Schon bald sollen Ärzte Apps verordnen können. Doch wie geht das genau? Und wer zahlt? Wir haben versucht, diese Fragen zu beantworten. Spoiler: Gar nicht so leicht.
„Digitale Lösungen können den Patientenalltag konkret verbessern“, sagte Bundegesundheitsminister Jens Spahn vor rund drei Monaten. „Darum gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept. Das ist Weltpremiere. Deutschland ist das erste Land, in dem digitale Anwendungen verschrieben werden können. Mit diesem Gesetz machen wir die Versorgung digitaler – und besser.“ “
Das sind große Worte, die Jens Spahn da ausspricht. Was bedeutet das konkret?
Ab wann dürfen Ärzte die erste App verordnen? Wahrscheinlich erst ab Mitte 2020. Zwar hat Spahns Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) alle parlamentarischen Hürden genommen. Es regelt aber keine Details.
Ärzte warten auf Spahns Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) – und die befindet sich noch im Stadium eines Referentenentwurfs. Ziel ist laut Bundesgesundheitsministerium eine „Benennung der Anforderungen an Funktionstauglichkeit, Sicherheit, Qualität, Datenschutz und -sicherheit“ sowie eine „Operationalisierung der rechtlichen Anforderungen in verständlichen Prüfanforderungen“. Konkret handelt es sich um Rahmenvorgaben für die Entwicklung und die Prüfung.
Nicht jede App wird erstattet. Der Weg dahin? Auf Antragstellung von Entwicklern überprüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Kriterien rund um die Technik und den Datenschutz, teilweise nur auf Basis von Herstellerangaben. Zu dem Zeitpunkt muss auch nur „plausibel“ begründet werden, welchen Benefit Apps im medizinsichen Alltag bringen.
Läuft alles glatt, wird die App spätestens drei Monate nach der Antragstellung in einem noch zu implementierenden Verzeichnis beim BfArM veröffentlicht und kann zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen verordnet werden. Dem Hersteller bleiben dann zwölf Monate, um anhand von Daten nachzuweisen, dass seine Anwendung positive Effekte in der Regelversorgung zeigt.
Listen gibt es aber noch nicht. Dem BMG zufolge würden aber beispielsweise Apps zum Selbstmanagement etwa von Diabetes, Asthma, Migräne oder Rückenschmerzen finanziert. Manche Programme unterstützen die regelmäßige Einnahme von Medikamenten oder helfen bei der Erfassung von Vitalparametern. Kein Geld wird es für Lifestyle- und Wellness-Apps, etwa Schrittzähler oder Fitnesstracker, geben.
In der DiGAV findet man dazu kaum Details. Bisher ist bekannt, dass Apps vom BfArM gelistet werden müssen und dass GKVen zunächst für ein Jahr die Kosten übernehmen.
Laut Handelsblatt wollte das Bundesgesundheitsministerium alle Apps über eine eigene Plattform zum Download anbieten - um für besseren Datenschutz zu sorgen, aber auch, um Geld zu sparen. Auch über einen Download per elektronischer Patientenakte wird nachgedacht. Nur existiert die ePA eben nicht.
Ein offenes Portal würde für Android wohl funktionieren, Apple macht aber Probleme, denn der Gigant beharrt auf dem eigenen Portal. Das mag an höheren Gewinnen beim direkten Download über eigene Plattformen liegen, aber auch am Interesse, Gesundheitsdaten zu bekommen und weiter zu vermarkten.
Für die Verordnung von Apps gibt es kein eigenes Honorar. Allerdings können „ärztliche Leistungen für die Versorgung“ abgerechnet werden, falls Mediziner weitere Leistungen in Zusammenhang mit Apps erbringen.
„Bei Haftungsfragen sind die analoge und die digitale Welt durchaus vergleichbar“, sagt Miriam Schuh im Gespräch mit DocCheck. Sie ist Rechtsanwältin bzw. Teamleader Healthcare bei Reuschlaw Legal Consultants und berät im Medizinprodukterecht, im Medizinrecht sowie im Bereich e-Health.
