig an und meinte: „Papa, ich glaube du hast da ein klitzekleines Problem, stell dich doch nicht so an!“ Andererseits war es für mich nicht sonderlich überraschend. Es passte ins Muster. Arzt eben, es war ja nicht der einzige Spleen.
Cut! Mit meiner Krebserkrankung und vor allem mit der darauffolgenden Stammzelltransplantation begriff ich die Sichtweise meines Vaters. Gerade durch die Schutzmaßnahmen, die ich durch die Transplantation berücksichtigen musste, wurde mir bewusst, wo überall Ansteckungsgefahren lauerten und welche Konsequenzen im schlimmsten Fall drohten. Allein drei Lungenentzündungen sollten als Beweis genügen, längst habe ich Abbitte bei meinem Vater getan und gehe jetzt selbst meiner Umgebung auf die Nerven. Auf die Hygiene-Nerven.
Und da kommt niemand völlig ungeschoren davon, auch nicht die Ärzte. Ich möchte mit einigen Hygiene-Fails beginnen, die man beim Klinikpersonal beobachten kann. Ganz vorne dabei: Der Bazillenkugelschreiber, den Ärzte in ihrer Jackentasche tragen.
Wenn man sich einmal auf dieses Thema, also auf Kugelschreiber in den Kitteln von Ärzten und Krankenschwestern, einlässt, wird einem schlecht, gab Schwester Karo zu. Vor Jahren hatte sie einmal einen Bericht über die unterschätzten Gefahrenquellen bei der Übertragung von Krankheitserregern gesehen. Zu ihrem großen Erstaunen waren das die Kugelschreiber der Ärzte und des Pflegepersonals. „Das leuchtet völlig ein. Die sind die dicksten Keim-U-Boote. Wir gehen damit von Zimmer zu Zimmer und nehmen alles mit, was sich so ansammelt. Es ist schwierig, darauf zu achten. Das sind einstudierte Abläufe. Du musst notieren und dokumentieren, da ist ein Kuli immer dabei.“ Und sie kenne niemanden, der einen Kugelschreiber, etwa nach einer Schicht mit einem Desinfektionstuch, abwischt.
Blöd für mich, ich nahm immer mehr die Sichtweise von Schwester Karo ein und schärfte meine Wahrnehmung für mögliche Gefahrenquellen. Leider fand ich sie auch. Wie gesagt, ich bin stammzelltransplantiert und stehe bis heute unter Immunsuppression. Mein persönliches „Negativ-Highlight“ war die Aufnahmestation in der Notaufnahme. Klar, hier muss alles immer „schnell, schnell“ gehen. Der Patientendurchlauf ist immens. Gerade in Berlin an einem Glatteisabend. Ich war wegen Verdachts auf Lungenentzündung – mal wieder – hier. Die Lunge ist meine GvHD-Achillesverse (hi, hi).
Ich war ja schon happy, dass ich nicht auf dem proppevollen Flur liegen musste, sondern für eine Nacht ein Zimmer auf der Aufnahmestation beziehen durfte. Denn da schniefte und hustete es munter. Als ich ein paar Sachen in den Schrank legen wollte, sprang mir der Anblick eines benutzten, herrenlosen Herrenkamms entgegen. Meinen Einräummodus habe ich innerhalb von Millisekunden angeekelt eingestellt und legte alles brav zurück in meinen Koffer. Auf den Nachttischen waren Blutspritzer zu sehen, dazu wiesen sie sowohl frische als auch ältere Gebrauchsspuren auf. Auch die Wände hatten so einiges abbekommen. Grusel. Möglichst nichts anfassen und raus hier, aber pronto, hörte ich meine innere Stimme sagen.
Ebenfalls erwähnen möchte ich einen eigentlich selbstverständlichen Punkt: das Anschließen von Infusionen ohne den Einsatz von Handschuhen. „Liebes Pflegepersonal, das geht überhaupt nicht!“ Jetzt sagt jeder wahrscheinlich: „Ach Quatsch, das kommt doch nicht vor.“ Da muss ich leider widersprechen, denn genau das habe ich leider gerade im Rahmen der häuslichen Pflege häufiger erleben müssen. Auch wird gerne mal „vergessen“, die blauen Plastiküberzieher über die Schuhe zu ziehen, wenn die Damen (manchmal auch Herren) die Wohnung betreten. Es muss ja fix gehen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es Patienten schwer fällt, ihnen regelrecht unangenehm ist, dieses Verhalten anzumahnen, aber das sollte jede/r aus unbedingtem Eigeninteresse tun. Und noch ein letztes: Der Mundschutz bei Erkältung, wenn die Armen denn schon Dienst tun müssen, anstatt sich zu Hause selbst zu pflegen, sollte zum Pflichtprogramm jedes pflegenden „Einsatzkommandos“ gehören. Was nützen die besten Vorschriften, wenn die Keime „zu Besuch“ kommen.
