Ob eine Corona-Pandemie kommen wird, kann derzeit niemand sagen. Deutschlands Ärzte rechnen mit dem Schlimmsten. Sie profitieren von Erfahrungen aus früheren Grippewellen, während sich SARS als schlechtes Beispiel entpuppt.
69.256 Infizierte, 1.669 Tote und 9.647 Genesene – so lauten die aktuellen Zahlen zum neuen Coronavirus. In Frankreich starb ein 80 Jahre alter chinesischer Tourist an der Infektion. Aber auch zwei Deutsche wurden auf einem Kreuzfahrtschiff vor Japan positiv getestet. Viele Experten befürchten, dass es früher oder später zur Pandemie kommen wird. Bei einem Press Briefing gingen Ärzte und Forscher der Frage nach, ob Deutschland auf eine große Zahl an Patienten vorbereitet wäre.
In den letzten Wochen hatten sich Ärzte und Forscher oft an SARS orientiert – was Prof. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, an der Charité Berlin, als Fehler sieht. Denn: „Diesem Virus gelingt anscheinend doch eine aktive Vermehrung im Rachenbereich, das ist ein großer Unterschied zu SARS“, so der Experte.
Bei SARS befänden sich Rezeptoren in den tiefen Atemwegen. „So ein Virus muss also in die Lunge eingeatmet werden, und das ist ein weiter Weg“, sagt Drosten. „Bei der Influenza ist es so, dass das Virus auch im Rachen repliziert, und wir glauben, dass darin eigentlich erst die gute Übertragbarkeit der Influenza begründet ist. Ein Virus, das von Rachen zu Rachen übertragen wird.“ Das erkläre auch die hohe Kontagiosität.
Der Experte zieht eher Vergleiche mit Grippewellen: „Es ist aber auch eine ganz wichtige neue Information, dass beispielsweise die Zahlen außerhalb von China – und das sind auch wissenschaftliche Daten – eben doch eher im Bereich der Schwere einer normalen Grippe-Pandemie bei 0,2 Prozent Letalität liegen.“
Aus überstandenen Pandemien hab man Lehren ziehen können, so Drosten. „Wir wissen nicht, wann die kommt und wie groß sie werden kann. Aber wenn es dazu kommt, wissen wir, was auf uns zukommt, aus vergangenen Pandemien. Es wird dann schwierig, die normale Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Wartebereiche sind voll. Elektive Operationen müssen vielleicht warten, weil Intensivbetten voll sind, die eigentlich für Operationspatienten benötigt würden.“
Ähnliche Schlüsse zieht Prof. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI): „Wir hatten 2017/2018 eine sehr, sehr schwere Grippewelle. Dort hatten wir zehn Millionen Arztbesuche. Und alle Kliniker, die in Krankenhäusern unterwegs waren, wissen, dass das eine Situation war, in der der normale Krankenhausbetrieb nicht mehr so stattfand. Das wurde gemanagt, das wurde hingenommen.“
Derzeit sehe es so aus, dass die neuartige Erkrankung wie eine schwere Grippewelle daherkommen wird – falls sie denn komme. „Das heißt, ein großes Ziel, das wir zurzeit haben, ist, diese beiden Wellen – also die aktuelle Influenzawelle und das eventuell kommende Coronavirus – zu entkoppeln.“ So gelinge es, die medizinische Versorgung zu entlasten.
Bekanntlich gibt es derzeit keine Therapien gegen SARS-CoV-2. Die Patienten werden vielmehr je nach ihrer Symptomatik behandelt – und meist mit Erfolg. Doch wann können Ärzte Patienten wieder entlassen?
„Es ist ganz grundsätzlich so, dass wir sehr empfindliche Nachweismethoden des Virus haben in dem Sinne, als dass sie das Virus auch dann noch nachweisen, wenn der Patient eigentlich nicht mehr infektiös ist“, berichtet Drosten. „Wir könnten natürlich sagen, erst wenn das Virus auch in den empfindlichsten Tests nicht mehr nachweisbar ist, kann der Patient entlassen werden. Wir müssen aber natürlich auch vordenken für eine Situation, in der es mehrere Patienten gibt und Betten für infizierte Patienten im Verlauf wieder frei gemacht werden müssen.“ Deshalb sei man auf der Suche nach pragmatischen Kriterien.
Wie der Virologe berichtet, eignen sich Zellkultur-Tests, die schon früher – und vielleicht besser als PCRs – anzeigen, dass keine lebensfähigen Viren mehr vorhanden sind. Denn im Ernstfall müssen Krankenhausbetten schnell wieder zur Verfügung stehen.
Der Experte sieht aber auch andere Lösungen für den Ernstfall: „Ein Patient könnte zum Beispiel zunächst einmal in eine Heimisolierung entlassen werden und eben nicht gleich wieder zur Arbeit gehen. Dann hätte man nur in der unmittelbaren Familie Kontakte, und diese kann man dann ja wieder sehr gut überwachen.“
Bild: SkiEngineer / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0