Eine junge Frau kommt in die Ambulanz - Diagnose: Kreuzbandriss. Wenig später erscheint ihre Schwester in der Klinik. Plötzlich beginnt eine Diskussion über die Genetik.
Eine 17-jährige Frau stellt sich in einer orthopädischen Ambulanz vor. Sie spielt in einem Basketballteam und hat seit einem Sturz auf das linke Knie starke Schmerzen. Zudem ist es geschwollen. Schon während des Sturzes habe sie einen kleinen Knall gehört und eine sofortige Instabilität im Knie bemerkt.
In der klinischen Untersuchung finden die Ärzte einen kleinen Erguss im Knie und der Bewegungsumfang ist eingeschränkt. Der Lachman-Test ist postitiv; der Valgusstresstest ist zwar schmerzhaft, allerdings ohne mediale Aufklappbarkeit. Im MRT bestätigt sich der erste Verdacht der Ärzte: bei ihrem Sturz hat sich die junge Frau das vordere Kreuzband gerissen sowie eine Verletzung 2. Grades des medialen Kollateralbandes zugezogen. Sofort beginnt sie mit Physiotherapie, um die Schwellung zu reduzieren und den Bewegungsumfang zu verbessern.
Plötzlich Doppelbilder?
Zwei Tage später steht dann plötzlich ihre Schwester in der Klinik - sie sind eineiige Zwillinge. Die Ärzte staunen nicht schlecht, denn sie haben mehr als nur das Erbgut gemeinsam. Oder sehen sie etwa plötzlich alle Doppelbilder? Die Schwester erscheint ebenfalls mit dem Verdacht auf einen Kreuzbandriss. Sie spielt im selben Basketballteam, hat sich ebenfalls das linke Knie verdreht. Es ist instabil und geschwollen. Die klinische Untersuchung ergibt ein ähnliches Bild wie bei ihrer Schwester: ein kleiner Erguss, normaler Bewegungsumfang, positiver Lachman-Test, negativer Valgusstresstest. Also ordnen die Ärzte auch bei ihr eine MRT-Bildgebung an, welche - wie erwartet - einen vollständigen Abriss des vorderen Kreuzbandes zeigt. Auch sie beginnt eine Woche später mit der Physiotherapie.
Aufgrund des jungen Alters der beiden Patientinnen legen die Ärzte ihnen und ihren Eltern eine operative Versorgung der Verletzungen nahe - auch in Hinblick auf ihre sportlichen Aktivitäten. Sie entscheiden sich für die Transplantation einer Sehne der ischiocruralen Muskulatur, welche etwa vier bzw. drei Wochen nach der Verletzung durchgeführt werden. Danach beginnen sie beide die gleiche Physiotherapie. Ohne ersichtlichen Grund entwickelt die zweite Schwester nach sieben Wochen postoperativ eine schmerzhafte Schwellung des Knies, weshalb der Fokus bei ihr von nun an zunächst auf der Reduktion der Schmerzen und der Schwellung liegt. Die erste Schwester beginnt nach etwa 10 Wochen wieder mit Lauftraining; 12 Wochen postoperativ läuft sie bereits dreimal wöchentlich eine Meile und beginnt wieder mit diversen Basketballübungen. Die zweite Schwester beginnt 12 Wochen postoperativ mit dem Lauftraining. Nach einiger Zeit können beide Schwestern mit dem gleichen Ergebnis wieder voll in den Basketballsport einsteigen.
Was bleibt, ist die Frage: War das alles nur ein großer Zufall oder steckt doch ein genetischer Zusammenhang hinter der verblüffenden Ähnlichkeit der beiden Fälle? Innerhalb von 48 Stunden erleiden monozygotische Zwillingsschwestern die gleiche Kreuzbandverletzung. Es sind einige Variablen, die hier eine Rolle gespielt haben dürften: Beide betreiben regelmäßig Sport ohne besondere Verletzungsprävention; einige Studien zeigen jedoch, dass solche spezielle Trainingseinheiten das Risiko für Sportverletzungen signifikant senken.
Zudem befanden sich beide Schwestern im gleichen Abschnitt des Menstruationszyklus - eine mögliche hormonelle Komponente. Frauen haben schätzungsweise ein zwei- bis vierfach so hohes Risiko für Kreuzbandrisse wie Männer, weshalb ein hormoneller Zusammenhang diskutiert wird - wenn auch kontrovers.
Zuletzt sind die beiden Frauen eineiige Zwillinge. Denkbar wären insbesondere anatomische, biomechanische, anthropometrische und neuromuskuläre Ähnlichkeiten, die hier eine erhöhte - so gesehen - genetische Prädisposition für Knieverletzungen bedingen könnten. Allerdings stößt die Forschung hier aktuell noch an ihre Grenzen, da schlichtweg nicht genug Fälle eineiiger Zwillinge mit gleichen Verletzungsmustern berichtet sind. Eine eindeutige Aussage hinsichtlich der Genetik ist also bislang nicht möglich.
Text- und Bildquelle: Pelkowski et al. / Cureus
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