Wegen des neuen Coronavirus findet sie aktuell wenig Beachtung: die Influenza. Wenn man dann mal von ihr hört, wird sie auch noch unterschätzt – zu Unrecht.
Vor einigen Wochen habe ich mir den Influenza-Impfstoff für meine Kinder in der Apotheke besorgt und meine Kinder auf der heimischen Wohnzimmercouch gepiekst.
Meine Kinderärztin hätte es auch getan, aber so erschien es mir leichter, als mich in die vollen Wartezimmer zu setzen und dann vielleicht noch den einen oder anderen unschönen Infekt mit nach Hause zu nehmen. Ich weiß, dass ich damit einen besonderen Vorteil genießen konnte, und bin sehr dankbar dafür.
Denn Wartezimmer sind reine Petrischalen. Seuchenpfuhle. Inkubatoren von allem, was man nicht haben will.
Da wird gehustet, geschnäuzt, Kinder schnoddern auf den Boden und Erwachsene in ihre Hand. Die Hand greift zum Stuhl, zur Neuen Post, zur Türklinke und auf den Anmeldetresen.
In manchen Praxen werden infektiöse Patienten in einem anderen Wartezimmer isoliert oder einige warten freiwillig vor der Tür, damit sie ihre Viren nicht verbreiten. Das ist nicht immer so. Oft fehlt der Platz für mehr Wartezimmer und nicht alle Menschen sind so freundlich, ihre Viren für sich zu behalten. Und manchmal wissen Patienten schlicht nicht, was ihnen fehlt und sie setzen sich mitten in die Menge.
Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Heute Influenza, Noro, Rhino oder ein kleiner Rota vielleicht? Und jetzt auch noch Corona, ach herrje! Die Namen der Viren klingen ja ein wenig, wie die Namen der Kinder in den Wartezimmern heutzutage. „Rhino, gehst du weg von dem Regal!“ „Corona, nimm dem Kind nicht das Buch weg, sonst wird die Mama böse!“
Das Coronavirus, das in China inzwischen viele Menschen infiziert hat, schwappt langsam auch nach Deutschland hinüber. Menschen besorgen sich ängstlich in der Apotheke einen Mundschutz, weil sie im Fernseher gesehen haben, dass in China alle Menschen Mundschutz tragen. Wenn es im TV zu sehen ist, muss es ja stimmen, oder?
Ich kaufe ein E und löse an dieser Stelle: Nein. Nicht alles, was man im Flimmerkasten sieht, ist korrekt oder sinnvoll.
Ein normaler Mundschutz schützt nicht vor einer Infektion mit den Viren, die sich über Tröpfchen verbreiten. So ein Mundschutz hilft eher dabei, dass stark hustende Patienten ihre Viren nicht in die vollen Wartezimmer schleudern. Er vermeidet auch, dass die Hände, die sich etwa 300 Mal pro Tag ins Gesicht, an die Nase und den Mund fassen, die Viren an Oberflächen und Menschen verteilen.
Masken, die vor einer Übertragung schützen, sind sogenannte FFP-Masken (Filtering Face Piece). Sie sind in drei unterschiedlichen Stufen erhältlich, wobei sie je nach Stufe einen unterschiedlichen Anteil eines Aerosols zurückhalten müssen.
Dass wir nun alle loslaufen und uns eine solche Maske kaufen, halte ich momentan für nicht angebracht. Natürlich muss man aufmerksam bleiben, weil wir aktuell noch nicht wissen, wie sich das neue Coronavirus ausbreiten wird. Die Beurteilung dessen möchte ich den Virologen überlassen, die sich damit auseinandersetzen.
Was mich im Moment mehr beschäftigt, ist die aktuelle Grippewelle. Sie wird momentan viel weniger beachtet als das Coronavirus, dabei sind inzwischen in Deutschland seit Anfang der Grippewelle etwa 13.350 Menschen erkrankt und 32 verstorben.
Ich möchte ein Beispiel erzählen: Eine Patientin von mir kam eine Zeit lang regelmäßig zum Verbandswechsel einer kleineren Wunde, nichts Wildes. Es ging immer schnell, daher musste sie nie lange im Wartezimmer sitzen, was sie auch stets vermied. Sie war an einem Donnerstag bei mir in der Sprechstunde und der Termin dauerte höchstens fünf Minuten. Sie hatte nach zehn Minuten die Praxis wieder verlassen.
