Wer sich als Arzt traut, eine Auszeit zu nehmen, ist Vorreiter. So sehen das zwei Mediziner, die genau das gemacht haben. Ein Jahr lang waren sie komplett raus. Wie realistisch ist die Möglichkeit für Ärzte, ein sogenanntes Sabbatical zu machen?
„Unserer Meinung nach sind Ärzte, die den Mut haben, eine Auszeit zu nehmen, Vorreiter. Sie haben verstanden, dass man eine Work-Life-Balance braucht, um langfristig zufriedener und belastbarer zu sein“, sagt Dr. Johannes Jansen heute rückblickend über das gemeinsame Sabbatjahr mit Dr. Luisa Rüter.
Den Ärzten war es wichtig, sich die Zeit für eine einjährige Auszeit zu nehmen. Nach ihrem ersten Jahr als Assistenzärzte kündigten sie die Arbeitsstelle und begaben sich auf eine einjährige Reise durch 17 Länder – fernab von ärztlichen Visiten, Arztbriefen, OP-Vorbereitungen und Entlassmanagement. Diese Entscheidung prägte den weiteren Weg des Paares: Sie lernten, wieder dankbar zu sein für Dinge, die hierzulande selbstverständlich sind.
Die Lücke im Lebenslauf
Der Gewinn durch eine längere Auszeit – oder auch ein Sabbatical – kann vielfältig geartet sein, wie Dr. Johannes Jansen mittlerweile weiß: „Es muss keine Langzeit-Reise sein. Manche wünschen sich mehr Zeit für Fortbildungen, andere wollen ihren Hobbys nachgehen oder sich selbst verwirklichen“. In seinem Fall ging es ums Reisen. Mit dem Traum auf eine mehrmonatige Weltreise wollten er und Dr. Luisa Rüter nicht bis zur Rente warten. Die Lücke im Lebenslauf nahmen sie gerne in Kauf. „Auf unserer Reise haben wir unzählige Erfahrungen machen dürfen, die unseren Horizont und unseren Blickwinkel aufs Leben verändert haben.“
Auch im klinischen Alltag seien sie nun flexibler geworden und reagieren mit mehr Gelassenheit und einer positiveren Einstellung auf die täglichen Aufgaben. Im Anschluss an ihre Auszeit erlebte das Paar wider Erwarten keine Nachteile durch die Lücke im Lebenslauf. Zwar würden einige Kollegen, meist in den oberen Etagen, den Wunsch nach einer Auszeit stigmatisieren, doch habe das Arztpaar die Erfahrung gemacht, dass fast alle Kollegen der neuen Arbeitstelle auf das Sabbatical mit Interesse und Bewunderung reagierten. „Auch in Vorstellungsgesprächen, die wir nach unserer Reise geführt haben, war das Thema nicht negativ belegt“, zeigt sich Dr. Jansen dankbar über den Umgang der Kollegen mit seiner Auszeit.
Der heimliche Wunsch der Ärzte nach einer Auszeit
Ein Recht auf ein Sabbatjahr besteht in Deutschland tariflich oder vereinigungstechnisch bislang nicht. Doch es wurde bereits auf dem 120. Deutschen Ärztetag 2017 der Wunsch geäußert, Klinikträger aufzufordern, mehr Spielräume für die Gestaltung der Arbeitszeit zu ermöglichen.
Tatsächlich beschränkt sich der Bedarf nach flexiblerer Arbeitszeitgestaltung bei Ärzten derzeit nicht nur auf die Elternzeit, sondern trifft offenbar einen Nerv. „Jeder fünfte Klinikarzt denkt inzwischen über einen Berufswechsel nach“, evaluierte der Marburger Bund unter 6.500 Ärztinnen und Ärzten im vergangenen Herbst.
Schuld daran seien durchschnittlich 57 Arbeitsstunden pro Woche, fehlendes Personal und zunehmender Zeitdruck auf Kosten der Gesundheit von Klinikärzten. Erst letztes Jahr setzte der Marburger Bund in kommunalen Krankenhäusern tariflich um, dass Arbeitszeiten besser planbar sowie Arbeitszeiten begrenzt wurden. Im Jahr 2020 kämpft die Gewerkschaft dafür, dass auch Universitätskliniken Arbeitszeiten – wie gesetzlich vorgeschrieben! – begrenzen. Bislang würden sich Ärzte der Ärztegewerkschaft zufolge mit einer „privaten Arbeitszeitreform“ behelfen, indem sie die regelmäßige Wochenarbeitszeit um 8 bis 10 Stunden reduzieren, um die persönliche Gesamtbelastung zu senken. Etwa ein Viertel der Ärzte hat inzwischen einen solchen Teilzeitvertrag, stellte der Marburger Bund in seiner Umfrage fest.
