Bald ist es da, das E-Rezept. Ich habe mit einem Experten gesprochen und Antworten auf die Fragen bekommen, die sich viele Apotheker jetzt stellen.
Das E-Rezept wird kommen, und zwar nicht irgendwann, sondern bereits in diesem Jahr – Stichtag ist der 30.09.2020. An diesem Tag müssen laut dem Digitale Versorgung Gesetz (DVG) die Apotheken an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen sein. Aktuell wird das in Modellprojekten wie GERDA (Geschützter eRezept Dienst der Apotheken) erprobt und es läuft offenbar alles schon sehr erfolgreich.
Besonders in Kombination mit einem virtuellen Arztbesuch klingt die Möglichkeit, für ein Medikament nicht mehr die Wohnung verlassen zu müssen, für viele Patienten durchaus reizvoll. Überfüllte Wartezimmer voller kranker Menschen, der Gang zum Arzt und danach noch zur Apotheke ist für viele lästig und zeitraubend. Besonders dann, wenn es sich um Medikamente für Chroniker handelt, die sich im Großen und Ganzen nicht verändern, mutet dieser Vorgang tatsächlich bereits ein wenig antiquarisch an. Er ist zudem inzwischen der einzige zwingend analoge Prozess innerhalb der Rezeptbelieferungs- und abrechnungskette.
Bildquelle: GKV-Spitzenverband
Doch statt zuversichtlich den neuen Zeiten entgegenzusehen, haben nicht nur viele Apotheker Angst. Auch innerhalb der Bevölkerung ist die Skepsis spürbar. In einer Pressemeldung der UCB-Pharma werden die Vorbehalte der Deutschen auf Basis einer eigenen Studie aus dem Jahr 2019 abgebildet. Demnach begrüßen nur etwa 29 Prozent der Deutschen diese neue Möglichkeit, im Gegensatz zu 40 Prozent, die das E-Rezept und dessen Nutzung für sich ablehen. Einige Menschen befürchten, dass damit dem Datenmissbrauch Tür und Tor geöffnet werden. Andere, dass sie selbst die technischen Voraussetzungen nicht erfüllen, die dieser digitalisierte Prozess von ihnen verlangt.
Doch was sind die Bedenken der Apotheker hinsichtlich der neuen Möglichkeiten? Ich sprach darüber mit Florian Giermann, Key-Account-Manager bei NOVENTI Health SE, dem nationalen Marktführer im Gesundheitswesen für den Bereich Abrechnung von Apotheken und sonstigen Leistungserbringern.
Unter anderem bietet die NOVENTI Health SE einen Anschluss für Apotheken an die TI an. Diese ist ausschließlich für den Datenaustausch zwischen Akteuren des Gesundheitswesens bestimmt und bildet ein geschütztes Netzwerk im Gesundheitswesen, in dem alle Leistungserbringer sicher miteinander verbunden sind. Zukünftig ist geplant, dass der Patient seine Verordnung (also das E-Rezept) mithilfe seines Smartphones von einem zentralen Server abruft und mittels TI in eine Apotheke seiner Wahl schickt.
Giermann hält zurzeit zahlreiche Vorträge zum Thema „E-Rezept – was Apotheken wissen sollten“, und weiß damit genau, welche Bedenken Apotheker äußern. In seinem Blog gibt er außerdem Ärzten und Apothekern regelmäßig Tipps für das Navigieren durch die digitale Gesundheitswelt. Hier seine Antworten auf oft gestellte Fragen und vielfach beschriebene Probleme.
Die Kunden wissen nicht, dass die E-Rezepte auch in einer Apotheke vor Ort eingelöst werden können.
Hier lautet der erste Tipp, nicht nur auf der Apotheken-Homepage und im Schaufenster vor Ort, sondern auch ganz offensiv bei Facebook, Instagram oder Snapchat – also auf allen Kanälen, auf denen die eigene Apotheke vertreten ist – mit einem Slogan zu werben: „Wir sind bereit für das E-Rezept“. Die Werbung für das e-Rezept sollte nicht nur den großen Online-Anbietern überlassen werden, die diese Möglichkeit heute schon exzessiv nutzen. Auch das Hashtag #erezept sollten Apotheken wann immer es passt nutzen, um ihre eigene Sichtbarkeit zu erhöhen.
Tipp zwei ist, die Kunden heute schon daran zu gewöhnen, dass die eigene Apotheke digital erreichbar ist. Wer heute schon per App seine Rezeptfotos zur Apotheke vor Ort überträgt, dem liegt der Gedanke, künftig sein E-Rezept ebenfalls dorthin zu übermitteln, nicht fern. Ein Gratis-WLAN-Zugang für Apothekenkunden die physisch anwesend sind, hilft ebenfalls dabei, dass dieser onlineaffine Personenkreis bemerkt, dass die Apotheke durchaus ein Ort ist, der mit der Zeit geht.