Am folgenden Montag war sie wieder da, was mich sehr wunderte, denn sie hatte heute keinen Termin zum Verbandswechsel. Sie saß wie ein Häufchen Elend vor mir. Von der lebenslustigen, vor Kraft strotzenden Frau war nicht mehr viel übrig. Sie hatte hohes Fieber, Gliederschmerzen aus der Hölle und starken Husten.
„Ich war noch nie so krank“, sagte sie und man sah es ihr an.
„Und das, obwohl ich doch nur fünf Minuten in der Praxis war, nichts angefasst und mir beim Verlassen die Hände desinfiziert habe. Und trotzdem hat es mich erwischt.“ Sie war richtiggehend sauer auf die Praxis, die Erkrankung und auf sich selbst, dass sie zur Grippezeit zum Arzt gegangen war. Gesund rein, krank wieder raus.
Dabei liegt es nicht an mangelnden Hygienemaßnahmen von Seiten der Praxis, sondern in der Natur der Influenza an sich: Sie wird nicht nur über Schnodder und Spucke übertragen, sondern manchmal bereits beim Atmen. Eine Studie aus dem Jahr 2018 mit 142 Grippeinfizierten ergab, dass bei einem Drittel der Erkrankten die Viruslast (an winzige Tröpfchen gebunden) in der reinen Atemluft so groß war, dass es für eine Infizierung anderer Menschen ausreichte.
Es genügt also manchmal durchaus, durch die Atemluft anderer Grippekranker zu laufen, um sich anzustecken.
Kommen wir zu den Fakten: Die erste Grippewelle wurde im Jahr 1580 beschrieben und war von Asien über Afrika nach Europa gewandert. Die erste dokumentierte Pandemie trat im Jahr 1918 auf und wurde nach dem Ursprungsland „Spanische Grippe“ getauft. Sie kostete 20 Millionen Menschen das Leben. Der gleiche Serotyp H1N1 verursachte im Jahr 2009 die nächste Pandemie und infizierte weltweit fast 200 Millionen Menschen.
Es gibt drei verschiedene Influenzaviren (A, B, C), wobei insbesondere die Serotypen A und B saisonal relevant sind. Sie unterscheiden sich durch ihre Oberflächenproteine und werden dadurch unterteilt in ihre Subtypen. Nur die Influenza A wird mit den Buchstaben H und N charakterisiert, z.B. H1N1. Die Influenza B existiert in den Subtypen Yamagata und Victoria.
Im Inneren des Virus liegen die RNA-Partikel, die den Körper krank machen. Weil die genetische Information in Bruchstücken vorliegt, kann sie sich bei Infektionen mit verschiedenen Influenzaviren in einem Wirt mit anderen RNA-Partikeln verbinden und dadurch neue Subtypen bilden. Menschen sind eben auch Petrischalen.
Die Inkubationszeit der Influenza beträgt 1–3 Tage. Und dann geht es den Patienten von jetzt auf gleich schlecht. Richtig schlecht. Eine Followerin auf Twitter schrieb: „Seitdem mich mal die Influenza erwischte, und es mir binnen einer einzigen Stunde von Wohlbefinden zu ‚ich muss ins Krankenhaus‘ abgefucked hat, achte ich jedes Jahr auf die Impfung.“
Die Patienten sind ab dem Auftreten der ersten Symptome für 4–5 Tage infektiös, manchmal auch länger, manchmal auch vorher schon. Gerade bei chronisch Erkrankten und bei Kindern werden die Viren länger ausgeschieden.
Wisst ihr, wie man eine echte Grippe erkennen kann? Es gibt einen guten Algorithmus.
Man fragt den Patienten: „Fühlen Sie sich, als wurden sie vom Zug überrollt?“
Wenn er „nein“ sagt, ist es keine Grippe.
Wenn er „ja“ sagt, fragt man also weiter: „Wurden Sie denn vom Zug überrollt?“ Man weiß ja nie.
Bei „Ja“ wurde er tatsächlich vom Zug überrollt und man sollte die entsprechenden ärztlichen Schritte einleiten. Ein Pflaster kleben beispielsweise.
Sagt er „Nein“, handelt es sich um die echte Grippe.
Was so albern klingt, hat einen ernsten Kern. Den meisten Menschen geht es richtig dreckig, viele können das Bett vor Gliederschmerzen nicht verlassen und haben tagelang hohes Fieber, starke Kopfschmerzen und es können lebensbedrohliche Folgen auftreten.
Da gibt es zum einen die Influenzapneumonie, eine Lungenentzündung, die durch das Virus selbst ausgelöst wird. Bei chronisch kranken Lungenpatienten kann das Virus außerdem zu einer Exazerbation führen, häufig in Verbindung mit Atemnot und Beatmungspflicht. Schließlich nutzen Bakterien dann gerne die Gunst der Stunde und besiedeln während der Grippe die Atemwege und das Lungengewebe – und die bakterielle Pneumonie ist da.
