Wer in der Apotheke arbeitet, telefoniert derzeit viel hinterher. Wir erfragen nicht lieferbare Arzneimittel und versuchen, nicht erreichbare Arztpraxen zu kontaktieren. In dieser Zeit könnten wir Kunden helfen. Wir brauchen mehr Handlungsspielraum.
Die Corona-Krise fordert den Apothekern einiges ab. Nicht nur, dass sie den täglichen Anstürmen von verunsicherten Menschen standhalten müssen – sie tun das auch dann noch, wenn die Geschäfte um sie herum bereits schließen müssen.
Apotheken bleiben in jedem Fall geöffnet, da sie zur Sicherung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht ersetzbar sind. Sie sind geöffnet, obwohl der Großteil der Mitarbeiter aus – ja, es ist immer noch so – Frauen besteht, deren Kinder nicht in den Kindergarten oder in die Schule gehen dürfen und eigentlich eine Betreuung bräuchten. Und das auch noch weitgehend ungeschützt, denn kaum einer hat noch Mundschutz oder genügend Desinfektionsmittel für die nächsten Tage und Wochen.
In den sozialen Medien lese ich häufig, dass PTA und Apotheker sich „an vorderster Front“ und „dem Virus ausgeliefert“ fühlen. Angst macht sich breit und auch Wut. Angeklagt wird nicht nur die Politik, sondern auch die Standesvertretung, denn nach der Ansicht vieler hätte die sich um ausreichend Schutzmaterial kümmern müssen. „Wozu melden wir eigentlich jedes Jahr die Anzahl unserer Mitarbeiter, wenn für den Fall eines Falles dann nicht vorgesorgt wird?“, ist eine von vielen Fragen.
Andere haben dagegen ganz klare Forderungen an die Politik. Der Verein „Freie Apothekerschaft e.V.“ forderte den Gesetzgeber am 15.03.2020 auf, die Rabattverträge zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den Pharmaherstellern während der von der WHO ausgerufenen Pandemiezeit außer Kraft zu setzen. Auf der Homepage heißt es:
„Die bereits bestehenden Lieferengpässe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zusammen mit der Corona-Pandemie belasten die Apotheken immens. Der Aufwand und die Personalkosten, die dabei entstehen, Alternativen zu den nicht lieferbaren Arzneimitteln zu beschaffen, stehen in keinem Verhältnis mehr zum Honorar.
Die derzeitige Arzneimittelversorgung, die sich ausschließlich am Preis orientiert, muss umgehend so geregelt werden, dass die Apotheker ohne überbordende Bürokratie und außerhalb der pekuniären Interessen der Krankenkassen die Patienten mit den vorhandenen notwendigen und teilweise lebenswichtigen Arzneimitteln versorgen können.“
Hinter dieser Forderung stehen viele Apothekenleiter, die in dieser Krisenzeit ihre primäre Aufgabe nicht darin sehen, nicht lieferbaren Arzneimitteln hinterherzutelefonieren, nicht erreichbare Arztpraxen anzurufen, Sonder-PZN zu begründen oder bei Herstellerfirmen und Großhändlern Lieferdaten abzurufen. Durch solche Aktionen verlieren wir wertvolle Zeit. Und wir wollen den Menschen helfen, ohne unnötig Zeit zu verlieren.
Sie argumentieren unter anderem damit, dass rabattvertragsbedingt häufig ein zweiter Kontakt mit den Patienten nötig wird, da Medikamente bestellt werden müssen, obwohl sie in gleicher Wirkstärke von anderen Herstellern an Lager wären. So muss entweder der Kunde noch einmal in die Apotheke kommen und sich der Gefahr einer Ansteckung nochmals aussetzen, oder ein Apothekenmitarbeiter muss in der Arztpraxis vorbeigehen um sich das Rezept abändern zu lassen, was dessen Gefahr zu erkranken erhöht.
Diese Forderung wird auch an die Standesvertretungen weitergegeben. Der Inhaber der „Neuen Laubenheimer Apotheke“ in Mainz startete bei Facebook einen Aufruf an die ABDA, in dem es unter anderem heißt:
„Liebe ABDA, steht hinter uns und verschafft uns mehr Handlungsspielraum. Ich bin kein Verkäufer! Ich kenne die Pharmakologie und bin in der Lage im Notfall statt Floxal Gentamcin abzugeben. Ich bin in der Lage, dem Kunden zu sagen, dass er Candesartan 16mg teilen muss, um auf seine 8mg zu kommen, ohne einen Arzt anzurufen. Denkt ihr wirklich, wir bekommen einen Arzt ans Telefon? Ich muss ständig mein Personal zur Praxis schicken und setze damit meine Mitarbeiter der Gefahr aus, sich zu infizieren. Und die Arzthelferinnen haben genug mit den besorgten Patienten am Telefon zu tun. Da müssen sie nicht zweimal das Rezept ausdrucken, weil irgendwas Formelles fehlt oder die Dosis geändert werden muss.“
Währenddessen hat die BAK inzwischen endlich eine Empfehlung zu Arbeitsschutzmaßnahmen aufgrund der Infektionsgefahr durch COVID-19 veröffentlicht. Dort werden unter anderem folgende Punkte gefordert:
1. Entsprechend Einstufung des SARS-CoV-2-Virus in Risikogruppe 3 Entscheidung über Beschäftigungsverbot für Schwangere und Stillende gemäß MuSchG sowie für Jugendliche gemäß JArbSchG treffen
2. Mitarbeiter mit Krankheitszeichen, wie z. B. Fieber, Husten und/oder Atemnot, Schüttelfrost, haben die Tätigkeit abzubrechen und die Symptome ärztlich abklären zu lassen
3. Mitarbeiter in der Offizin auf die notwendige Zahl beschränken
4. Räumlichen Abstand zwischen Mitarbeitern und Patienten wahren; ggf. einfache Barrieren auf Gesicht- oder Körperhöhe, z. B. Plexiglasscheiben, sofern die räumlichen Gegebenheiten das zulassen
5. Ggf. nur eine begrenzte Anzahl Patienten gleichzeitig in die Offizin lassen
6. Allgemeine Maßnahmen zur Hygiene und zum Arbeitsschutz beachten
7. Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen (ergänzende Maßnahmen festlegen)
8. Hautschutz- und Händehygienemaßnahmen (ergänzende Maßnahmen festlegen)
9. Geeigneten Arbeitskittel und Mund-Nasen-Schutz tragen
Woher der Mund- und Nasenschutz allerdings kommen soll, bleibt offen …
Bildquelle: Siavash Ghanbari, Unsplash