Sabattjahr bleibt Verhandlungssache
Die Ärztegewerkschaft empfiehlt Ärzten, sich vorab ausreichend juristisch abzusichern, wenn eine Kündigung der Arbeitsstelle nicht in Frage komme: „Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf ein Sabbatical, der Arzt muss sich hierfür an seinen Vorgesetzten und an die Geschäftsführung seines Krankenhauses wenden. Im ambulanten Bereich ist es ähnlich: Auch hier bedarf es der Zustimmung des jeweiligen Arbeitgebers“, rät Pressesprecher Hans-Jörg Freese vom Marburger Bund interessierten Medizinern.
Ein Sabbatical sei eine individuelle arbeitsrechtliche Vereinbarung, die den Arbeitsvertrag im Prinzip für 1 Jahr aufhebe und in der Regel keine Rückkehrgarantie auf dieselbe Stelle beinhalte. Deshalb sollten Ärzte vorab unbedingt klären, ob das Recht auf Sabbatical tarifvertraglich oder außertariflich vom jeweiligen Krankenhausbetreiber festgehalten wurde. Andernfalls sei ein Sabbatical individuell auszuhandeln. Marburger Bund angestellten Ärzten, unbedingt eine schriftliche Vereinbarung zu treffen, die zumindest ein generelles Rückkehrrecht auf den Arbeitsplatz sicherstelle. „Wir würden Ärztinnen und Ärzten empfehlen, sich vor einer Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber juristisch vom Marburger Bundes beraten zu lassen, um möglichen Nachteilen vorzubeugen“, betont Freese.
Und niedergelassene Kassenärzte?
Anders stellt sich die Situation für niedergelassene Ärzte dar. Generell können diese einen Vertretungsantrag für einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten aus den Gründen Urlaub, Krankheit, ärztliche Fortbildung oder Teilnahme an einer Wehrübung stellen. „Über eine Vertretungszeit hinaus besteht natürlich immer eine Einzelfallregelung, das heißt der Zulassungsschuss der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung kann autark individuelle Entscheidungen nach einem Antrag auf ein Sabbatical treffen und die Zulassung des Arztes ruhen lassen", erklärt Dr. Jochen Kriens, Abteilungsleiter Politik und Öffentlicharbeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg.
Begründete Auszeit
Empirisch betrachtet wurden Anträge auf ein halbjähriges Sabbatical seitens unterschiedlicher regionaler KV-Zulassungsausschüsse bereits stattgegeben. Prinzipiell kann der Antrag formlos gestellt werden. Die Angabe von Gründen für ein Sabbatical ist optional, obgleich die meisten Ärzte ihren Sabbatical-Antrag erfahrungsgemäß begründen. Zusätzlich sollte dargelegt werden, wie lange die Zulassung ruhen soll, sprich für wie lange das Sabbatical geplant ist. Einfacher stellt sich die Situation für angestellte Ärzte eines Medizinischen Versorgungszentrums dar, da Vertretungen seit Urteil B6 KA 31/10 R des Bundessozialgerichts keine Vertretung im eigentlichen Sinne darstellen.
Nach Meinung der Experten Dr. Jansen und Dr. Rüter, findet sich jedoch grundsätzlich immer ein Weg, wenn der Wunsch nach einer Auszeit besteht: „Als Assistenzarzt bietet sich eine Auszeit natürlich an. Falls eine Organisation mit dem Chef nicht möglich ist, kann immer noch ein Stellenwechsel erwogen werden“, weiß Dr. Jansen zu berichten. Schließlich seien gerade Ärzte auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktuell gefragt wie nie. Um den Traum zu realisieren, müssten bürokratische Hindernisse, Absprachen mit Kollegen und Arbeitgebern und Vorurteile unter Ärzten überwunden werden.
„Ärzte, die sich mehr Zeit für andere Vorlieben wünschen oder sogar eine Auszeit nehmen möchten, werden oft als nicht fleißig, nicht zielstrebig und nicht belastbar angesehen“, weiß Dr. Jansen aus Erfahrung zu berichten.
Vorbereitung ist das A und O
In ihrem Buch „Vom 24-Stunden-Dienst zum Leben aus dem Rucksack“ erzählen er und Frau Dr. Rüter, wie sie inmitten der Arztausbildung einen Weg fanden, 17 Länder zu bereisen. Um eine lückenlose Krankenversicherung und soziale Absicherung vor und nach dem Auslandsaufenthalt zu gewährleisten, sollte man sich den beiden Ärzten zufolge rechtzeitig bei der Agentur für Arbeit vorstellen, die Krankenkasse benachrichtigen, eine Auslandsreiseversicherung abschließen und Ärztekammer sowie das Versorgungswerk informieren. Wer für eine längere Auslandsreise möglichst überschaubare laufende Kosten haben möchte, kündigt idealerweise Verträge, sorgt für eine Untervermietung oder lässt finanzielle Verpflichtungen pausieren.
Bildquelle: Dino Reichmuth, unsplash