Ferner sind Muskelentzündungen bis hin zur Rhabdomyolyse, Herzmuskelentzündungen und Enzephalitis möglich.
Bei Kindern ist die Mittelohrentzündung eine relativ harmlose, aber sehr schmerzhafte Komplikation. Das Trommelfell ist hochrot und kann Bläschen zeigen, es sieht schon beim Hineinschauen schmerzhaft aus.
Anschließend benötigt der Körper fast zwei Wochen, bis er wieder ordentlich funktioniert.
Bei abwehrgeschwächten Menschen kann eine Influenza auch ohne Fieber auftreten. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schreibt, dass ein Drittel der Erkrankten sogar einen asymptomatischen Verlauf zeigt. Wer sich nicht krank fühlt, geht logischerweise nicht zum Arzt, kann die Viren aber dennoch weitergeben.
Je nach Virus verläuft eine Grippewelle unterschiedlich stark. In der Saison 2012/2013 gab es etwa 20.000 Todesfälle, in der milden Saison 2013/2014 wurden keine Todesfälle durch Influenza registriert. In der aktuellen Saison sind bis zu dieser Woche etwa 13.000 Infizierte und 32 Todesfälle gemeldet worden.
Eine Grippe ist auch nicht einfach eine heftige Erkältung, auch wenn eine starke Erkältung oft mit der Influenza gleichgesetzt wird. „Frau Doktor, ich hab die Grippe“, sagt niemand, der mit laufender Nase und Kratzhusten zur Arbeit geht.
Eine Erkältung wird von anderen Viren, meist Rhinoviren, verursacht und verläuft selbst bei heftigem Verlauf mit milderen Symptomen. Wir erinnern uns: Die Influenza kommt wie ein Hammerschlag. Bäm! Kollision mit dem Zug. Krank. Aua. Kopfweh.
Die Erkältung klopft an und sagt: „Entschuldigung? Ich würde ich mich hier jetzt mal breit machen. So peu a peu.“
Und dann hat man noch Zeit, diese ganzen frei verkäuflichen Medikamente zu besorgen, die oft sowieso nicht viel bringen. Rhino hat es sich aber schon bequem gemacht und kratzt im Hals und verschließt die Nase und lässt das Fieber langsam steigen.
Gerade während der Grippesaison grassieren häufig noch andere Erreger, die ein ähnliches Krankheitsbild verursachen können. RSV, Mykoplasmen, Adenoviren und humane Metapneumoviren können ebenfalls wie eine Grippe imponieren, meist jedoch nicht mit dem hochakuten Beginn einer Grippe.
Die definitive Unterscheidung ist im Labor durch einen Abstrich möglich, jedoch ist das klinische Bild einer Influenza oft so typisch, dass während der Grippesaison die Symptome ausreichen, um die Diagnose zu stellen. Daher machen viele Haus- und Kinderärzte keinen Abstrich. Und selbst, wenn es ein anderes Virus als Influenza wäre, machte eine Diagnose keinen relevanten Unterschied, da es nur in wenigen Fällen eine therapeutische Konsequenz gibt.
Eine virushemmende Therapie wird nur bei vorerkrankten Patienten oder bei bestehender Schwangerschaft durchgeführt. Es gibt verschiedene Virustatika, die unterschiedliche Resistenzprofile haben, die Ausführung würde an dieser Stelle allerdings zu weit gehen. Wichtig ist im Bedarfsfall eine schnelle Einleitung der Therapie, am besten innerhalb von 48 Stunden nach Beginn der Symptome. Und: Die Einleitung sollte nicht verzögert werden, weil man das Ergebnis der Laboruntersuchung abwarten will.
Antibiotika werden bei einer bakteriellen Superinfektion verordnet. Ansonsten erfolgt die Therapie symptomatisch: Bettruhe, viel trinken und fiebersenkende Medikamente. Kinder sollten keinesfalls ASS erhalten, da der Wirkstoff das Reye-Syndrom auslösen kann, das Schäden an Gehirn und Leber verursacht und in 25 % der Fälle einen tödlichen Ausgang hat.
Es wäre doch ganz großartig, wenn es neben den üblichen Hygienemaßnahmen (nicht in die Hand niesen/husten, regelmäßiges Händewaschen), eine Möglichkeit gäbe, die Influenza zu verhindern. Eventuell eine Impfung? Phantastisch.
