Grippewellen, MERS, SARS und jetzt SARS-CoV-2: Aus früheren Zeiten müsste man doch etwas lernen können. Weit gefehlt, die Viren unterscheiden sich teils erheblich.
Ein Blick auf aktuelle Zahlen: Derzeit haben sich fast 87.000 Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, knapp 3.000 sind gestorben und über 42.000 sind genesen (Stand: 01.03., 10:45 Uhr). Für Deutschland werden 79 bestätigte Fälle gemeldet, für Italien 1.128, und für Österreich 9.
In den Medien gibt es kaum noch andere Themen. Ein Krisenstab wurde eingesetzt und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meldet sich regelmäßig zu Wort. Es ist Zeit, einen Blick auf Fakten zu werfen. Die Eckpunkte:
Bei einer möglichen Pandemie ist die Letalität (case fatality rate, CFR) eine wichtige Größe. Arbeitet man mit epidemiologische Daten aus China auf Basis von 44.672 bestätigten Fällen, kommt man auf eine Gesamt-CFR des SARS-CoV-2 von 2,3 Prozent. Außerhalb Hubeis sind es 0,4 Prozent. Diese Daten sind allerdings von Mitte Februar. Inzwischen ist die Zahl der Infizierten in China auf 79.826 gestiegen. Dabei hat sich auch die CFR auf momentan etwa 3,5 % erhöht.
Objektive Daten für Europa lasen sich derzeit nicht angeben. Der WHO-Experte Bruce Aylward nannte auf einer Pressekonferenz für Regionen außerhalb Hubeis 0,7 Prozent. Und Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, sprach zuletzt von 1 bis 2 Prozent.
Zum Vergleich: Die Pandemie H1N1 2009/10 („Schweinegrippe“) hatte eine geschätzte CFR von 0,01 Prozent. Bei den jährlichen Influenzawellen sind es 0,1 bis 0,2 Prozent. Es gibt aber auch Ausreißer: Bei der Asiatischen Grippe H2N2 (1957/1958) wird eine CFR von 0,5 Prozent angegeben. In einer ähnlichen Größenordnung bewegt sich die extrem starke Grippewelle 2017/2018. Für die Spanische Grippe 1918/19 nennen Forscher mit großer Unsicherheit mehr als 2,5 Prozent. Bei SARS sind es 9,6 Prozent, und bei MERS 34,4 Prozent.
Wie ansteckend SARS-CoV-2 ist, lässt sich noch nicht genau beurteilen. Chinesische Forscher gehen davon aus, dass ein Infizierter durchschnittlich 1,4 bis 2,5 Menschen ansteckt – ähnlich wie bei SARS. Teilweise werden deutlich höhere Werte genannt. Doch es gibt Unterschiede: Während kontagiöse SARS-Patienten nahezu immer Symptome gezeigt haben, sind Patienten nach einer SARS-CoV-2-Infektion oft ohne Beschwerden.
Laut Nationalem Pandemieplan des Robert-Koch-Instituts verliefen die Influenza-Pandemien (1918, 1957 und 1968) in mehreren Wellen. Es begann mit einer schwächeren Welle. Etwa vier bis sechs Monate später folgte eine weitere, deutlich stärkere Welle.
Auch die Pandemie 2009 folgte diesem Muster. Im Frühsommer/Sommer 2009 waren vor allem die USA, England und Spanien betroffen. Im letzten Quartal 2009 erfasste eine Erkrankungswelle ganz Europa. Die Spanische Grippe zirkulierte sogar in drei Wellen. Hier werde vermutet, dass die erste Welle nicht oder kaum vor einer Infektion in der nächsten geschützt haben, schreibt das RKI. „Eine Hypothese lautet, dass unterschiedliche Varianten zirkulierten.“ Das wiederum lässt sich mit dem instabilen Erbgut von Influenza-Viren erklären. Bei SARS-CoV-2 fehlen noch Hinweise auf Mutationen.
Ob sich das Wellenmodell auf SARS-CoV-2 übertragen lässt, ist unbekannt. Bislang folgt die Ausbreitung eher einem ab 2006 beschriebenen Modell: Infektionen werden durch Reisende über internationale Routen punktuell eingeschleppt, was bei SARS-CoV-2 aufgrund fehlender Symptome schwer nachvollziehbar ist. Von größeren Flughäfen oder sonstigen Knotenpunkten breiten sie sich weiter aus.
In dem Zusammenhang bekommt ein anderer Effekt aber Bedeutung: Ärzte und Gesundheitsbehörden versuchen, die saisonale Influenza-Welle, sie hat ihr Maximum schon überschritten, von einer Coronavirus-Infektionswelle zu entkoppeln. Insofern können zeitlich befristete Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Ausbreitung sinnvoll sein.
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