Schuh: „Mediziner haften bei der Verletzung ihrer ärztlichen Sorgfaltspflicht.“ Dazu zählen Aufklärungs-, Dokumentations- und Behandlungsfehler – auch in Bezug auf von ihnen verordnete Apps.
„Ärzte müssen sorgfältig hinterfragen, ob sich eine App bei einer gewissen Grunderkrankung wirklich eignet“, ergänzt die Expertin. „Dann gilt es, Patienten anhand der Daten des Herstellers sorgfältig aufzuklären – auch zu möglichen Risiken wie einem Funktionsausfall oder falschen Werten.“
Schuh weiter: „Insofern ist es wesentlich, dass sich Ärzte mit den diagnostischen bzw. therapeutischen Funktionen der jeweiligen App auskennen und ihrerseits vom Hersteller aussagekräftige Gebrauchsinformationen zu einer App erhalten.“ Die Aufklärung von Patienten sei wie gehabt zu dokumentieren.
„Wird eine App aus der BfArM-Liste verordnet und kommt es beispielsweise aufgrund fehlerhaft wiedergegebenen Werten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, muss der Arzt dafür nicht geradestehen.“
Hier unterscheide sich die App nicht von der Prothese oder dem Röntgengerät; bei Fehlfunktionen hafte der Hersteller. „Dennoch müssen Ärzte die ‚Ergebnisse‘ einer App hinterfragen, falls sich Patienten mit wenig plausiblen Werten melden“, ergänzt Schuh. Dann sei die Anwendung zu beenden; es reiche nicht aus, sich auf die Herstellerhaftung zu berufen, wenn aus fachlicher Sicht Zweifel an der Richtigkeit bzw. Plausibilität von App-Ergebnissen angezeigt seien.
„Risiken im Zusammenhang mit einer App können sowohl von Patienten, Fachkreisangehörigen aber auch den Herstellern erkannt und angezeigt werden“, berichtet Schuh. In letzter Instanz entscheide das BfArM, wie im Detail weiter vorzugehen und welche Markmaßnahmen zum Schutz der Patienten zu treffen seien.
Genaue Abläufe gibt es noch nicht. Denkbar ist, dass das BfArM Ärzte, Kliniken oder gesetzliche Krankenkassen mit einbezieht – wegen ihres direkten Kontakts zu Patienten.
Laut DVG und DiGAV müssen Hersteller innerhalb von zwölf Monaten nachweisen, dass ihre App patientenrelevante Endpunkte verbessert, etwa die Lebensqualität erhöht, Vitalparameter verbessert oder die Morbidität bzw. Mortalität verringert. Diagnostische Apps dürfen hinsichtlich ihrer Spezifität und Sensitivität mit ähnlichen Produkten vergleichbar sein.
„Gelingt dies nicht, werden entsprechende Apps aus dem BfArM-Verzeichnis gestrichen, die GKVen werden die Kosten nicht mehr übernehmen“, sagt Miriam Schuh „Patienten bleibt nur, auf die App zu verzichten oder selbst alle Kosten zu übernehmen.“ Darauf hätten Ärzte keinen Einfluss – und sie hätten folglich fachlich damit auch nichts zu tun.
Wir erinnern uns noch mal an den Beginn des Artikels und Spahns Worte:
„Digitale Lösungen können den Patientenalltag konkret verbessern. Darum gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept. (...) Mit diesem Gesetz machen wir die Versorgung digitaler – und besser.“
Ob es die Versorgung verbessert, ist schwer zu beurteilen. Denn nahezu alle Fragen in bezug auf das Verschreiben von Apps können derzeit vom zuständigen Bundesgesundheitsministerium nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Oder ist euch schon klar geworden, wo der Patient die App nun lädt und wie er die 5,99 Euro von seiner Krankenkasse easy zurückerstattet bekommt?Bildquelle: Lidya Nada / Unsplash