Wissenschaftliche Gutachten, klinische Studien, Stiftungsprofessuren oder gleich komplette Institute: Die Wirtschaft lässt für Hochschulen große Beträge springen. Kritiker wittern schon lange Interessenkonflikte. Deshalb bleibt so manche Akte lieber komplett unter Verschluss.
Ende mit Schrecken: Ein umstrittener Kooperationsvertrag der Uni Köln mit dem Pharmaunternehmen Bayer bleibt geheim. Auch in zweiter Instanz (Az.: 15 A 97) verweigerten Richter die Einsicht in entsprechende Unterlagen. Geklagt hatte Philipp Mimkes, Geschäftsführer des industriekritischen Verbands „Coordination gegen Bayer-Gefahren“. Hochschule und Industrie arbeiten seit 2008 zusammen an klinischen Studien zur Herz- und der Krebsforschung. Soweit, so wenig überraschend. Mimkes will wissen, ob Bayer eine vertragliche Garantie habe, dass unerwünschte Resultate nicht veröffentlicht würden. In anderen Bereichen ist es durchaus üblich, dass jede Publikation dem Geldgeber vorzulegen ist. Beide Partner haben ihre umstrittene Zusammenarbeit im Oktober beendet; eine Geheimhaltungsvereinbarung greift aber nach wie vor. Im Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es zwar, Unis müssten „in geeigneter Weise über abgeschlossene Forschungsvorhaben“ informieren. Ausnahmen sind möglich, falls Geschäftsgeheimnisse in Gefahr geraten.
Genau hier liegt das Problem. Prinzipiell könnten Universitäten und Konzerne voneinander profitieren. Für Hochschulen stehen finanzielle Vorteile oft an erster Stelle. Seit Jahren befinden sie sich in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Mit ihrer Grundfinanzierung allein ist wenig Staat zu machen. Bei Unis gelten neben deutschen und europäischen Fördertöpfen Firmen als spendable Geldgeber, um leere Säckel zu füllen. Dazu einige Zahlen: Im Jahr 2013 bekamen Hochschulen hierzulande 7,1 Milliarden Euro an Drittmitteln. Nach der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2,3 Milliarden) und dem Bund (1,9 Milliarden Euro) standen Wirtschaftsunternehmen an dritter Stelle (1,4 Milliarden Euro) – noch vor der Europäischen Union (0,7 Milliarden Euro). Ganz uneigennützig fördert keine Firma die akademische Forschung.
Hochschulen sollen durch ihren untadeligen Ruf als renommierte Instanzen Projekte mit der nötigen Seriosität begleiten. Die Bergische Universität Wuppertal freute sich beispielsweise über 70.000 Euro von Novartis. Forscher untersuchen gesellschaftliche Kosten von Erblindung und Sehbehinderung. Was hat Novartis von solchen Daten? Darüber lässt sich nur spekulieren. Mit Lucentis® (Ranibizumab) vertreibt der Konzern ein rekombinantes monoklonales Antikörperfragment zur Therapie der feuchten altersbezogenen Makuladegeneration (AMD). Ärgerlich, dass Lucentis® wesentlich teurer als das off-label eingesetzte Avastin® (Bevacizumab) ist. Eine Studie über hohe volkswirtschaftliche Kosten durch den Verlust des Augenlichts käme als Argumentationsgrundlage sehr gelegen.
Kein Einzelfall: An der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Ernährung zeigen sich ähnliche Interessenkonflikte. Mit ihrem Projekt „Coffeeprevention“ untersuchen „ein Hamburger Unternehmen in Zusammenarbeit mit vier akademischen Partnern aus ganz Deutschland“ gesundheitsfördernde Eigenschaften von Kaffee, heißt es im „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit“ der Bundesregierung. Dass es sich bei besagter Firma um Tchibo handelt, verschweigen alle Beteiligten. Umso vollmundiger loben sie wissenschaftliche Veröffentlichungen. Ein Zitat aus dem Bericht: „Mithilfe dieser Ergebnisse konnte in zwei Humanstudien gezeigt werden, dass Probanden in den Phasen, in denen sie den Testkaffee tranken, ein deutlich höheres Niveau an antioxidativ-zellulärem Abwehrpotenzial hatten als in den Phasen, in denen sie keinen Kaffee zu sich nahmen. Hieraus ergeben sich neue, grundlegende Erkenntnisse bezüglich der antioxidativen Wirkung von Kaffeegetränken, mit deren Hilfe neue Produkte entwickelt werden können.“ Lebensmittelchemiker der Technischen Universität Kaiserslautern berichten außerdem [Paywall], regelmäßiger Kaffeegenuss helfe gegen Doppelstrangbrüche im Erbgut. Als Coautor tritt unter anderem Professor Dr. Gerhard Eisenbrand in Erscheinung. Seine eigene Liste potenzieller Interessenkonflikte ist lang. Eisenbrand beriet beispielsweise das Institute for Scientific Information on Coffee (ISIC), eine Think-Tank der Kaffeeindustrie. Patentanmeldungen, unter anderem für Tchibo, hält der umtriebige Forscher ebenfalls. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt.
Für Firmen gibt es darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten, mit Unis ins Geschäft zu kommen. Mittlerweile existieren mehr als 1.000 Stiftungsprofessuren, berichtet „Hochschulwatch“. Wer zahlt, schafft an – und bestimmt thematisch kontroverse Schwerpunkte. Beispielsweise hat die Karl und Veronica Carstens-Stiftung Deutschlands erste Professur zur Erforschung der Komplementärmedizin eingerichtet. Andere Geldgeber nehmen nicht nur Einfluss auf den inhaltlichen Fokus, sondern reden bei personellen Entscheidungen mit. Angesichts dieser Beispiele wundert sich niemand über schwindendes Vertrauen. Eine Umfrage zeigt das ganze Ausmaß des Schadens. Rund 58 Prozent aller Europäer stimmten folgender Aussage zu: „Wir können bei kontroversen wissenschaftlichen und technologischen Themen nicht länger darauf vertrauen, dass Wissenschaftler die Wahrheit sagen, da sie in finanzieller Hinsicht mehr und mehr von der Industrie abhängig sind.“ Nur 16 Prozent widersprachen.