04. Februar 2020: Experten zweifeln an Statistiken zur aktuellen Lage. Ein Startup hatte die Epidemie mithilfe künstlicher Intelligenz schon kommen sehen. Und Ärzten bleibt nur noch, das Schlimmste zu verhindern.
Weltweit sind inzwischen über 20.600 Menschen am neuen Coronavirus erkrankt und 427 gestorben (Stand: 4. Februar, 14:10 Uhr). Wissenschaftler beginnen jedoch, die Statistiken infrage zu stellen. Ihre Skepsis beruht auf mathematischen Modellierungen.
Joseph T. Wu von der University of Hong Kong hat versucht, das wahre Ausmaß zu simulieren. Er verwendete nicht nur offizielle Fallzahlen, sondern statistische Daten zum Reiseverhalten aus 2019. Als Hypothese arbeitete Wu außerdem mit Daten von SARS – eine vereinfachte Hypothese.
Sein Ergebnis überrascht trotz der für solche Berechnungen üblichen Unsicherheit: Laut Wu hätte zwischen dem 1. Dezember 2019 und dem 25. Januar 2020 jede mit 2019-nCoV infizierte Person im Durchschnitt 2 bis 3 gesunde Menschen infiziert. Er rechnet schon in dieser frühen Phase mit bis 75.815 Erkrankten. Am 25. Januar soll es bereits 461 Infektionen in Chongqing, 113 in Peking, 98 in Shanghai, 111 in Guangzhou und 80 in Shenzhen gegeben haben.
„Die offensichtliche Diskrepanz zwischen unseren modellierten Schätzungen und der tatsächlichen Zahl der bestätigten Fälle in Wuhan könnte auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein“, kommentiert Wus Kollege Gabriel Leung in einer Pressemitteilung. „Dazu gehören die zeitliche Verzögerung zwischen Infektion und Symptombeginn, Verzögerungen bei der medizinischen Behandlung von Infizierten und die Zeit bis zur Bestätigung durch Labortests.“ Außerdem benötige nicht jeder Patient medizinische Hilfe.
In dem Zusammenhang stellt sich eine weitere Frage: Wäre es möglich gewesen, früher auf die Infektionswelle zu reagieren? Das bejaht Kamran Khan, Gründer und CEO von BlueDot, einer Plattform aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz (KI).
Bereits am 31. Dezember 2019 warnte er vor dem Krankheitsgeschehen in Wuhan, ohne den eigentlichen Auslöser zu kennen. Erst am 6. Januar 2020 meldeten sich die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC), und am 9. Januar berichtete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Geschehen.
Offizielle Stellen müssen sich auf chinesische Behörden – und damit auf deren intrasparente Kommunikation – verlassen. „Wir können Nachrichten über mögliche Ausbrüche jedoch anhand von Einträgen in Foren oder Blogs erkennen“, sagt Khan.
Hinzu kamen Ticketdaten von Fluggesellschaften. Mit seinem KI-Tool prognostizierte BlueDot den weiteren Ausbreitungsweg. Dies wäre eine Chance gewesen, vorzeitig zu handeln – und bleibt nunmehr eine Lehre für künftige Epidemien.
Im Moment ist wichtiger, zu klären, welche Möglichkeiten Ärzte und Politiker haben. Dieser Frage gingen Julien Riou und Christian L. Althaus von der Universität Bern nach. Sie haben anhand mathematischer Modellierungen herausgefunden, dass jede mit dem Virus infizierte Person zwei weitere Personen infiziert. Zu Beginn schwankte diese Basisreproduktionszahl R0 in China zwischen 1,4 und 3,8.
Ohne starke Kontrollmaßnahmen könnte es zur Pandemie kommen. Deshalb fordern die Autoren Maßnahmen, um R0 unter 1 zu drücken – etwa durch die rasche Erkennung von infizierten Personen inklusive möglicher Kontaktpersonen und durch deren Isolation.
Dazu passend hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) weitere Empfehlungen veröffentlicht. ECDC-Experten warnen vor allem vor Tröpfchen- und Schmierinfektionen. Auch Stethoskope oder sonstige Gegenstände in Praxen kämen dafür infrage. Bei begründetem Verdacht sei eine Schutzkleidung mit FFP2- oder FFP3-Atemmasken, Augenschutz, Schutzkleidung und Handschuhen erforderlich.
Besonders wichtig sei dies bei Prozeduren mit erhöhtem Risiko der Bildung von Aerosolen, etwa Bronchoskopien, Intubationen oder Absaugungen von Sekret aus den Atemwegen. Die Patienten sind in geeigneten Räumlichkeiten zu isolieren, bis PCR-Tests negativ ausfielen. Wie lange Patienten mit 2019-nCoV kontagiös sind, weiß man derzeit nicht.
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