Im Kampf gegen die Alzheimer-Demenz setzen Forscher ganz auf Wirkstoffe gegen Beta-Amyloide. Ihre Strategie geht momentan nicht auf. Der Grund: Pathophysiologische Prozesse sind komplexer als bislang vermutet, zeigen kürzlich veröffentlichte Daten.
Morbus Alzheimer geht mit kognitiven, emotionalen und sozialen Defiziten einher. Wie viele Menschen tatsächlich an der Krankheit leiden, ist eine Frage, die Neurologen entzweit. Neben der Diagnose anhand symptomatischer Kriterien bleiben pathologische Befunde post mortem oder heute auch per PET-Untersuchungen. Zwischen beiden Herangehensweisen liegen Welten.
Dr. Sarah Monsell, Seattle, hat jetzt 200 Gehirne von Demenzpatienten nach deren Tod untersucht. Sie waren im Schnitt mit 85 Jahren verstorben. Ärzte hatten bei allen Personen zu Lebzeiten eine leichte bis moderate Alzheimerdemenz festgestellt. Als Maß aller Dinge diente hier der Mini Mental State Test (MMST) mit Kriterien rund um Orientierung, Merkfähigkeit, Rechnen und Buchstabieren, visuell-konstruktorischen Inhalten oder Handlungen. Eine Punktezahl von 16 bis 24 gilt dabei als leichte bis mittlere Demenz. Die letzte Erhebung lag acht Monate zurück. In allen Fällen hatten Neurologen Alzheimer diagnostiziert – sowohl anhand kognitiver Symptome als auch anhand von Biomarkern.
Bei der Autopsie konnte Monsell die Resultate ihrer Kollegen nicht immer bestätigen. In 70 Fällen (35 Prozent) fand sie keine Hinweise auf Morbus Alzheimer. Sieben Verstorbene hatten ein altersgemäß entwickeltes Gehirn ohne Anomalien. Bei 52 weiteren Fällen fanden Wissenschaftler anderweitige Erkrankungen, beispielsweise vaskuläre Demenzen. Auffällige Zahlen an Amyloidplaques, gemessen anhand von CERAD-Kriterien (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease), fehlten bei 25 Prozent aller Proben. Noch ein Blick auf genetische Faktoren. Das E4-Allel des Gens für Apolipoprotein E (ApoE) steigert Alzheimer-Risiken um den Faktor drei, beim Vorliegen von zwei Allelen sogar um den Faktor 15. Bei 37 Prozent aller Präparate ohne Apo-E4-Allel und bei 13 Prozent mit dieser Mutation fehlten hinreichend viele Amyloidplaques, um von Morbus Alzheimer zu sprechen. Viel Amyloid korreliert mit viel verklumpten Tauproteinen. Gesunde Gehirne zeigen jedoch altersgemäße Tau-Verklumpungen, ohne dass von Morbus Alzheimer gesprochen werden kann.
Die Studie zeigt ein großes Dilemma moderner Pharmaforschung: Klinische und pathologische Alzheimer-Diagnosen klaffen weit auseinander. Derzeit arbeiten viele Labors an Strategien gegen Amyloidplaques. Fehlen entsprechende Strukturen, helfen Medikamente gegen Beta-Amyloide nichts. Das könnte auch erklären, warum Wissenschaftler auf der Stelle treten.