Neu erforschte (Neben-)Wirkungen
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Nicht nur Antibiotika hemmen Darmbakterien
Dass neben klassischen Antibiotika auch andere Arzneimittel das Darmmikrobiom beeinflussen können, haben Forscher bereits längere Zeit vermutet, doch der volle Umfang des Phänomens war bislang weitgehend unbekannt. Eine aktuelle Nature-Studie zeigt nun die Ergebnisse mehrerer Arbeitsgruppen des Spitzenforschungsinstituts European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg: Rund 24 % der getesteten häufig verwendeten Nicht-Antibiotika hemmen das Wachstum mindestens eines Bakterienstamms, der im menschlichen Darm siedelt [1].
Gegenstand der Untersuchung waren die Effekte von rund 1200 aktuell in der Humanmedizin eingesetzten Medikamenten auf 40 repräsentativ ausgewählte Darmbakterien. Dazu verglichen die Wissenschaftler in vitro das Bakterienwachstum mit und ohne Einfluss des jeweiligen Wirkstoffs. Zudem glichen sie die erhobenen Daten aber auch mit bekannten in vivo-Erkenntnissen über die Auswirkungen auf den Darm ab. Dabei stellte sich unter anderem heraus: Arzneimittel, die in der Studie einen größeren Einfluss auf das Bakterienwachstum gezeigt haben, lösen auch in der Praxis mehr Antibiotika-ähnliche Nebenwirkungen aus, z.B. Diarrhoe, Übelkeit oder Exantheme [1] .
Resistenzen: Nicht nur durch Antibiotika ausgelöst
Unter den Wirkstoffen, die das Mikrobiom beeinflussen, befanden sich Substanzen aller Wirkstoffklassen. Einige Klassen waren dabei überrepräsentiert, wie etwa Antipsychotika.1 Auch für einige sehr verbreitete und oft langfristig verordnete Arzneimittel wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und das Antidiabetikum Metformin wurde nochmals bestätigt, dass sie das Mikrobiom auf komplexe Weise beeinflussen [2] .
Insbesondere vor dem Hintergrund einer weiteren Erkenntnis der EMBL-Studie ist das beachtenswert: So scheinen Antibiotika-resistente Bakterien auch häufig weniger empfindlich gegen Nicht-Antibiotika-Medikamente zu sein und umgekehrt. Dies wirft die Frage nach einem gemeinsamen Resistenzmechanismus auf [1] . Möglicherweise kann also auch die Einnahme von nicht-antibiotischen Arzneimitteln zur Entwicklung einer Antibiotikaresistenz beitragen – ein Umstand, den es vor allem bei Wirkstoffen, die oft über Jahre und Jahrzehnte appliziert werden, weiter zu erforschen gilt.
Metformin und PPI: Was ist Wirkung, was Nebenwirkung?
Anstoß für die Studie war ein Zufallsfund, der bei einer 2015 publizierten Studie von Forslund et al. zutage trat [3] : Bei der Untersuchung des Mikrobioms bei Typ-2-Diabetikern fiel nicht nur auf, dass die Erkrankten spezifische dysbiotische Abweichungen in ihrem Darmmikrobiom aufwiesen, sondern auch, dass Metformin – das Erstlinien-Therapeutikum bei Diabetes Typ 24 – das Mikrobiom wiederum verändert. Die Forscher fanden Anhaltspunkte dafür, dass der therapeutische Effekt von Metformin möglicherweise primär mikrobiell vermittelt entsteht, u.a. durch die Produktion kurzkettiger Fettsäuren [3] . Jüngere Studien bestätigen diese These [5] . Daraus ergibt sich die Frage: Kann nicht auch bei anderen Arzneimitteln der Wirkmechanismus auf einer bisher unbemerkten Modifikation des Mikrobioms gründen?
Bei anderen Medikamenten liegt der Verdacht nahe, dass Veränderungen im Mikrobiom zwar nicht zur Wirkung beitragen, aber – ähnlich wie bei Antibiotika – unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen. Ein prominentes Beispiel dafür sind die PPI. Deren Einfluss auf das Mikrobiom kann enterische Infektionserkrankungen zur Folge haben – vor allem Clostridium difficile-Infektionen, die u.a. mit schweren Diarrhoen einhergehen [6,7] .
Mikrobiologische Präparate: Therapieoption für ein geschädigtes Mikrobiom
Doch wie kann man mikrobiotisch vermittelten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen entgegensteuern? Gut untersuchte und erprobte Therapieoptionen für ein geschädigtes Mikrobiom gibt es bereits. Im Fokus stehen dabei ausgewählte mikrobiologische Präparate (kurz: Mikrobiotika), die beispielsweise bereits bei Antibiotika-assoziierter Diarrhoe oder C. difficile-Infektionen zum Einsatz kommen. Im klinischen Umfeld hat sich eine präventive Mikrobiotika-Gabe parallel zu jeder Antibiose in Langzeitstudien bereits bewährt [8] . Möglicherweise können auch Patienten mit anderen Medikationen, wie PPI oder Metformin, von der protektiven Wirkung mikrobiotischer Präparate profitieren.
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