Deutschland ist aus wissenschaftlicher Sicht gut auf die SARS-CoV-2-Pandemie vorbereitet. Die Schwäche liegt an anderer Stelle: Wichtige Entscheidungen werden von regionalen Gesundheitsämtern getroffen. Gefährliches Kompetenzgerangel droht.
240 bestätigte Infektionen bei 82,79 Millionen Einwohnern – das erscheint auf den ersten Blick verschwindend gering (Stand 04.03., 16:05 Uhr). Doch die Zahl an Patienten wächst. Bis auf eines berichten alle Bundesländer mittlerweile von Fällen.
Auch in Berlin blickt man den Tatsachen endlich ins Auge. „Aus der Corona-Epidemie in China ist eine Pandemie geworden“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) gebildete Krisenstab hatte schon vorher eine Order ausgegeben: Eine Anweisung an alle Bundesländer, ihre Pandemiepläne zu überarbeiten.
Wir schauen mal genauer hin.
Der Nationale Pandemieplan besteht aus zwei Teilen. Teil I beschreibt Strukturen und Maßnahmen, Teil II stellt die wissenschaftlichen Grundlagen für die Influenzapandemieplanung und -bewältigung dar. Er wurde nach Initiativen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2005 erstellt und seitdem zweimal aktualisiert.
Da die Gesundheitspolitik Aufgabe der Länder ist, existieren dort eigene Pandemiepläne. Dass sich der Pandemieplan an Influenza-Infektionen per se orientiert, schränkt seine Gültigkeit nicht ein. Ergänzend greift das Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Dazu muss die WHO einen Pandemiefall ausrufen. Seit 27. Februar wird von einem „Pandemie-Potenzial“ gesprochen, aber nicht mehr. Laut einer bereits vor Jahren überarbeiteten Definition wird das Influenza-Geschehen in vier Phasen eingeteilt:
Auch hier gilt: Konzepte, die ursprünglich für Influenza entwickelt worden sind, lassen sich auch beim neuartigen Coronavirus anwenden.
Generell koordiniert der bundesweite Krisenstab alle Maßnahmen. Die Umsetzung liegt aber in der Hand von Ländern. Hier sind Gesundheitsämter auf Stadt- und Landkreisebene gefragt – etwa in Form regionaler Krisenstäbe.
Sie sollen im ersten Schritt die Bevölkerung über sinnvolle Maßnahmen zur Vermeidung von Neuerkrankungen informieren. Auch das Meldesystem wird in dieser Phase vorbereitet, um Fälle schnell zu erkennen. In dieser frühen Phase ist es oft noch möglich, Kontaktpersonen zu identifizieren und häusliche Quarantäne zu verordnen. Zwangsmaßnahmen wie Tests können ebenfalls durchgesetzt werden.
Bei größeren Ausbrüchen, wie beispielsweise derzeit in Nordrhein-Westfahlen, können Kitas oder Schulen geschlossen, öffentliche Einrichtungen wie Bäder gesperrt und Großveranstaltungen wie Konzerte oder Messen abgesagt werden. Bayern geht wie so oft einen Sonderweg: Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) will dafür sorgen, dass zu Messen mit mehr als 1.000 Teilnehmern keine Aussteller aus Corona-Risikogebieten kommen.
Nationale Pandemiepläne haben auch für Kliniken weitreichende Folgen. Sie müssen darauf vorbereitet sein, Personal (etwa durch Urlaubssperren) aufzustocken und Betten freizumachen. Auf planbare, nicht unbedingt erforderliche OPs ist dann zu verzichten.
Als Fazit bleibt, dass Pandemiepläne zusammen mit dem IfSG Grundrechte wie die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung bzw. das Recht auf körperliche Unversehrtheit einschränken. Wer sich Maßnahmen widersetzt, muss mit einem Bußgeld, in Einzelfällen auch mit Haftstrafen, rechnen. Generell ist die Polizei befugt, Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzes durchzusetzen.
Föderale Strukturen beim Nationalen Pandemieplan gelten gleichermaßen als Stärke und Schwäche. Lokale Gesundheitsämter können schneller reagieren als Bundesministerien – vorausgesetzt, die Kompetenzen sind klar. Und genau das ist nicht der Fall. Einige Beispiele:
Ja, dazu reicht das IfSG aus. Ein Blick auf Heinsberg (NRW): Das Gesundheitsamt hat nach mehreren Infektionen und einer unklaren Zahl an Kontaktpersonen rasch gehandelt. Rund 1.000 Menschen befanden sich in Quarantäne, sie durften Haus oder Wohnung nicht verlassen. Medienberichten zufolge wurden sie von Freunden, Verwandten oder Nachbarn mit Lebensmitteln versorgt.
Am 1. März konnten Menschen ohne Beschwerden, die auf einer Karnevalssitzung mit „Patient 1“ waren wieder aus der Quarantäne entlassen werden. „Patient 0“ konnte bis heute nicht ausfindig gemacht werden.
Kindertagesstätten, Schulen und Tagespflegeeinrichtungen bleiben bis einschließlich 6. März geschlossen. Es gibt aber keine Ausgangssperre, und Heinsberg ist auch nicht – wie man es von italienischen Gemeinden weiß – polizeilich abgeriegelt.
Bildquelle: Hemant Latawa, Unsplash