Schon mein Großvater hielt als Gynäkologe wenig von der Zweikassengesellschaft und machte sich über „die Privaten“ und ihre Ärzte lustig. Doch ganz so einfach ist es nicht.
„Privat oder Kasse?“, werde ich am Telefon gefragt. Ich antworte „Kasse“ und ahne schon, was mir nun blüht. „In drei Monaten hätten wir noch einen Termin frei“, hallt es mir aus dem Hörer entgegen. Das ist wenig erfreulich, zugegeben. „Gibt's nicht!“, sagen jetzt sicher mitlesende Ärzte. Gibt's doch, liebe Ärzte. Leider.
Aber dafür gleich die Kasse wechseln? Oder gar zu den Privaten? Die Folgekosten scheinen mir doch etwas sehr hoch – nur, um einen Termin zu bekommen. Denn je älter und damit auch behandlungsbedürftiger man wird, desto teurer wird die private Chaussee. Ich, mit meiner Erfahrung als Krebspatientin, bin jedenfalls immer sehr gut mit meiner Gesetzlichen gefahren und wenn nicht, habe ich mir zu helfen gewusst.
Allerdings erinnere ich mich noch gut an die erschütternde Aussage eines befreundeten Professors einer Uniklinik: „Wie, euer Freund Karl ist nur gesetzlich versichert? Da kann man wirklich wenig für ihn tun.“ Karl war vom Pferd gestürzt und heftig auf den Rücken gefallen. Der Vorfall ist inzwischen ungefähr 15 Jahre her. Ich weiß aber noch sehr gut, dass ich ziemlich fassungslos war und dachte: „Oh, jetzt erwartet Karl die schlimmste Tortur seines Lebens und das nur, weil er sich für das falsche Kassensystem entschieden hat.“
Um es kurz zu machen: Karl hatte kein Einzelzimmer, okay. Aber nun die gute Nachricht: Er konnte wieder gehen, was wochenlang so selbstverständlich nicht war. Keine bleibenden Schäden. Auch der Chefarzt hat einmal pro Woche die Nase in sein Zimmer gesteckt und visitiert. Und ihm sogar geholfen. Ach, guck mal an. Kassenpatienten sind anscheinend doch keinen Aussätzigen.
Christine – Geschäftsführerin eines großen Unternehmens – bespiegelt mir eine andere Seite der Zugehörigkeit zur Privaten Krankenversicherung. Sie geht schon seit geraumer Zeit nicht mehr gerne zum Arzt. Als ich meine Freundin nach der dritten heftigen Bronchitis hintereinander frage, was der Arzt sagt, warum die Bronchitis immer wieder aufflammt, raunt sie mir entnervt zu: „Da war ich gar nicht erst. Das wird immer gleich so teuer. Ich habe den Eindruck, mir werden jedes Mal Behandlungen aufgeschwatzt, die ich überhaupt nicht benötige.“ „Ja, dann geh doch zu einem anderen Internisten“, entgegne ich. „Das ist ja der, zu dem ich jetzt gewechselt bin. Immer das Gleiche.“
Da bleibt mir nicht mehr als ein erstauntes „Oh“. Und plötzlich erinnere ich mich an einen gern genommenen Spruch meines Großvaters (Gynäkologe), mit dem er (geldorientierte) Kollegen karikierte: „Guten Tag Frau Müller. – 50 Mark“. „Wie geht es Ihnen? – 50 Mark“. „Nehmen Sie Platz. – 50 Mark“. Sollte da immer noch etwas dran sein? Mein Großvater übrigens hatte seine Praxis in Dortmund am Borsigplatz, wer diese sehr spezielle Gegend kennt, weiß, dass Privatpatientinnen dort nur äußerst selten auftauchten. Eigentlich nie.