So viel zum Klinikpersonal. Natürlich lauern schädliche Keime aber nicht nur dort, sondern sind auch bei jenen Menschen zu finden, die nicht zum Arbeiten ins Krankenhaus kommen. Womit wir beim Ursprung zahlreicher Keimschleuder-Eskalationen angelangt sind: den Patienten. Auf welche Weise die Erreger hier in die Welt, oder besser gesagt, erstmal in das Krankenhaus gebracht werden, ist vielfältig. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Im Folgenden liste ich einige Faktoren auf, die es Infektionen erleichtern, sich in Ruhe auszubreiten.
4. Dreckschleuder Gepäck
Vorhang auf: Der Rollkoffer. Dieses Behältnis, das gerade noch über die Straße gescheppert war, wurde schwungvoll und beherzt auf das frisch bezogene Krankenbett geschleudert. Und das obwohl die Rollen auf der Straße mit Hundescheiße, Kaugummi oder verkrusteten Essensresten in Berührung gekommen sein könnten – nach Sonnenbestrahlung wahlweise stinkend oder klebend.
5. Das heilige Patientenbett
Zurück im Krankenzimmer: Keine Spur von Umsicht. Der schwere Trolley samt Rollen lag nun dick, fett und bräsig auf dem Bett und wurde ausgepackt. Tüten und Taschen, die vorher ebenfalls auf dem Boden gestanden hatten, umsäumten ihn, natürlich auch auf dem Kopfkissen. Oft genug habe ich mitbekommen, wie ein benutztes Bett in ein „neues, sauberes Bett“ verwandelt wird, für die Hilfskräfte ist das ein enormer Akt, an dessen Ende immer eine abdeckende Plastikfolie steht. Ein „neues Bett“ ist heilig, wehe, man legt sich als Mitpatientin darauf, oder etwas ab (oder Besuch setzt sich gar darauf) und jetzt das!
Den nächsten „Hygieneschock“ bekam ich, als meine Bettnachbarin ohne Schuhe durchs Zimmer huschte und im Bad verschwand. Überflüssig zu erwähnen, dass sie zum Duschen keine Badelatschen trug. Weiß sie denn nicht, wo wir hier sind? Das Pflegepersonal läuft von Zimmer zu Zimmer und trägt alles mit rein, was unter den Sohlen kleben bleibt, der Besuch von draußen nicht zu vergessen. Und sie läuft jetzt barfuß durchs Zimmer und nimmt den Dreck auch noch unter die Decke an das Fußende ihres „Kuschelbettchens“? Bei mir kommen bei dieser Thematik immer so lustige Bilder wie in einem Erklärfilm der „Sendung mit der Maus“ hoch. Eins ist sicher: Mein Daddy hätte beim „Barfußwalk“ Schnappatmung bekommen. Und ich war ehrlich gesagt kurz davor.
Komisch, dachte und denke ich immer mal wieder, da gehen die mangelnden hygienischen Verhältnisse in Krankenhäusern durch alle Medien und trotzdem verhalten sich Patienten so leichtsinnig. Klarer Fall von „kognitiver Dissonanz“ – so hat man ja auch schon mal was von rauchenden Ärzten gehört, obwohl sie doch am besten wissen sollten, dass „Rauchen ihrer Gesundheit schadet“. Ich unterhielt mich dazu einmal mit Schwester Karo, die eine Zusatzausbildung zur Hygieneschwester gemacht hatte.