Und tatsächlich ist die Impfung die einzige Methode, um die Ansteckung mit der Grippe zu verhindern, bzw. die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu senken. Leider ist die Grippeimpfung nicht so effektiv wie andere Impfstoffe, da sie jährlich im Vorfeld neu hergestellt werden muss, basierend auf den Prognosen, wie sich das Virus verändern wird. Dennoch reduziert die Impfung die Anzahl der Infektionen (bei Tausenden Infektionen pro Saison kommt da ordentlich was zusammen) und lässt die Krankheit auch deutlich schwächer ausfallen, sollte es trotz Impfung zu einer Influenza kommen.
Die STIKO empfiehlt die Impfung für Menschen über 60 Jahre, Schwangere, und chronisch Kranke. Außerdem geimpft werden sollten Bewohner von Pflegeheimen, medizinisches Personal und Menschen, die mit vielen anderen Menschen in Kontakt kommen, insbesondere auch Angehörige von schwer kranken Personen.
Es gibt Studien, die bei Neugeborenen von Schwangeren mit Influenza eine erhöhte Fehlgeburtenrate und ein niedrigeres Geburtsgewicht nachwiesen. Eine Impfung wird damit auch insbesondere in der Schwangerschaft empfohlen.
Der beste Zeitpunkt für eine Impfung ist im Oktober und November, aber auch zu Beginn der Grippewelle macht sie noch Sinn, da man im Vorfeld nie genau weiß, wann es richtig los geht. Die Wirkung der Impfung tritt nach 10–14 Tagen ein. Und ja, natürlich kann es Nebenwirkungen geben, meistens lokale Reaktionen an der Einstichstelle. Wer unter einer Hühnereiweißallergie leidet, darf den Impfstoff nicht erhalten, da er meist in Hühnereiern gezüchtet wird.
Kinder können ab dem 6. Lebensmonat die Spritze erhalten, es handelt sich um einen Totimpfstoff. Für Kinder zwischen dem 2. und dem 17. Lebensjahr gibt es auch ein Nasenspray mit einem Lebendimpfstoff, es gibt in der Wirksamkeit laut STIKO aber keinen Unterschied. Sie stellen bei Gerinnungsstörungen oder Spritzenphobien eine gute Alternative dar, bei Asthma sollten sie nicht angewendet werden.
„Ich brauche das nicht“, sagen manche Patienten. Aber abgesehen davon, dass die Grippe auch gesunde Menschen schwächt, kann man mit einer Impfung die Verbreitung auf chronisch kranke Patienten verhindern. Laut STIKO sind gesunde junge Menschen von der Impfempfehlung ausgenommen, aber glücklicherweise ist das hier ein Blog, sodass ich sagen darf: Ich finde die Impfung generell sinnvoll. Für jeden.
Denn die Influenza ist eine hochansteckende, zum Teil lebensbedrohliche Krankheit und ich habe selbst gesunde, junge (in der Medizin ist jeder unter 60 Jahren jung) Menschen sehr krank gesehen. Das ist auch der Grund, warum ich meine Kinder geimpft habe, obwohl die STIKO die Impfung für sie nicht vorsieht.
„Ich war nach der Impfung erst recht krank“, ist eine andere häufige Aussage. Das kann sein. Aber dann war es nicht die Grippe, sondern eine Erkrankung durch einen der vielen anderen Viren, die in den Wintermonaten grassieren.
„Ihr wollt ja nur Geld damit verdienen“, schreiben mir manche Leser. Nein. Die Impfung bringt der Praxis etwa 7€ pro Shot. Brutto. Nach Abzug von Personalkosten und Steuern macht der Verdienst nicht reich. Und wenn sich viele Menschen impfen ließen, wäre der influenzabedingte Andrang auf die Praxen viel geringer und man würde am Ende doch weniger verdienen. Der Vorwurf ist also haltlos.
„Die Impfungen enthalten Quecksilber und verursachen Autismus“. Nein und nein. Siehe hier.
Ich hatte nicht gedacht, dass der Artikel so lang wird. Aber da sieht man mal wieder, wie viel es eigentlich über die Influenza zu berichten gibt. Die Influenza ist eine schwere, potenziell lebensbedrohliche Erkrankung. Impfen ist die einzige Möglichkeit, sie zu verhindern. Und bitte regelmäßig die Hände waschen, waschen und waschen.
Quellenhttps://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/28514782/https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/faq_ges.html https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Influenza_saisonal.htmlYan J et al. (2018) Proc Natl Acad Sci. DOI: 10.1073/pnas.1716561115
Bildquelle: Aaron Thomas, Unsplash