Andersherum möchte ich gar nicht verhehlen, dass ein Einzelzimmer sehr nett sein kann. Allerdings kenne ich eher den umgekehrten Fall. Ich fühlte mich immer sehr einsam dort, wenn ich – einem Keim geschuldet – in den Genuss einer solchen Vorzugsbehandlung kam. Für kurze Zeit ist das ganz okay, aber auf Dauer habe ich da so meine Zweifel, besonders dann, wenn die Erkrankung psychisch so schwer auf den Schultern lastet wie ein Mühlstein. Da kann eine mitfühlende Bettnachbarin Wunder wirken.
Als Krebspatientin an einer Uniklinik gibt es diese Zweiklassengesellschaft ohnehin nicht. Hier bekommen Patienten mit besonders schwerer Diagnose ein Behandlungsupgrade. Natürlich muss man das erst einmal verstehen. Eine meiner Mitpatientinnen tat sich damit schwer.
„Ich werde heute erst mal um ein Einzelzimmer bitten, denn das steht mir ja zu. Ich bin schließlich privat versichert“, war ihre frühmorgendliche Aussage nach der ersten Nacht. Zu gerne hätte ich diese Idee umarmt, denn diese Dame war nicht frei von divenhaften Zügen, aber leider wusste ich, dass das so gut wie ausgeschlossen ist.
„Einzelzimmer auf einer Onko-Station bekommst du nur mit Keim, Baby!“, hätte ich ihr am liebsten entgegnet, verkniff es mir aber. Sollte sie sich mal schön eine Abfuhr abholen. Die Patientenmanagerin würde das schon entsprechend formulieren.
Stattdessen ereignete sich folgende amüsante Episode: Meine Bettnachbarin war gerade im Bad. Da wurde das Frühstück gebracht und meine Lieblingsservicekraft legte mir dazu noch eine Zeitung zum Brötchen und baute ein paar Säfte daneben auf. Was war los? Feiertag oder hatte ich im Wettbewerb um die entspannteste Patientin gewonnen, wovon ich nichts wusste? Dann zwinkerte sie mir verschwörerisch zu und verließ den Raum.
Die Reaktion meiner Zimmernachbarin kam postwendend: „Ach, auch privat? Na, da haben die uns ja doch richtig zusammengelegt.“ Sie hatte die Insignien der Privatpatientenstellung sofort gedeutet. Bravo! Ich habe nur leise in mich hineingeschmunzelt, und die Situation so stehen lassen. Wozu eine Zeitung doch gut sein kann …
Ein guter Freund – Arzt – sagte mir dazu einmal: „Du, diese Patienten sind mir die liebsten, ich kenne genug Chefarztkollegen, denen gerade diese Spezies ein Dorn im Auge ist.“ Klar sieht es die Klinikverwaltung gerne, wenn sie mit der Privatversicherung abrechnen können. Da können ganz andere Tarife aufgerufen werden. Letztlich ist aber jeder Arzt immer noch dem hippokratischen Eid verpflichtet und wenn ein Arzt erst einmal am Bett steht, ist er verliebt in den Fall. Ob bei Bettler oder bei Edelmann. Dennoch: Das Vorurteil über die bessere Behandlung von Privaten hält sich hartnäckig. Muss jeder für sich selbst wissen und entscheiden.
Sehr aufschlussreich war dazu auch eine Begegnung in der Notaufnahme nach einer Nacht auf der Aufnahmestation. Eine ältere Patientin aus Baden-Württemberg, mit der ich sehr schnell ins Gespräch kam, berichtete mir doch tatsächlich ungefragt, dass sie ja überhaupt nichts dafür könne, ihr Mann sei selbstständig und in Baden-Württemberg ginge das gar nicht anders, als sich privat zu versichern. Ich legte zweifelnd die Stirn in Falten, glauben konnte ich es nicht. Schließlich kam die Dame aus der Verwaltung mit den Aufnahmepapieren herein. Zuerst war ich dran, den Fragenkatalog abzuarbeiten und meine Unterschriften zu leisten. Alles gut.
