Ein 45-Jähriger stellt sich mit Thoraxschmerzen in der Notaufnahme vor. Alles deutet auf einen Herzinfarkt hin. Doch den Grund für die Auffälligkeiten finden die Ärzte am Ende woanders.
Ein 45-jähriger Mann mit bekannter Alkohol- und Nikotinabhängigkeit stellt sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses in den USA vor. Seit 36 Stunden hat er Oberbauchschmerzen und linksseitige Thoraxschmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Hinzu kommen Übelkeit und Dyspnoe. Palpitationen, präsynkopische Symptome, Orthopnoe, nächtliche Dyspnoe oder Unterschenkelödeme liegen nicht vor.
Seine medizinische Vorgeschichte und Familienanamnese sind unauffällig. In der klinischen Untersuchung beträgt sein Blutdruck 156/101mmHg, der Puls liegt bei 75bpm. Sowohl der Gefäßstatus als auch die Auskultation des Herzens und ein bettseitiges TEE sind unauffällig. Die Laboruntersuchungen ergeben eine Hypokaliämie, normale Troponinwerte sowie erhöhte Lipase und Amylase-Spiegel. Ein erstes EKG zeigt 1 Milimeter ST- Hebungen, T-Inversionen und biphasische T-Wellen in der Rechtsherzableitung. In einem zweiten EKG 40 Minuten später bestehen weiterhin ST-Hebungen und tiefe T-Inversionen in V1-V3.
Spätestens jetzt dürften bei den Ärzten sämtliche Alarmglocken schrillen. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden vermuten sie eine Stenose der LAD im Rahmen eines Wellens-Syndroms. Dieses äußert sich typischerweise in geringfügigen ST-Hebungen, negativen T-Wellen, fehlenden pathologischen Q-Zacken sowie minimal bis gar nicht erhöhten Herzenzymen. Meist steht ein Myokardinfarkt kurz bevor. Sofort führen die Kardiologen eine invasive Koronarangiographie durch – doch das Ergebnis überrascht sie: Die Herzkranzgefäße sind unauffällig, keine Stenosen, keine Atherosklerosen. Lediglich die RCA hat einen anormalen Ursprung vom gegenüberliegenden Sinus aortae. Doch all das kann die Symptome des Patienten nicht erklären.
Die Ursachenforschung beginnt von vorne und lenkt den Fokus der Ärzte nun auf die erhöhten Lipase und Amylase-Spiegel des Patienten. Starker Alkoholkonsum, veränderte Laborwerte, Oberbauchschmerzen – vielleicht eine akute Pankreatitis? Mit dieser Verdachtsdiagnose starten die Ärzte eine ausgiebige Flüssigkeitssubstitution und medikamentöse Schmerztherapie.
Nur 24 Stunden nach seiner Einlieferung sind sowohl die Brustschmerzen als auch die EKG-Veränderungen und die Hypokaliämie Geschichte. Auch die Bauchschmerzen klingen langsam ab. Alle weiteren Untersuchungen geben keine Hinweise mehr auf eine Myokardischämie. Warum eine akute Pankreatitis derartige EKG-Veränderungen hervorrufen kann ist bislang nicht bekannt. Bei derartiger Symptomatik mit normalen Herzenzymen sowie erhöhten Lipase- und Amylase-Werten sollte sie von Medizinern jedoch stets in Erwägung gezogen werden.
Text- und Bildquelle: Effoe et al. / Journal of Medical Case Reports
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