Anfang der 90er behandelte ich einen Patienten mit hartem Schanker, dem typischen Primäraffekt der Syphilis. „Das wirst du in deinem Leben nie wieder sehen“, hieß es damals. Heute wissen wir: STIs sind immer noch überall.
Meine Anekdote zum harten Schanker macht deutlich, wie sehr sich die Situation in Hinsicht auf „klassische“ sexuell übertragbare Erkrankungen seitdem geändert hat. Damals war niemandem klar, dass sie ein solches Revival erleben würden. Wenn man dann allerdings in den vergangenen Jahren – vor allem während und nach Karneval – in Klinik oder Praxis tätig war, weiß man um das Auftreten und die Zunahme von STIs (Sexually Transmitted Infections). Wie häufig sind diese Infektionen denn nun wirklich?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass sich jedes Jahr ca. 376 Millionen Menschen mit einer der folgenden 4 STIs anstecken: Chlamydien (127 Mio.), Gonorrhoe (87 Mio.), Syphilis (6,3 Mio.) und Trichomoniasis (156 Mio.). Diese Erkrankungen sind nicht nur unangenehm, sondern können auch unbehandelt zu ernsthaften Komplikationen und zur Verminderung der Fruchtbarkeit führen.
Doch wie sieht es zahlenmäßig in Deutschland aus? Bundesweit gibt es für den Nachweis von Treponema pallidum, den Erreger der Syphilis, eine nichtnamentliche Meldepflicht, nicht jedoch für Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis oder Mycoplasma genitalium.
2001 lag die Zahl der gemeldeten Syphilisfälle noch bei ca. 2.000 Fällen pro Jahr. Sie erreichte ihren bisherigen Höhepunkt 2017 mit ca. 7.500 jährlichen Fällen. 2018 war erstmals ein leichter Abfall zu verzeichnen (7.332 Fälle), allerdings mit erheblichen regionalen und demographischen Unterschieden. So liegt der Frauenanteil konstant bei lediglich 6 % der Betroffenen, das heißt, während sich ca. 17 Männer pro 100.000 Einwohnern mit Syphilis anstecken, ist es im Vergleich nur 1 Frau pro 100.000 Einwohnerinnen. Besonders tragisch sind in dieser Statistik 3 konnatale Infektionen.
Die höchste Ansteckungswahrscheinlichkeit haben MSM (Männer, die Sex mit Männern haben). Die meisten Betroffenen stecken sich in Deutschland an und zwar sozusagen in freier Wildbahn, Ansteckungen bei Sexarbeitern/-arbeiterinnen sind von untergeordneter Bedeutung. Ein Drittel der Betroffenen ist zusätzlich HIV-positiv, auch Koinfektionen mit anderen STIs sind vorhanden.
Besonders hohe Inzidenzen gibt es in Ballungszentren wie Köln (42,7/100.000 Einwohner), Berlin, Frankfurt/Main, München und Hamburg. Auffällig ist, dass die relative Ansteckungsgefahr in Berliner Innenstadtbezirken und in München im Vergleich zum Vorjahr sank. Vermutet werden dazu meldetechnische Gründe, aber auch der Einfluss der HIV-PrEP (Prä-Expositionsprophylaxe), bei der regelmäßige 3-monatliche Syphilistestungen vorgesehen sind und die – äußerst kontrovers diskutierte Praxis – zeitgleich eine STI-Prophylaxe mit Doxycyclin durchzuführen.
Laut Schätzung der WHO gibt es 106 Millionen Gonorrhoe-Erkrankte weltweit. Innerhalb Deutschlands gibt es nur in Sachsen eine Labormeldepflicht. Hier wurden 2015 mehr als dreimal so viele Infektionen mit N. gonorrhoeae gemeldet als mit dem Syphiliserreger.
Besonders problematisch sind die Resistenzentwicklung des Erregers, asymptomatische Verläufe sowie unerkannte pharyngale und anale Reservoirbildung.
In der WHO-Leitlinie zur Behandlung einer Chlamydieninfektion wird nochmals auf die Gefährlichkeit von asymptomatischen und unbehandelten Infekten hingewiesen, die zum Beispiel auch in einer Frühgeburtlichkeit münden können.
Auch hier liegen keine deutschlandweiten Daten vor. Europaweite Inzidenzen sind stark unterschiedlich und abhängig davon, wer und warum untersucht wurde. Auch hier wird auf die unterschiedlichen Erregerreservoire hingewiesen.
Noch schlechter ist die Datenlage bei Mykoplasma genitalium, das ebenfalls Urethritiden verursacht. Auch eine Trichomoniasis sollte man im Blick haben, da diese parasitäre Erkrankung weltweit sehr häufig ist.
Die Durchseuchung mit Herpes genitalis ist sehr hoch und führt zu rezidivierender genitaler Bläschenbildung. In Deutschland seltene Erkrankungen sind das Ulcus molle (Haemophilus ducreyi) und das Granuloma inguinale (Klebsiella granulomatis).
Was also tun, wenn ein Patient kommt, bei dem es juckt, brennt und aus der Harnröhre tropft? Inzwischen gibt es gute Multiplex-PCR-Analysen, bei denen mit einem Abstrich direkt mehrere Keime nachgewiesen werden können. Hierbei sollte man auch nach oralen oder analen Übertragungswegen fragen und die Abstriche entsprechend durchführen.
Gleichzeitig kann bei Verdacht auf einen Tripper ein weiterer Abstrich zur Anzucht der Gonokokken mit anschließendem Antibiogramm angelegt werden. Die Therapie sollte dann nach Antibiogramm erfolgen – oder man hält sich an die Therapieempfehlungen der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG), bzw. an die entsprechenden Leitlinien (hier, hier und hier einzusehen).
Hat man einen Erreger identifiziert, sollte man auch eine Partnerbehandlung (oder mehrere) und – sofern möglich – eine Rückverfolgung der Quelle anstreben. So hängt sich auch schon mal die Urologin ans Telefon und ruft im entsprechenden Etablissement an. Und die Erfahrung zeigt, dass der Hinweis auf die Benutzung eines Kondoms zumindest bis zum Abschluss der Therapie auch kein Fehler ist. Beachtet werden sollte dabei auch, dass viele Patienten bei geschütztem Verkehr nur an vaginalen/analen Verkehr denken, der orale Verkehr aber oft ungeschützt ist. Auch hier gilt: Reden Sie mit Ihrem Patienten!
Eines liegt mir noch am Herzen: Die Syphilis ist nicht immer typisch im Erscheinungsbild, sie wird nicht ohne Grund auch als Chamäleon beschrieben. Daher lieber mal einen Test zu viel machen, als einen zu wenig und eventuell eine Infektion nicht richtig erkennen. Und wo eine STI ist, gibt es vielleicht noch andere, sodass man spätestens dann den Patienten zu einem Komplettcheck (inklusive HIV, Hepatitis) raten sollte.
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