Mein Praxisalltag als Gynäkologin verläuft im Moment mit einem leicht mulmigen Gefühl. Denn über die Auswirkungen von SARS-CoV-2 in der Schwangerschaft ist noch wenig bekannt.
Bisher hatte ich den Eindruck, die ganze Sache grenze an Hysterie. Ich argumentierte in Gesprächen immer gerne mit der großen Anzahl an Influenzafällen, über die kaum mehr jemand spricht. Als nun das Robert-Koch-Institut (RKI), auf dessen Website ich den Verlauf der Infektionen mit SARS-CoV-2 verfolge, die Lage doch als kritischer einstufte, schwand meine Gelassenheit.
Verstärkt wurde diese emotionale Ungemütlichkeit dann am vergangenen Wochenende auf einem Kongress mit 7.000 Teilnehmern. Am zweiten Tag wurde uns mitgeteilt, dass die Veranstaltung an dieser Stelle leider aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden müsse. Einer der Referenten habe vor einigen Stunden ein positives Ergebnis auf SARS-CoV-2 erhalten und befinde sich in der Klinik.
Zum Glück hatte er nur am Vorabend des Kongresses Kontakt mit etwa 20 anderen Referenten, er selbst war gar nicht auf der Veranstaltung erschienen. Da diese Kontakte innerhalb der ersten 48 Stunden lagen, in denen frisch Infizierte noch nicht ansteckend sind, habe bislang keine Gefahr für das Publikum bestanden, so die Organisatioren. Damit sich das nicht ändere, musste der Kongress vor Ablauf dieser Frist abgebrochen werden.
Zu solchen Fällen schreibt das RKI:
„Kontaktpersonen sind Personen mit einem unten definierten Kontakt zu einem bestätigten Fall von COVID-19 ab dem 2. Tag vor Auftreten der ersten Symptome des Falles.“
Die 20 Kontaktpersonen wurden nach Abbruch des Kongresses unmittelbar in Quarantäne genommen. Wir Teilnehmer fuhren nachdenklich nach Hause – wahrscheinlich war SARS-CoV-2 bisher keinem von uns so nahegekommen.
Bislang ist die Datenlage bezüglich einer Infektion mit SARS-CoV-2 in der Schwangerschaft sehr dünn. Hierzu das RKI: „Schwangere scheinen der WHO zufolge kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu haben.“ (Stand: 03.03.2020).
Dieser Aussage schließt sich auch Prof. Winfried Kern an. Er ist ärztlicher Leiter der Abteilung Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Erste Daten sprechen dafür, dass die Infektion das Ungeborene wohl nicht erreicht und insofern auch keinen Schaden anrichten kann. Bisher gibt es auch keine Berichte über einen schweren Verlauf der Infektion bei Schwangeren“, sagte der Experte im Interview mit der Badischen Zeitung.
The Lancet berichtete Mitte Februar über eine Beobachtung von neun Schwangeren im chinesischen Wuhan, die im 3. Trimenon an einer durch SARS-CoV-2 ausgelösten Pneumonie erkrankt waren. Die Autoren stellten fest, dass sich die Symptome bei den Patientinnen nicht von denen nicht schwangerer Frauen unterschieden und keine der Betroffenen eine schwere Pneumonie entwickelte oder verstarb.
Allerdings handelt es sich hier um kleine Fallzahlen und um Patientinnen, die sich bereits im letzten Drittel der Schwangerschaft befanden und alle durch Kaiserschnitt entbunden wurden. Welche Auswirkungen das Virus bei einer Infektion in früheren Abschnitten der Schwangerschaft hat, ist weiterhin unbekannt. Ebenso die Übertragungsmöglichkeit bei einer Spontangeburt.
Die Befürchtung einer vertikalen Übertragung erwuchs aus Berichten über ein Neugeborenes, dass innerhalb von 36 Stunden postpartal positiv getestet wurde. Seine Mutter war während der Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 infiziert worden. „Es scheint, dass SARS-CoV-2 nicht im Fruchtwasser, Nabelschnurblut oder in der Muttermilch enthalten ist und übertragen werden kann.“, so Prof. Wei Zhang, einer der Autoren der Lancet-Studie in einem Interview mit Healthline. Letzteres spräche für eine vertikale Transmission auf das ungeborene Kind. Frauen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, sollten nach der Geburt von ihrem Neugeborenen isoliert werden, um eine Infektion des Kindes zu vermeiden, so Wei Zhang. Ein hartes Urteil.
„Bei Kindern scheint die Erkrankung laut WHO vergleichsweise selten aufzutreten und dann mild zu verlaufen. Schwere oder gar kritische Verläufe wurden nur bei einem sehr kleinen Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen beobachtet. Es ist mit den bisherigen Daten allerdings nicht möglich zu bestimmen, welche Rolle Kinder und Jugendliche bei Übertragungen spielen und ob sie generell weniger anfällig für das Virus sind“, so das RKI. (Stand 03.03.2020).
Eine Studie aus China mit 34 infizierten Kindern, die allesamt an keiner chronischen Vorerkrankung litten, zeigte mildere Krankheitsverläufe als bei Erwachsenen. Auch hier muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine sehr kleine Probandenzahl handelt.
Der Berufsverband der Frauenärzte rät, neben den allgemeinen Hygienemaßnahmen, ungeimpfte Schwangere gegen Influenza auch jetzt noch zu impfen, damit sie nicht zeitgleich an beiden Infektionen erkranken.
Wir versuchen in unserer Praxis, die allgemeinen Hygienemaßnahmen konsequent umzusetzen. Patientinnen desinfizieren sich beim Betreten der Praxis die Hände, Berührungspunkte wie Türklinken werden häufiger desinfiziert. Auf Händeschütteln wird verzichtet, was ein Plakat im Wartezimmer kurz erläutert.
Zu den Räumlichkeiten der benachbarten Allgemeinmedizin versuchen wir, vermehrt Abstand zu halten, um insbesondere die schwangeren Patientinnen zu schützen. Bisher wissen wir nur, dass Fieber in der Schwangerschaft Wehen induzieren kann, und somit das Frühgeburtsrisiko ein Thema bei allen fieberhaften Infekten ist. Ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen scheinen tatsächlich durch SARS-CoV-2 höhergradig gefährdet zu sein. Diese, und alle Schwangeren aufgrund der noch unsicheren Erkenntnislage, gilt es besonders zu schützen.
Das neue Coronavirus ist seit dieser Woche innerhalb der Patientengespräche häufiger Thema. Insgesamt sehe ich unter den Patientinnen, auch den Schwangeren, aber keine allzu große Beunruhigung. Kurzfristige Terminabsagen treten nicht mehr als sonst auf.
Persönlich versuche ich, mich von der allgemeinen Lage nicht zu sehr verunsichern zu lassen, wobei ich die Situation insgesamt natürlich sehr ernst nehme. Ich hoffe auf eine baldige Entspannung dieser globalen Bedrohung, etwa durch wärmere Temperaturen ähnlich wie bei Influenza, und auf weise Entscheidungen bei allen Verantwortlichen. Gegen Influenza bin ich geimpft und würde es, sobald möglich, auch gegen SARS-CoV-2 tun.
Bildquelle: Martin Cathrae, Flickr