Das Coronavirus greift um sich. Die ersten Schulen und Kitas werden geschlossen. Droht jetzt der Systemcrash?
Noch schneller als sich das Virus selbst ausbreitet, macht sich Angst vor Corona breit. Die vollen Einkaufskörbe und voll gestopften Autos der Mitmenschen sorgen zunehmend für Panik und leere Einkaufsregale.
Am Wochenende wurde ich sogar im Großmarkt angesprochen. Ein Ehepaar, das mich aus der Klinik kannte, verfolgte meine mutmaßlichen Hamster-Einkäufe. Sie beratschlagten, welche der Lebensmittel sie ebenfalls einkaufen sollten. Bis ich ihnen erklärte, dass ich die große Anzahl Weißwürste in meinem Einkaufswagen nicht einfrieren würde. Auch die fünf Liter Milch waren kein Hamsterkauf. Sondern für meine 20 geladenen Gäste am Sonntag gedacht.
Leider musste ich dem Besuch für den Sonntagsbrunch dann doch kurzfristig absagen und sitze nun auf meinen Weißwürsten fest. Das Kind wurde krank und die gesamte Familie gleich mit. Die typischen Grippesymptome. Fieber, Husten, Schnupfen, Gliederschmerzen. Corona? Wir wissen es nicht. Es besteht aber auch kein Grund zur Testung. Wir gehören nicht zur Risikogruppe. Mit den üblichen fiebersenkenden Mitteln und Hausmittelchen werden wir in einigen Tagen wieder gesund.
Wir verhalten uns genauso wie bei allen anderen Krankheiten. Wir bleiben zu Hause, trinken viel, schränken den Kontakt ein, gehen nicht in den Kindergarten oder auf den Spielplatz. Falls die Weißwürste dennoch ausgehen sollten, rufe ich einen Nachbarn oder eine Freundin an. Die können die Brötchen und die Butter auch vor die Tür stellen. Das haben wir bei den letzten Magen-Darm-Viren und Scharlach-Erkrankungen ebenso gehandhabt. Man hilft sich aus. So einfach ist das. Dafür braucht es keinen sofortigen Händedruck und kein Küsschen auf die Wange. Die Möglichkeit sich zu revanchieren, kommt oft schneller als gewünscht.
Natürlich hat so eine Situation auch weiter reichende Konsequenzen. Ich kann nicht arbeiten. Was, wenn jetzt alle so agieren müssten? Wenn alle ihre Kinder nicht in den Kindergarten oder die Schule bringen können? In Quarantäne müssen und die Versorgung nicht gewährleistet ist? Im Übrigen ist natürlich in der Zeit, in der ich krank mit Kind zu Hause bin, auch die Versorgung meiner Patienten nicht gewährleistet.
Unsere Kita hat noch keine Einschränkungen. Trotzdem fehlt die Hälfte aller Kinder. Denn Anfang März ist wie üblich die Hälfte krank. Wie regeln das die Eltern? Omas, Opas, Nachbarn, Home Office, kurze Arbeitstage, Dienstplantausch – kurzfristige Änderungen sind bei einem Leben mit Kindern sowieso an der Tagesordnung.
Es wird gegenseitig unterstützt, wo es möglich ist. Gesunde Kinder werden vormittags von der einen Mutter betreut, nachmittags von einer anderen. Die Väter kommen früher nach Hause, verlegen eine Dienstreise oder man wechselt sich täglich ab. Familie und Sozialsystem funktionieren eben nur zusammen.
Und kranke Kinder? Tja. Von den Kindern, die im März im Kindergarten sind, hat mindestens eines gerade einen beginnenden grippalen Infekt, eine Bindehautentzündung oder einen noch nicht ganz abgeklungenen Magen-Darm-Virus. Die zehn „freien“ Arbeitstage im Jahr decken die Krankheitstage eines Kleinkindes sowieso nicht ab. Deshalb sind kranke Kinder auch immer wieder in der Kita anzutreffen, auf dem Spielplatz oder beim Spielen in fremden Kinderzimmern.
Ohnehin sind Erkrankungen manchmal schneller da, als man reagieren kann. Man bringt das gut gelaunte Kind zur Oma und holt es drei Stunden später mit 40 Grad Fieber ab. Ist allen schon mal so gegangen. Und wir haben es überlebt. Die Familie, das Sozialsystem und unser Wirtschaftssystem.
Priorisieren muss jeder selbst. Ist ihm die Arbeit, die Dienstreise oder die Gesundheit des Kindes wichtiger? Alltagsfragen für Eltern, die man sich alle paar Wochen stellen muss. Es wäre naiv, zu glauben, dass eine verordnete Quarantäne nun besser eingehalten wird, als die notwendige Karenz bei allen anderen Infektionskrankheiten.
Aber es gibt wie immer ein Licht am Ende des Tunnels. Auch Quarantänen und Schließungen sind vorübergehend. Wie alle anderen Krankheiten. Es geht wieder vorbei. Wir können laut RKI nur den Prozess und die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Verhindern können wir sie nicht.
Befassen wir uns also mit den wirklich wichtigen Sachen, die wir tun können. Sie unterscheiden sich gar nicht allzu sehr von den Maßnahmen, die wir sonst in unserem Alltag beherzigen müssen.
Wir waschen die Hände, wir niesen in die Armbeuge, wir hüten die Couch, wenn wir krank sind. Wir stecken unsere Kinder nicht in die Schule oder in die Kita, wenn es ihnen nicht gut geht und gehen mit Fieber nicht die Oma im Altenheim besuchen.
Ich operiere keine Patienten, wenn mir der Fieberschweiß von der Stirn läuft und ich gehe von der Arbeit nach Hause, wenn ich krank bin. Da gehöre ich im Übrigen zu den wenigen Ärzten, die das machen. Die meisten Beschäftigten im Gesundheitssystem arbeiten krank einfach weiter.
Angst vor dem Systemcrash habe ich also nicht. Unser Kindergarten hatte dieses Jahr schon einige Tage geschlossen wegen Personalmangel. Das ist Alltag für Eltern in Deutschland. Wieso sollten wir uns jetzt stressen lassen? Das Einzige, was die Politik bisher mit ihrem Aufruf „Keine Angst vor Corona“ erreicht hat, ist Angst vor Corona. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Ich plädiere deshalb für etwas Zuversicht, gegenseitige Unterstützung, Langmut und Innehalten. In der Ruhe liegt die Kraft (geschrieben, während das kranke Kind auf der Couch schläft und Ibuprofen meine Gliederschmerzen bessert. Einen Weg gibt es schließlich immer).
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