Viele ältere Kunden haben gar kein Smartphone. Sie werden von der Entwicklung abgehängt.
Hier verweist Giermann auf eine aktuelle Social-Media-Statistik. Sie besagt, dass in Deutschland 2019 knapp 108 Mio. Mobilfunkverträge existieren, das sind 131 %. Das Internet hatte 79 Mio. Nutzer, was 96 % der Bevölkerung entspricht. Selbst wenn Säuglinge und Kleinkinder ohne eigenen Mobilfunk-Vertrag in die Rechnung mit aufgenommen und Berufstätige mit Zweithandy in Betracht gezogen werden, wird schnell klar, dass es auch unter den Senioren nicht mehr viele geben kann, die kein Smartphone haben.
Giermann gibt zu bedenken, dass nach dem Anschluss der Apotheken und Ärzte an die TI das kommende Jahr 2021 noch ein Jahr zum Üben sein wird. Auch 2022 werden beide Formen – Papier- und E-Rezept – noch nebeneinander existieren, so dass auch ältere Menschen Zeit genug haben werden, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Da ein Smartphone die Bewahrung der eigenen Selbstständigkeit im Alter unterstützen kann, wird der Anteil an älteren Nutzern weiterhin deutlich anwachsen. In zehn Jahren – wenn sich das E-Rezept als üblicher Vorgang sicherlich durchgesetzt haben wird – überwiegt der Anteil der Senioren mit Smartphone- Nutzung deutlich den Anteil derer, die keines besitzen oder nutzen.
Was mache ich bei Formfehlern? Kann ich Vermerke für die Krankenkasse auf dem E-Rezept anbringen?
Die Frage ist verständlich, denn Formfehler kommen im Apothekenalltag ebenso häufig vor wie die Bitte nach der Apotheken-Umschau. In der Praxis vergeht kein Tag, an dem nicht jeder Mitarbeiter des pharmazeutischen Personals mehrfach Vermerke auf dem Muster-16-Rezept aufbringen muss. Giermann ist sich sicher, dass dies in der Zukunft deutlich seltener der Fall sein wird.
Denn auf einem Papierrezept kann der Arzt aufschreiben, was er will. Phonetisch ähnlich klingende Präparatenamen ohne gültige PZN sind da nur ein Beispiel. Doch die TI wird solche unklaren Verordnungen nicht akzeptieren und Formfehler werden schon aus diesem Grund nur noch extrem selten auftreten. Giermann ist sicher, dass das E-Rezept dafür sorgt, dass es mehr Klarheit und Transparenz in ärztlichen Verordnungen geben wird. Vermerke in der Größenordnung, die wir heute haben, wird es künftig also nicht mehr geben. Ob Retaxationen durch die Krankenkasse damit der Vergangenheit angehören, ist allerdings eine Frage, deren Beantwortung noch aussteht.
Muss der Konnektor als Hardware in der Apotheke stehen?
Zu dieser Frage erklärt Giermann, dass es auch Anbieter gibt, die Konnektoren als Cloud-Lösung anbieten. Dadurch entfällt der Wartungsaufwand, wie das Einspielen von Updates auf den Konnektor durch den Apotheker. Der Zugang zur Cloud des Anbieters ist ebenfalls geschützt. Allerdings hat die ABDA mit einem Schreiben vom 23. Februar 2020 klargestellt, dass eine Lösung ohne physischen Konnektor in der Apotheke nach aktuellem Stand nicht von der Refinanzierungsvereinbarung erfasst ist, was einen finanziellen Nachteil bedeutet, der nicht unerheblich sein kann.
Kann der QR-Code geknackt werden?
Der QR-Code auf dem E-Rezept enthält keine eigene Info, sondern nur den Schlüssel, um an die Daten auf dem Server zu gelangen. Daher ist die Datensicherheit gewährleistet.
Wir haben in Deutschland kein flächendeckendes Internet – wie soll da ein E-Rezept funktionieren?
Das ist laut Giermann tatsächlich eine berechtigte Frage, deren Beantwortung noch aussteht. Doch er plädiert auch für mehr Zuversicht, was die neuen Möglichkeiten betrifft, die Digitalisierung den Apotheken bietet. „Beim E-Rezept wird uns die technische Umsetzung problemlos gelingen. Bedenken habe ich aber im Hinblick auf die mentale Einstellung vieler Leistungserbringer. Statt nämlich die enormen Chancen zu erkennen, die im E-Rezept als Ausprägung der Digitalisierung stecken, halten viele momentan noch mit der typisch menschlichen Verlustaversion am bekannten Status Quo fest.“
Ich hoffe, dass er damit Recht behalten wird!
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