Kleiner und sicherer – diese Anforderungen erfüllen neue Herzschrittmacher, glaubt man Herstellern. Welche Vorteile oder Risiken sie langfristig haben, können erst neutrale Studien mit großen Patientengruppen zeigen. Das Zulassungsverfahren birgt noch so manche Tücken.
Technik-Check im Herzen: Bundesweit benötigen über 500.000 Menschen einen Herzschrittmacher; pro Jahr führen Ärzte etwa 100.000 Eingriffe durch. Vom implantierten Gerät führen Elektroden über Venen in die Herzkammern. Trotz vielfältiger Innovationen kommt es bei jedem zehnten Patienten zu Komplikationen: Elektroden lockern sich oder brechen sogar. Sie perforieren den Herzmuskel oder lösen Thrombosen aus. Infektionsrisiken während der OP kommen mit dazu. Grund genug für Hersteller von Medizintechnik, nach drahtlosen Alternativen zu suchen. Zwei aktuelle Beispiele:
Mitte 2015 haben Ärzte am Universitätsklinikum Düsseldorf einem 82-jährigen Mann die erste Kardiokapsel bundesweit implantiert. Ein Micra®-System wurde per Katheter durch die Leistenvene in die rechte Herzkammer vorgeschoben und nahe der Herzspitze im Muskelgewebe verankert. Die Vorteile: Eingriffe mit geringer Belastung, kaum Infektionsrisiken und weniger Narben – Schnitte unter dem Schlüsselbein sind nicht mehr erforderlich. Die Micra®-Kardiokapsel von Medtronic enthält Batterie, Herzmessung und Taktgeber als Einheit. Sie ist lediglich 26 Millimeter lang und hat einen Durchmesser von 6,7 Millimetern. Während bei herkömmlichen Herzschrittmachern die Elektroden dauerhaft der Herzbewegung ausgesetzt sind, arbeitet das neue System kabellos. Seine Spitze berührt die Herzwand, um elektrische Impulse abzugeben. Der Hersteller gibt als Lebensdauer für die Batterien zehn Jahre an. Er unterstützt eine laufende Studie mit bis zu 780 Patienten. Momentan liegen nur Daten von 60 Patienten vor – bei drei Monaten Nachbeobachtungszeit. Erst auf Basis neutraler Untersuchungen mit langem Follow-up wird es Ärzten gelingen, Nutzen und Risiken zu beurteilen.
Das Fazit: Kurze Follow-ups, geringe Patientenzahlen und fehlende Unabhängigkeit vom Hersteller machen es für Kardiologen schwer, Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Weitere Schwachpunkte sind eher genereller Natur: Sowohl die Micra®-Kardiokapsel als auch der Nanostim Leadless™ Pacemaker haben ihr CE-Zertifikat erhalten, was einer europaweiten Zulassung gleichkommt. Dafür sind keine klinischen Studien wie bei Arzneimitteln nötig, sondern nur Materialprüfungen außerhalb des menschlichen Körpers. Etwaige Mängel fallen erst auf, sollten Medizinprodukte im Körper Schäden angerichtet haben. Anders ist die Lage in den USA: Als zuständige Aufsichtsbehörde fordert die Food and Drug Administration (FDA) klinische Daten, wie sie St. Jude Medical jetzt veröffentlicht hat. Kardiokapseln von Medtronic dürfen Ärzte momentan nur in Europa verwenden; ein FDA Approval soll beantragt werden.
Trotzdem zeigen sich manche Gefahren erst im Alltag. Ein Beispiel: Hersteller raten Patienten, Mobiltelefone nur mit einem Sicherheitsabstand zum Device zu tragen – 15 bis 20 Zentimeter sollen ausreichen. Entsprechende Empfehlungen sind mehr als zehn Jahre alt. Münchner Kardiologen haben jetzt die Auswirkungen moderner Smartphones auf 308 Patienten mit Herzschrittmachern oder ICD untersucht. Sie konnten bei 0,3 Prozent aller Messungen eine Abweichung im EKG-Signal nachweisen. Zu kritischen Ereignissen kam es nicht. Trotzdem lautet ihr Ratschlag für Patienten, Handys beispielsweise nicht in der Hemdtasche zu tragen. Arbeiten Monteure mit Herzschrittmacher an Hochspannungsanlagen, kann die Sache durchaus kritisch werden. Medizinprodukte sind im harten Alltag außerhalb von Labor oder Klinik extremen Einflüssen ausgesetzt. Zulassungsverfahren bilden die Realität kaum ab.