Sie sind schwer verständlich, zu klein gedruckt und gehen oft verloren: Beipackzettel dienen eher der juristischen Absicherung pharmazeutischer Hersteller als der Information von Laien. Ideen hätte die Branche zur Genüge. Doch viel Transparenz wird schnell unangenehm.
„Beipackzettel sind verwirrend, machen vor allem den älteren Patienten Angst“, sagt Monika Bachmann (CDU), Gesundheitsministerin im Saarland. Sie kritisiert die Fülle an Informationen und spekuliert, so mancher Therapieabbruch sei auf die umstrittenen Zettel zurückzuführen. Einer Studie zufolge bewertet nur jeder dritte Befragte entsprechende Inhalte als „verständlich“. Bachmann weiter: „Ganz oben auf dem Beipackzettel muss in größerer Schrift stehen, wann und wie man das Medikament einnehmen soll. Dazu Behandlungsdauer und die häufigsten Unverträglichkeiten.“
Bachmanns Forderungen sind der Branche nicht fremd. Das Arzneimittelgesetz (AMG) listet in Paragraph 11 alle Pflichtangaben. Hinzu kommen Mitte 2015 aktualisierte Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). „Gestaltung und Textlänge einer Packungsbeilage beeinflussen wesentlich die Auffindbarkeit der Informationen“, heißt es im Dokument. „Daher ist insbesondere bei einer notwendig umfangreichen Packungsbeilage auf eine gute optische Gliederung und Gestaltung (Layout) zu achten. Die Eignung des Layouts ist durch Lesbarkeitsprüfungen zu dokumentieren.“ Das BfArM rät weiter zu einem „aktiven Sprachstil“, zu „möglichst konkreten Handlungsanweisungen“ und zur „einfachen, für Durchschnittspatienten verständlichen Sprache“.
Trotz aller Bemühungen haben blinde oder sehbehinderte Menschen ihre Schwierigkeiten. Im AMG, Paragraph 11 Absatz 3c, steht lapidar: „Der Inhaber der Zulassung hat dafür zu sorgen, dass die Packungsbeilage auf Ersuchen von Patientenorganisationen bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, in Formaten verfügbar ist, die für blinde und sehbehinderte Personen geeignet sind.“ Einige Hersteller sind mit gutem Beispiel vorangegangen und stellen Informationen als barrierefreie Website mit Vorlesefunktion und einer Inversdarstellung, als navigierbares Hörbuch oder als Großdruck-PDF über das Portal „PatientenInfoService“ zur Verfügung. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) berichtet von Initiativen zur Einführung elektronischer Packungsbeilagen. Ziel sei, Gebrauchsinformationen elektronisch zum Beispiel über 2D-Matrixcodes abrufbar zu machen. Ein weiterer Ansatz: Pfizer, MSD, Novartis, UCB, Takeda und AbbVie versuchen, gemeinsam mit Patienten- und Seniorenorganisationen Beipackzettel zu optimieren. Sie haben die interdisziplinäre „AG Beipackzettel“ gegründet. Ihre „goldenen Regeln“:
Die nächste Herausforderung für Hersteller: Ab Anfang 2019 greifen voraussichtlich europäische Regularien, um Arzneimittel sicherer zu machen. Deutschland setzt nicht nur auf individuelle Kennzeichnungen mit Datenbank-Abfrage, sprich securPharm. Hersteller müssen ihre Umverpackungen auch versiegeln, damit Apotheker einen unerwünschten Zugriff noch vor der Abgabe sehen. Ihr Problem: Sie können Beipackzettel nicht mehr einfach entnehmen, um Patienten zu informieren. Öffnen sie das Siegel, gibt es spätestens beim „Nein-Verkauf“ Probleme. Jetzt präsentieren Edelmann und Schreiner MediPharm ein sogenanntes Booklet-Label als Alternative zu elektronischen Lösungen. Darin kann sich eine Dublette des klassischen Beipackzettels oder eine zusätzliche Patienteninformation befinden. Die Folientasche lässt sich leicht öffnen und wieder verschließen, ohne Sicherheitslabels zu zerstören. Einen entscheidenden Aspekt greift trotz aller inhaltlichen und drucktechnischen Innovationen niemand auf: Warum erfahren Patienten nicht, welchen therapeutischen Benefit Pharmaka haben?
Das Thema ist speziell bei OTCs von Bedeutung – hier buhlen Firmen direkt um die Gunst von Laien. Steven Woloshin, H. Gilbert Welch und Lisa Schwartz vom Dartmouth College haben sich mit diesem Spannungsfeld intensiv befasst. Ihre Empfehlung: eine „drug info box“ auf jedem Beipackzettel. Darin finden sich nicht nur Informationen zu Nebenwirkungen, sondern auch zur Effektivität des Wirkstoffs – allgemeinverständlich mit Placebo verglichen. In Studien identifizierten 70 Prozent den effektiveren Arzneistoff (Vergleich: acht Prozent). Und 80 versus 38 Prozent trafen korrekte Aussagen zu Nebenwirkungen. Das Team zeigte auch, wie Infoboxen von Eszopiclon oder Tamoxifen aussehen könnten. Kommerzielle US-Werbeanzeigen verschleiern derart transparente Informationen. Bei der US Food and Drug Administration machten sich Woloshin, Welch und Schwartz keine Freunde. Die Zulassungsbehörde griff entsprechende Empfehlungen nicht auf. Zu viel Transparenz ist nicht immer erwünscht.