„Ja, es stimmt, die Hygiene in Krankenhäusern ist immer ein Aufregerthema, besonders bei dem drückenden Personalmangel. Man kann nicht so, wie man eigentlich müsste. Daher rate ich jedem Patienten dringend, erst einmal sehr auf sich selbst zu achten. Damit wäre schon eine ganze Menge gewonnen. Das fängt bei der Fernbedienung am Bett an, die sollte man immer noch einmal gründlich selbst reinigen, und hört mit den Tasten in den Aufzügen und am Geldautomaten im Foyer auf. So oft wie möglich Hände desinfizieren und nicht so häufig ins Gesicht fassen. Die Augen, das wissen erstaunlich wenige, sind eine ideale Pforte für Keime und Bakterien. Von Türklinken und Toilettenbrillen möchte ich erst gar nicht sprechen.“
Wie gut, dass ich immer ein Desinfektionsfläschchen in der Handtasche habe, dachte ich. Aber auch ich machte immer wieder Fehler. Wollte ich doch im Beisein von Karo einen benutzten Gummihandschuh aufheben. Sie schaute mich oberstreng an: „L i e g e n l a s s e n! Der Boden ist tabu!“
Ebenfalls nicht so prickelnd sind Außentoiletten vor den Krankenzimmern, die gerne von sechs Patienten – männlich wie weiblich – benutzt werden. Ich erspare mir und dem/r geneigte/n Leser/in ausgeschmückte Beschreibungen zu diesem Thema. Hier geht man am besten nie ohne Desinfektionsmittel rein. „Meine“ Hygieneschwester meinte dazu nur trocken, „Es wird schon eine Menge gemacht, dennoch braucht man hier eine spezielle Oberfächendesinfektion, um sicher zu gehen.“ Ach so. Ich weiß nicht, ob meine liebe Bettnachbarin deswegen später einen Keim hatte, aber besonders gewundert hätte es mich nicht.
Wir müssen leider noch etwas auf dem „Stillen Örtchen“ bleiben, denn eine Sache liegt mir noch am Herzen: Besucher haben eindeutig nichts, wirklich nichts auf Patiententoiletten zu suchen. Natürlich ist es verführerisch, das zimmereigene WC zu benutzen, wenn die Blase drückt, allein es ist eindeutig tabu! Für Besucher aller und jeder Art: Für Freundinnen, für Arbeitskolleginnen, für Familienangehörige. Über „Stehpinkler“ (ja, die gibt es noch) und Männer, die sich „danach“ nicht die Hände waschen (ich hörte davon), will ich erst gar nicht reden. Patienten sind einfach geschwächt und anfällig für alle möglichen Infekte. Jeder, der das nicht beherzigt, gefährdet die Gesundheit und Genesung der Patienten. Das sollte einem klar sein.
Den Auftakt meiner inneren Kehrtwende in puncto Hygiene machte übrigens ein familiäres Déjà-vu. Der „Zahnpastaverschluss-Fall“ ereignete sich nämlich auch bei mir, allerdings in einem anderen Setting, nämlich auf der Onko-Station in einem Dreibettzimmer. Da sich mir diese „Verschluss-Sache“ so in mein Gedächtnis eingebrannt hatte, tat ich, was ich tun musste: Ab in die Tonne mit der Tube.
Meine Dreibettmitbewohnerinnen schauten mich entgeistert an. „Die hat einen an der Waffel“, stand auf ihren Stirnen geschrieben. In Leuchtdiodenschrift! „So ein bisschen Dreck härtet doch ab“. Lange nicht mehr gehört, diesen Spruch, aber da kam er wieder. Der größte Teil der Menschheit (also die ohne hygienisch wachsamen Vater) ist schließlich so erzogen worden. Sie konnten mir nicht ganz folgen, um es zurückhaltend zu beschreiben. Ich wiederum staunte – je länger und je häufiger ich „auf Station“ war – über die Unbekümmertheit beziehungsweise Gedankenlosigkeit meiner lieben Mitpatientinnen im Hygienekontext.
Okay, ich hatte – siehe oben – einen väterlichen Startbonus, aber Hygiene kann jeder lernen. Ich habe mich ja auch jahrelang gewehrt. Das Bewusstsein sollte schon aus reinem Selbstschutz geschult werden. Das hat wenig mit Paranoia zu tun, sondern mit Eigenverantwortung. Man kann nicht alles auf die Putzkräfte, das Pflegepersonal oder die Ärzteschaft im Krankenhaus schieben, das wäre wirklich zu einfach. Kein Patient darf die Eigenverantwortung mit der Anmeldung abgeben, meine ich, und das betrifft eben auch den Bereich der Hygiene. Und: Ein apartes, kleines Desinfektionsfläschchen (gibt's in allen Drogerieketten zumeist gleich am Eingang) findet in jeder Tasche ein Eckchen. Neben Taschentüchern, Lippenstift und Schminkspiegel. Ganz sicher.
Dieser Beitrag gehört zu dem Blog „Zellenkarussell. Mit der Krankheit dreht sich das Leben plötzlich schneller“.
Bildquelle: Louis Reed, unsplash