Meine Praxis ist viel leerer als sonst zu dieser Jahreszeit. Die meisten Vorsorgeuntersuchungen sind abgesagt. Eine ungewöhnliche Ruhe mitten im Corona-Sturm.
Die Praxis ist leer. Naja, ganz so ist es nicht, aber die fMFA haben alle schiebbaren Termine geschoben, wir machen in den nächsten Wochen keine Vorsorgeuntersuchungen (außer für die U3–U7), keine technischen Untersuchungen wie Seh- oder Hörtests, keine Schulgespräche oder Entwicklungstests, das liegt jetzt alles auf Eis. Impfkinder sind kurz in der Praxis und marschieren direkt von der Anmeldung ins Untersuchungszimmer. Aber durch die Ausdünnung des Terminplaners wollen wir schlicht einen geringeren Publikumsverkehr erreichen und dass sich maximal ein oder zwei Kinder mit einem Elternteil im Wartezimmer (und Abstand) aufhalten.
Natürlich geht es auch um Ressourcen-Schonung für die fMFA und die Ärzte. Wir wissen ja nicht, was demnächst noch kommt. Die Triage der Vorstellung von Kindern habe ich in einem Thread drüben bei Twitter schon geschildert, damit bleibt die Sachlage aktuell überschaubar. Und hoffentlich stecken wir uns im Personal nicht an oder kommen in Quarantäne, weil irgendeiner nebenbei erzählt, er habe ein Paket aus Südtirol angenommen.
Denn das wird perspektivisch das Spannendste werden: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind oder jemand vom Personal c-positiv ist, wir es aber nicht realisieren, wird steigen. Schließlich sind die Empfehlungen zum jetzigen Zeitpunkt noch, dass nur die getestet werden, die Kontakt zu jemandem mit Corona hatten und erkrankt sind, oder die in einem Risikogebiet waren und erkrankt sind. Da Deutschland inzwischen selbst Risikogebiet ist, könnte man die zweite Regel großzügiger auslegen. Aber so viele Tests gibt es beileibe nicht in den Labors. Die sind schon jetzt völlig überlastet. Vielleicht möchte man, also ich, also die Niedergelassenen, auch gar nicht flächendeckend testen, denn das würde ja das Personal einschließen und das wiederum hätte ruckzuck viele Praxen in Quarantäne zur Folge.
Schutzkleidung haben wir weiterhin nicht, auch nicht in der inzwischen dritten Woche nach dem bundesweit 100. positiven Fall. Die vier FFP2-Masken und die vier Schutzanzüge, die wir noch haben, hüten wir weiterhin wie einen Gral, sie „warten“ auf den ersten „Überraschungsgast“, der mit Risikobewertung durch unsere Tür kommt. Auch so ein Witz: Es marschieren tatsächlich immer noch täglich mindestens vier oder fünf Familien ohne Termin in die Praxis, teils mit Säuglingen. Die haben den Schuss auch noch nicht gehört.
Die Kassenärztliche Vereinigung hat immerhin in den letzten Tagen den Bedarf (!) abgefragt, als Hoffender imaginiere ich LKWs voller Schutzkleidung, die nur noch auf Auslieferung an die Praxen warten.
Daher beschäftigte ich mich die letzten zwei Tage mit Mundschutz aus Stoff. Die Firma Trigema aus Baden-Württemberg („produziert nur in Deutschland“) wird ja demnächst 100.000 Stück pro Woche nähen wollen, man kann den Mund-Nasen-Schutz bereits online bestellen. Andere Firmen haben sich angeschlossen. Im Netz existieren bereits vielerlei Nähanleitungen für den Hausgebrauch, besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen.
Da es sich letztendlich um a) wiederverwendbare und b) Textilien handelt, die keinen Filter o.ä. vorschalten, sind diese Mundschutze jedoch nur ein Schutz für andere, d.h. sie halten eben den Rotz oder die Spucke des Trägers ab, Augen und Hände sind nicht geschützt vor dem Anhusten oder den kurzzeitig stehenden Tröpfen von außen. Das muß jedem klar sein. Aber vielleicht hat das Mundschutztragen einen positiven psychologischen Effekt: „Hier, schau, ich mache mir Gedanken. Halte Abstand. Vielleicht bin ich positiv und erkranke erst demnächst oder mein leichtes Kratzen im Hals ist bereits ein Frühysmptom. Ich möchte dich schützen.“
Zurück zur Praxis: So leer ist sie dann doch nicht. Wir sind schließlich weiterhin in der Influenza-Saison, Magen-Darm gibt es hie und da auch und vereinzelte Scharlach-Fälle. Das wollen wir ja nicht vergessen. Mit vierzig bis fünfzig Patienten am Tag behandeln wir zwar die Hälfte der ansonsten Ende März übliche Anzahl, aber so haben wir Zeit für Gespräche. Zur Beruhigung. Zur Aufklärung. Zur Relativierung. Und auch, um Kindern zu erklären, was der Virus ist, wie sie sich schützen können und was überflüssig ist. Die junge Mutter, die vor vier Wochen entbunden hatte, war bisher kein einziges Mal mit dem Säugling spazieren. O-Ton: „Weil da der Virus rumfliegt“. Es gibt Gesprächsbedarf.
Bildquelle: chefkeem, pixabay