SARS-CoV-2 könnte unser Gesundheitssystem an seine Grenzen bringen. Dann müssen Klinikärzte klären: Welche Patienten werden abgewiesen?
Sagen wir es, wie es ist: Wenn die Zahl an Infektionen mit SARS-CoV-2 auch in Deutschland weiterhin so rasant zunimmt wie bisher, wird unser Gesundheitssystem anders handeln müssen als bisher. Dazu könnte dann auch die ein oder andere schwere Entscheidung gehören. Wen nehmen wir auf, wen weisen wir ab? Wie priorisieren wir?
Kurz: Wie regeln wir die wohl unausweichliche Triage?
Das beginnt schon bei der Frage, wen wir isolieren. Wir reden inzwischen von einer Pandemie – wir können nicht einfach vorsorglich Menschen kasernieren oder im Krankenhaus überwachen wie noch zu Beginn der Corona-Welle.
Denn was virologisch sinnvoll ist, funktioniert schon aus Platzgründen jetzt nicht mehr. Will heißen: Wer sich vermutlich oder nachweislich infiziert hat, aber keine relevanten Beschwerden zeigt, muss in den eigenen vier Wänden in Isolation. Sollten sich die Beschwerden verschlechtern, kann man immer noch über eine stationäre Therapie nachdenken.
Und selbst dann muss man vermutlich auch streng nach Schwere der Fälle entscheiden. Denn Achtung: Von der anfänglich fast schon luxuriösen Auswahl an Isolierungsoptionen sind wir wohl schnell weit entfernt. Schon jetzt wird in Erwägung gezogen, Hotels zu Bettenstationen umzufunktionieren.
Weiter geht es daher mit der Frage, wie man freie Kapazitäten für Notfälle schafft. Die meisten Krankenhäuser haben inzwischen angekündigt, dass planbare Eingriffe verschoben werden. Klingt nach Strategie und entspannt geregelter Lage, oder?
Aber auch hier lauert ein großes Cave: Nicht immer ist klar definiert, welche OP man wie lange hinauszögern sollte – oder kann. Hinzu kommt, dass wir schlicht nicht wissen, wann der Virenspuk ein Ende nimmt und wieder Normalbetrieb herrscht. Es bleibt momentan also vieles im Ermessensspielraum der Ärzte.
Die nächste Frage: Wie geht man mit Akutpatienten um? Schon lange vor der COVID-19-Pandemie waren unsere Notaufnahmen überfüllt, ein bekanntes und vieldiskutiertes Problem. Das Spektrum der dort anzutreffenden Erkrankungen reichte dabei von wirklich deplatzierten Schniefnasen bis hin zu lebensbedrohlichen Herzinfarkten.
Ein Krankenhaus, das mit Corona-Patienten überlaufen ist, wird es jetzt natürlich nur noch schwerer haben. Denn die Triage wird weitaus strenger und besser werden müssen als sie es bisher ist. Wer nicht lebensbedrohlich erkrankt ist, muss warten – oder anderweitig behandelt werden, wo und wann immer das möglich ist. Mehr dazu in meiner abschließenden Frage unten.
Es ist also sehr wahrscheinlich, dass wir neue Selektionskriterien für die tägliche Arbeit in Notaufnahmen und Kliniken brauchen werden. Dabei dürfen wir nie vergessen: Eine Infektion mit SARS-CoV-2 ist besonders gefährlich für alte und multimorbide Menschen.
Genau das ist aber eben auch der Personenkreis, der ohnehin mit schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder schweren chronischen Lungenerkrankungen zu kämpfen hat. Die intensivmedizinische Betreuung muss dem Rechnung tragen, ohne einen Kollaps der Kliniken zu provozieren.
Nun also zur abschließenden Frage: Wie können wir die zunehmende Zahl an Patienten, die nicht im Krankenhaus behandelt werden können, trotzdem versorgen?
Zwei Optionen sehe ich: In einigen Ländern, und auch bei uns, denken Politiker laut darüber nach, Ärzte aus dem Ruhestand zu holen. Das könnte eine Lösung sein.
Eine Alternative machen andere Länder bereits vor: Den Abschied vom Ärzteprivileg. In skandinavischen Ländern standen Patienten zum Beispiel schon vor der Krise sogenannte Walk-in Clinics oder Retail Clinics zur Verfügung.
Speziell ausgebildete MFA oder Nurses führen hier eine Triage durch und achten auf Warnsignale. Bagatellerkrankungen therapieren sie selbst, nur schwere Fälle landen beim Arzt. Eine große Verantwortung – und im Moment auch ein vielversprechender Ansatz, der entlasten könnte.
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