Das Telefon klingelt fast ununterbrochen. Desinfektionsmittel und Masken sind Mangelware. Lieferengpässe sorgen für Kopfschmerzen. Rezepturen können nicht schnell genug hergestellt werden. Das ist mein Freitagnachmittag.
Es ist ein Freitagnachmittag. Ich stehe wieder in der Apotheke mit einem weißen Kittel und bequemen Sportschuhen. Von anderen Kollegen höre ich, dass sie im Schichtsystem arbeiten. Bei uns in der Apotheke geht es „normal“ weiter. Masken für die pharmazeutische Beratung? Fehlalarm. Die wenigen, die wir noch haben, brauchen wir für die Rezeptur. Das Gleiche gilt für Desinfektionsmittel. Die haben wir nur für den Eigenbedarf. Kunden, die diese von uns wollen, werden weggeschickt. Wir haben einfach keine. Eigentlich könnten wir solche Lösungen selbst herstellen, wir sind dazu ausgebildet. Doch was nützt uns die Erlaubnis, wenn wir keine Ausgangsstoffe haben?
Immerhin bekommen wir bald Plexigläser für den HV-Tisch. Auch wenn sie uns möglicherweise nicht den ultimativen Schutz bieten, lässt sich durch sie zumindest das Risiko einer Infektion senken.
Die Lage zu den Lieferengpässen war schon vor der Corona-Pandemie nicht amüsant. Immer noch fehlen unter anderem wichtige Blutdrucksenker, Antidepressiva und Antibiotika. Doch der neue Renner ist Paracetamol. Eine verwirrende WhatsApp-Nachricht suggerierte kürzlich einen Zusammenhang zwischen Ibuprofen und einem schwereren Verlauf von COVID-19. DieWeltgesundheitsorganisation (WHO) warnte danach vor einer Einnahme von dem Schmerzmittel. Dass die Warnung jedoch zurückgenommen wurde, interessiert viele Patienten nicht, auch wenn wir sie dahingehend aufklären.
Mittlerweile meinen viele, plötzlich Paracetamol zu brauchen und sich damit eindecken zu müssen, unabhängig von Vorerkrankungen und Kontraindikationen. Gefühlt jede zweite oder dritte Frage in der Apotheke lautet an jenem Nachmittag: „Ich möchte Paracetamol-Tabletten“. Andere Darreichungsformen wie Suppositorien und Granulat zum Auflösen scheinen nicht sehr beliebt zu sein. Also ich würde im Notfall keinen Unterschied machen. „Nein, ich möchte Tabletten!“, bekomme ich mehrmals auf Nachfrage sehr bestimmt zu hören. Paracetamol in der Dosierung für Erwachseneist unserer Apotheke nun auch ausverkauft. Wann wir die nächste Lieferung bekommen werden, ist nicht genau zu sagen. „Voraussichtlich nächste Woche“, zitiert meine Kollegin den Großhändler.
Der Ernst der Lage scheint bei allen Kunden mehr oder weniger angekommen zu sein, fast alle halten Abstand zueinander und treten nur einzeln oder erst nach Aufforderung ein. In den paar Stunden in der Apotheke habe ich bemerkt, dass keiner das Wort Coronavirus ausspricht, obwohl sich fast alles nur noch darum dreht. Vor ein bis zwei Wochen sah die Situation noch ganz anders aus.Fieber ist einer der Symptome für Covid-19. Wahrscheinlich deshalb sind auch Fieberthermometer derzeit sehr begehrt bei uns. Meine Beobachtung: Keiner hat Fieber, es ist meistens „nur“ für die Hausapotheke. Ich habe einen Kunden zu seinem Husten beraten und wollte wissen, ob er einen trockenen oder schleimigen Husten hat, um ihm das richtige Präparat zu empfehlen. Er hat dreimal betont, dass er kein Fieber habe. Dabei wollte ich das gar nicht wissen. Beim letzten Mal schaute er mir tief in die Augen: „Ich habe kein Fieber!“. Ok, die Nachricht ist angekommen. Ich verstehe ihn, denn keiner will derzeit als Corona-Infizierter da stehen.
Die PKA sind damit beschäftigt, den Großhändlern hinterher zu telefonieren, das Lager zu füllen und sich um die vielen Sendungen zu kümmern. Das Telefon klingelt fast ununterbrochen, wir kommen gar nicht hinterher, alle Anrufe entgegenzunehmen. Außerdem sind wir mitten im Umbau: DieSchubladen sind raus-, der Kommissionierautomat ist reingekommen. Zudem arbeiten wir auch mit einer neuen Computersoftware, die manchmal Fragen aufwirft. Dadurch gehen einzelne Prozesse langsamer von statten, aber die Kunden sind derzeit geduldiger als sonst. Angefangene Erledigungen müssen wir mehrmals unterbrechen oder sogar komplett abbrechen, weil das Kundenaufkommen sehr hoch ist. Zwischendurch Wasser trinken? Fast unmöglich. Der Arbeitstag zerrt sehr an den Kräften.
Die Herstellung von Arzneimitteln gehört zu unseren Kernkompetenzen.Doch dafür fehlen nun schlichtweg die Kapazitäten. Wir wissen nicht, was wir zuerst machen sollen. Normalerweise müssen wir Verordnungen in „angemessener Zeit“ beliefern. In der Realität sieht es derzeit so aus, dass Patienten derweil von Apotheke zu Apotheke laufen, um jemanden zu finden, der ihre vom Arzt verordnete Rezeptur zeitnah herstellt. Am frühen Samstagmorgen hat mich dann die Nachricht erreicht, dass bislang Unbekannte den Geldautomaten direkt neben unserer Apotheke gesprengt haben. Das Apotheken-A kam zwar zu Schaden, doch das hindert uns nicht daran, zu öffnen.
Wir sind weiterhin an der Front! Haltet durch, liebe Kollegen!
Bildquelle: Nikhil Mitra, unsplash