Mehr als vier Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima zeigen sich verheerende Folgen speziell für Kinder. Die Zahl an Schilddrüsenkarzinomen ist weitaus stärker nach oben gegangen als befürchtet. Um reine Screeningeffekte handelt es sich nicht.
Am 11. März 2011 havarierten nach dem Tōhoku-Erdbeben vier von sechs Reaktorblöcken im japanischen Fukushima. Schätzungen zufolge wurden dabei unter anderem 100.000 bis 200.000 TBq Iod-131 als Spaltprodukt freigesetzt. Die Halbwertszeit liegt bei acht Tagen; Zerfallsprodukt ist Xenon-131. Iod-131 gelang über Blattgemüse und Milchprodukte in die Schilddrüse. Beim Zerfall setzt das Isotop Betastrahlung frei, was zu Mutationen in den betroffenen Zellen führen kann. Grund genug für japanische Gesundheitsbehörden, sofort nach der Katastrophe Screeningprogramme für Kinder und Jugendliche aus der Präfektur Fukushima zu starten. Jetzt liegen erste Zahlen vor.
Toshihide Tsuda und Etsuji Suzuki, Okayama, zufolge haben Ärzte 300.000 sonografische Untersuchungen vorgenommen. Rund 81 Prozent aller Einwohner unter 18 nahmen das Angebot in Anspruch. Dabei kam es zu 2.251 Verdachtsfällen. Letztlich wurden 110 Schilddrüsenkarzinome diagnostiziert. Die Inzidenz war – je nach Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Havarie – um bis zu 50 Mal höher als in der japanischen Bevölkerung gleichen Alters. Tsuda und Suzuki spekulieren aufgrund von Fallzahlen, Reaktoren hätten deutlich mehr Iod-131 freigesetzt als offiziell angegeben. Sie rechnen mit weiteren Karzinomen in den nächsten Jahren. Daten aus Tschernobyl legen den Verdacht nahe, dass Kinder unter zwei Jahren besonders gefährdet sind.
Doch zurück nach Fukushima. Die Autoren äußern sich auch zur klassischen Kritik, sie hätten lediglich durch ihr flächendeckendes Screening Tumore in frühen Stadien entdeckt. Dagegen sprechen mehrere Fakten. Bei 74 Prozent aller operierten Kinder seien Tsuda zufolge auch Lymphknoten befallen gewesen, was gegen okkulte, klinisch irrelevante Tumore spricht. Damit nicht genug: Bei einer weiteren Screening-Runde fanden Pädiater 13-fach erhöhte Risiken für Schilddrüsenkrebs. Wären die Effekte nur auf groß angelegte Untersuchungen zurückzuführen, hätte sich beim erneuten Durchlauf keine Steigerung mehr gegeben.