Es gibt kaum ein Leiden, das in der Medizin so wenig beachtet und auch so wenig verstanden wird, wie das sogenannte Roemheld-Syndrom. Die Mediziner betrachten es nicht als eine Krankheit im herkömmlichen Sinn, sondern als eine belanglose gesundheitliche Beeinträchtigung mit einer Reihe von verschiedenen Symptomen.
Die Beschwerden reichen vom Völlegefühl über häufiges Aufstoßen und Sodbrennen bis hin zu Kurzatmigkeit, beschleunigtem Puls und infarktähnlichen Herzbeschwerden. Es sind vor allem die Herzprobleme, die zu Angstgefühlen führen und dem Betroffenen so manche schlaflose Nacht bereiten.
Vor etwa 120 Jahren erkannte der Arzt, Ludwig von Roemheld, dass eine im Übermaß, im Magen und oberen Darmbereich angestaute Luftmenge die Ursache der auftretenden Beschwerden ist. Dadurch befinden sich die Organe im oberen Bauchraum unter erheblichem Druck. Das Zwerchfell wird in Richtung Brusthöhle gepresst. Durch die Verschiebung des Diaphragmas wird der Raum im Brustkorb eingeengt, was die Entfaltungsmöglichkeit von Herz und Lunge extrem behindert und so deren Funktion stark beeinträchtigt. Durch die Luftansammlung kann sich auch ein so hoher Druck aufbauen, dass ein Teil des Magens, durch die Öffnung für die Speiseröhre im Zwerchfell, in den Brustraum gepresst wird (Hiatushernie).
Seit „Roemheld“ versucht man nun herauszufinden, wie das Gas, das diese Beschwerden verursacht, entstehen könnte. Die Diagnosen sind dann genau so vielfältig, wie die Symptome: üppige Mahlzeiten, funktionelle Magen-Darm-Störungen, Gastroenteritis, Laktoseintoleranz, Fruktoseintoleranz, Alpha-Galaktoseintoleranz und noch einige mehr. Auch Hypochondrie wird manchmal unterstellt. Zwischen dem Roemheld-Syndrom und den gestellten Diagnosen besteht allerdings absolut kein Zusammenhang. Das Problem ist auch gar nicht die sich bildende Luft. Die Entstehung von CO2 (darum handelt es sich hier nämlich) ist ein völlig normaler, zur Verdauung gehörender Vorgang. Es ist, im Krankheitsfall, die fehlende Entsorgung, der mangelhafte Abbau dieses Gases.
Im Duodenum (Zwölffingerdarm) wird der mit Salzsäure vermengte Speisebrei für die weitere Verdauung aufbereitet. Er wird mit den Enzymen der Leber und der Bauchspeicheldrüse versetzt. Außerdem läuft hier ein Vorgang ab, der mit den hier geschilderten Problemen in direktem Zusammenhang steht: Durch Zufügen von Hydrogencarbonat-Puffer (Kohlensäure H2CO3) wird die Salzsäure neutralisiert. Bei diesem chemischen Prozess reagieren Salzsäure und Kohlensäure zu Wasser und Kohlenstoffdioxid.
Das sich bildende Wasser verdünnt den Speisebrei und optimiert so dessen Transport und Verdauung. Das Kohlendioxid hingegen ist problematischer Ballast und muss entsorgt werden. Bei normaler Körperfunktion ist das kein Problem und bleibt völlig unbemerkt. Das Dioxid wird, genau wie auch das in den Zellen entstehende CO2, kontinuierlich in den Blutkreislauf aufgenommen und über die Lunge abgeatmet.
Bei einigen Menschen funktioniert der Gasabbau in dieser Form allerdings nicht. Vermutlich infolge eines Gen-Defekts kann das CO2 nicht, wie von der Natur vorgesehen, entsorgt werden. Das Roemheld-Syndrom, mit seinen belastenden Problemen, hat also nicht verschiedene Ursachen, sondern entsteht durch einen mangelhaften Abbau des Dioxids, das bei der Entsäuerung aufkommt. Es wird krankhaft im Oberbauch gespeichert.
Hier stellt sich nun die Frage: Was läuft bei Menschen mit Roemheld-Syndrom anders? Warum wird hier die Luft nicht, wie bei Gesunden, entsorgt? Ist es eine andere Beschaffenheit, eine andere Struktur der Darmwand, die eine Diffusion der CO2-Moleküle nicht zulässt und dadurch der Abtransport durch das Blut nicht gewährleistet ist? Fehlt ein Enzym, das als Katalysator erst die Aufnahme der Luft in das Blut ermöglicht? Oder ist hier ein Stoff wirksam, der die Bindung des Gases an den Blutfluss blockiert? Die Antwort auf diese Fragen kann nur durch intensive Forschungsarbeit gefunden werden. Hier ist nun die Wissenschaft gefordert. Erst nach genauer Kenntnis der Abläufe ist - wenn überhaupt - eine Therapie möglich.
Wie geschildert, verursacht das Roemheld-Syndrom eine ganze Reihe von stark belastenden Symptomen. Da es aber offenbar keinen negativen Einfluss auf die Lebenserwartung hat, ist es für die Mediziner nicht von großer Bedeutung. Ein 10-tägiger Schnupfen erregt bei den Ärzten eine größere Aufmerksamkeit, als dieses Leiden, mit seinen stark belastenden Symptomen, die sogar lebenslang wirksam sind. Für einen Betroffenen ist es aber eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Der Leidensdruck der Patienten ist oft sehr hoch. Wenn so stark belastende Probleme auftreten, muss doch eine ernsthafte Erkrankung dahinterstecken, so die Vorstellung und so sind häufig viele Untersuchungen und Arzt-Besuche erforderlich, ehe es heißt: Roemheld-Syndrom. Damit ist die Sache aber nicht ausgestanden. Die gestellten Diagnosen sind nämlich für den Betroffenen unbefriedigend und wenig hilfreich. Denn auch bei einer entsprechenden Veränderung der Lebens- und Ernährungsweise sind nach wie vor die belastenden Symptome unverändert vorhanden. Was dann bleibt, ist Ratlosigkeit, Frust und die deprimierende Erkenntnis, dass ihm nicht geholfen werden kann. Diesem Syndrom sollte daher eine andere medizinische Bedeutung, eine höhere Bewertung zugemessen werden.
Wegen der belastenden Symptome, die dieses Leiden verursacht und auch, damit die Betroffenen zu mindest eine eindeutige Diagnose erhalten, müsste es genauer erforscht werden. Beim heutigen medizinischen Standard und der Vielfalt der Untersuchungsmöglichkeiten durch modernde medizinische Geräte sollte es eigentlich kein Problem sein, das Rätsel “Roemheld-Syndrom“ zu lösen.