10. Februar 2020: In China nimmt die Zahl an Infektionen mit 2019-nCoV leicht ab. Außerhalb der Epidemiegebiete steigen die Fallzahlen hingegen an. In Wien wird jetzt die Köpertemperatur von Reisenden aus China kontrolliert.
Über 40.500 Infizierte, 910 Tote und über 3.400 Menschen mit erfolgreicher Genesung, so lautet die aktuelle Bilanz zu 2019-nCoV (10. Februar, 10:20 Uhr). Damit forderte das neue Coronavirus mehr Tote als die SARS-Pandemie 2002/2003 (8.096 Erkrankungen, 774 Todesfälle).
Mittlerweile erkranken in China weniger Menschen als zu Beginn der Epidemie. Gleichzeitig erhöht sich die Zahl an bestätigten Infektionen außerhalb des Kerngebiets. Zuletzt berichteten französische Behörden über fünf neue Fälle in einem Skigebiet. Damit erhöht sich die Zahl auf elf. In Deutschland gibt es 14 bestätigte Infektionen.
Die Stimmung in China ist nach dem Tod von Whistleblower-Arzt Li Wenliang zunehmend rebellisch. Online wird der Warner vor dem neuen Coronavirus inzwischen als Held und Märtyrer verehrt. Der Umgang mit Lis Warnung und seinem Tod sei längst ein Symbol geworden, ein Paradebeispiel, auf das sich jetzt Chinesen berufen, die für mehr Meinungsfreiheit kämpfen, heißt es bei NTV.
Auch die EU-Gesundheitsminister wollen sich über das weitere Vorgehen abstimmen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn denkt laut über schärfere Einreisekontrollen nach. Schon jetzt messen Behörden am Flughafen Wien-Schwechat die Körpertemperatur bei Reisenden aus China. Auch die Fluggesellschaften selbst werden verpflichtet, Informationen über potenziell Erkrankte an Behörden zu übermitteln.
Experten halten davon wenig. „Bei SARS hat man solche Maßnahmen des Entry-Screenings wie der Körpertemperaturmessung bei Einreise wissenschaftlich untersucht“, sagt Prof. Ralf Reintjes im Gespräch mit dem Science Media Center. Er forscht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Reintjes erinnert sich: „Das Ergebnis war ernüchternd. Die Maßnahme verhinderte kaum Fälle, wenn überhaupt welche. Und das, obwohl ein SARS-infizierter Patient nur infektiös ist, wenn er symptomatisch ist. Bei dem neuen Coronavirus kann man schon infektiös sein, auch wenn man sehr milde Symptome hat.“
Das bestätigt auch Prof. Hendrik Streeck, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn „Ganz genau weiß man noch nicht, wann [nach Infektion mit 2019-nCoV] ein Fieber auftritt.“ Es gebe Hinweise, dass Patienten während der Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen fieberfrei seien. „Fiebermessen hilft also nur bedingt. Man findet jene, die akut erkrankt sind und bei denen die Infektion bereits ausgebrochen ist. Man fängt nicht diejenigen ab, die sich gerade erst infiziert haben, oder diejenigen, die bereits Überträger sind, aber noch kein Fieber haben“, sagt Streeck.
Von der Diagnostik zur Therapie: Bislang kontrollieren Ärzte bei Patienten nur die Symptome. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Expertenkonferenz organisiert. Vom 11. bis zum 12. Februar treffen sich Vertreter aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Forschungsförderung. Gemeinsam wollen sie diskutieren, wie es gelingen kann, Diagnostik, Therapie und Prävention, also Impfungen, voranzubringen.
Was wissen wir derzeit? Bei Patienten mit SARS oder MERS wurden mehrere Arzneimittel wie Ribavirin, Interferon, Lopinavir-Ritonavir und Corticosteroide eingesetzt, obwohl deren Wirksamkeit teilweise umstritten ist. Beim neuartigen Coronavirus gilt Remdesivir als heißer Kandidat. Das Virustatikum wurde gegen Ebola- und Marburgvirusinfektionen entwickelt. Es zeigt in vitro aber auch Aktivität gegen 2019-nCoV.
Jetzt laufen zwei klinische Studien (NCT04252664 und NCT04257656), um das Potenzial des Virostatikums weiter zu untersuchen. Was den Forschern hier zu Gute kommt: Remdesivir wurde in der Vergangenheit bereits detailliert untersucht. Das heißt: Es gibt detaillierte Informationen zur Verträglichkeit; auf Daten aus Tierexperimenten muss man nicht mehr warten.
Ritonavir und Lopinavir, zwei bekannte Medikamente aus der HIV-Therapie, wurden sogar schon gegen SARS getestet. Eine Studie zur MERS-Therapie läuft. Auch diese Pharmaka gelten als interessante Option beim neuen Coronavirus. Über derartige Möglichkeiten soll es daher beim WHO-Symposium gehen.
Unterdessen haben Forscher im chinesischen Guangzhou möglicherweise den Überträger des Virus ausgemacht. Basierend auf einer genetischen Analyse scheint das Schuppentier Pangolin den Erreger auf den Menschen übertragen haben.
Das Pangolin ist ein langnasiges Säugetier, das sich von Ameisen ernährt. Es gilt als bedroht – denn seine Schuppen, aber auch weitere Körperteile werden unter anderem in der traditionellen chinesischen Medizin eingesetzt und sind daher sehr begehrt. So würde sich auch der Kreis zum Markt in Wuhan schließen. Und das Schuppentier trägt, laut der aktuellen Laboruntersuchungen, Erreger in sich, die 2019-nCoV sehr ähnlich sind.
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