Dann ging sie zu meiner Bettnachbarin. Die zuvor noch dunkle, strenge Stimme der Verwaltungsdame änderte sich sofort, als sie vernahm, dass diese Patientin privatversichert war, in fröhliches Flöten und war auch gleich zwei Oktaven höher. Den Kopf lieblich geneigt, wandte sie sich der Schwäbin zu. Diese bekam auch einen Kugelschreiber geschenkt. Ich nicht. Schön fühlte sich das nicht an. Als dann noch der Arzt hereinkam, um zu fragen, ob sie auf einer Chefarztbehandlung bestand, sagte sie: „Seien wir doch mal ehrlich, fürs Händeschütteln muss er nicht kommen, der Chef. Das kostet nur unnötig.“ Ich konnte mein aufkommendes Lachen kaum unterdrücken. Wie recht du hattest, Großpapa!
Was mich und meine Therapie betrifft, kann und konnte ich mich keinesfalls beschweren, geschweige denn eine Anders- oder sogar Schlechterbehandlung feststellen. Ich habe dem Chefarzt genauso häufig die Hand geschüttelt wie meine privatversicherte Bettnachbarin und immer dann einen Termin bekommen, wenn ich einen benötigte. Auch E-Mails wurden sogar von ihm beantwortet. Nun, vielleicht habe ich mich ja im Kassenpatientenschlaraffenland befunden, keine Ahnung.
Aus meiner ganz persönlichen Sicht kann ich nur immer wieder sagen: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es hinaus. Und da ist es völlig egal, welche Versichertenkarte du ziehst. Die beste Versicherung ist immer noch das eigene Verhalten. Sich selbst gut informieren, gezielt und respektvoll nach- und hinterfragen. Ich wurde oft genug von meinen Zimmergenossinnen gefragt, ob ich privatversichert sei, weil alle Ärzte sich so sehr um mich bemühten. Als ich das dann verneinte, war die Überraschung groß.
Zum Schluss noch ein kleines Loblied auf meine Kasse, der ich ja seit nunmehr über vier Jahren in herzlicher Nähe verbunden bin. Sie arbeitet schnell, unglaublich schnell, wobei man sich dann manches Mal fragt, warum die Verwaltungsbehörden in meinem Städtchen das nicht auch hinbekommen. Die Mitarbeiter sind zugewandt, mitfühlend und freundlich und auch hier die Frage: Warum geht das nicht überall so?
Ich hatte einmal Grund, mit meiner Kasse zu hadern, weil ein bestimmtes Medikament nicht genehmigt wurde, aber bevor mein Klinikarzt und ich den (erfolgversprechenden) zweiten Anlauf durchführen wollten, hatte er schon eine andere Lösung gefunden. Mein Fazit: Ich kann jedem jüngeren Menschen, also auch meinen Kindern, nur empfehlen, sich gesetzlich zu versichern und allenfalls gezielt private Zusatzgeschichten dazuzubuchen. Ich gönne allen Privatversicherten von Herzen ihre Erhabenheit, wirklich kein Problem, aber ich weiß, wie hoch der Preis dafür ist. Man muss es mögen …
Und noch eine kleine Episode zum Abschluss: Ein (anderer) wirklich guter Freund wurde an einem späten Freitagabend mit einer verletzten Arteria radialis in ein kleineres Krankenhaus eingeliefert und nachts um halb eins von der diensthabenden Oberärztin erfolgreich operiert. „Oh je, an der Uniklinik wärest du vom Chefarzt operiert worden“, so erklang es aus seiner besorgten Verwandtschaft.
Ein befreundeter Uniarzt grinste nur, als ich ihm von dieser Einschätzung berichtete und meinte: „An einer Universitätsklinik steht nachts um halb eins kein Chefarzt am Tisch. Er soll froh sein, dass er in die Hände von Leuten kam, die rund um die Uhr operieren und sich nicht mit Studenten beschäftigen, ständig Vorträge halten und Fördergelder generieren müssen.“ So spielt das Leben.
Dieser Beitrag gehört zu dem Blog „Zellenkarussell. Mit der Krankheit dreht sich das Leben plötzlich schneller“.
Bildquelle: YavarPS, Wiki Commons