Wird ein COVID-19-Patient beatmungspflichtig, sind seine Überlebenschancen nach derzeitiger Studienlage schlecht. Auch wer überlebt, muss mit Folgeschäden rechnen.
In Italien mussten bisher fast 10 % der positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Patienten auf Intensivstationen aufgenommen und maschinell beatmet werden. In Straßburg ist die Lage laut eines Berichts des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin (DIFMK) ähnlich dramatisch. Wie der Tagesspiegel berichtet, werden dort Patienten über 80 nicht mehr beatmet, weil schlicht die Beatmungsplätze fehlen. In Deutschland bereiten sich die Kliniken auf ähnliche Szenarien vor. So soll insbesondere die Zahl der Beatmungsgeräte aufgestockt werden. Auf der Beatmung ruhen zur Zeit viele Hoffnungen - aber ist ihre therapeutische Bilanz so gut wie ihr Ruf?
Bei schwereren Verläufen einer SARS-CoV-2-Infektion entwickeln Patienten oft eine interstitielle Pneumonie. Mit fortschreitender Infektion wird immer mehr Lungengewebe involviert, was zu einer zunehmenden Dyspnoe führt. Fällt die Sauerstoffsättigung im Blut zu weit ab, muss beatmet werden.
Empfohlen wird eine SpO2 ≥ 90 %. Normalerweise würde man versuchen, die adäquate Oxygenierung über nichtinvasive Methoden zu erreichen, denn das ist die schonendere Variante der Beatmung.
Vom Einsatz nichtinvasiver Methoden (NIV), etwa der Anwendung einer High-flow-Sauerstofftherapie (HFNC) über Brille, Maske oder Beatmungshelm, wird bei COVID-19-Patienten aber abgeraten. Der Grund: Meist reicht sie nicht aus, um eine suffiziente Sauerstoffsättigung zu erzielen. Zudem führt die Anwendung zur Aerosolbildung und erhöht damit die Ansteckungsgefahr für das medizinische Personal. „Insgesamt sollte daher die Indikation für HFNC/NIV bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz im Rahmen von COVID-19 eher zurückhaltend gestellt werden“, heißt es dazu in der aktuellen Leitlinie.
Intensivmediziner Silvio Ñamendys-Silva führt noch einen weiteren Grund an, warum Ärzte von dieser Methode absehen sollten. So erklärt er im Lancet, dass die grundlegende Pathophysiologie der schweren viralen Pneumonie das akute Atemnotsyndrom (ARDS) sei. Bei COVID-19 tritt ARDS mit schwerer Hypoxie in 17 bis 29 % der hospitalisierten Fälle auf.
Eine nichtinvasive Beatmung, so Ñamendys-Silva, könne zwar vorübergehend die Sauerstoffzufuhr verbessern und die Atemarbeit dieser Patienten reduzieren. „Diese Methode verändert jedoch nicht unbedingt den Krankheitsverlauf“, so der Intensivmediziner. Doch sind die Aussichten auf Heilung bei invasiver Beatmung besser?
Wenn COVID-19-Patienten erst einmal beatmet werden müssen, ist ihre Prognose eher trübe. In einer Studie mit 52 COVID-19-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, belief sich die Mortalität der Patienten unter invasiver Beatmung auf ganze 86%. Von den Patienten, die nichtinvasiv beatmet wurden, starben 78%.
Dass gleiche Bild zeichnen Studienergebnisse aus den USA. Hier untersuchten Mediziner 22 Patienten in kritischem Zustand. 15 von ihnen entwickelten ein ARDS und mussten mechanisch beatmet werden (71%). Die Mortalität lag bis zum Ende des Untersuchungszeitraums in der Gesamtkohorte bei 67%.
Die Beatmung kann also wahrscheinlich den Verlauf von COVID-19 in schweren Fällen nur bei einem 1/4 bis einem 1/3 der Patienten beeinflussen. Befinden die die Patienten - gemessen am APACHE-II- oder SOFA-Score - in einem kritischen Zustand, ist ihre Prognose trotz High-Tech-Medizin schlecht. Ein Grund mehr, noch intensiver nach einer pharmakologischen Lösung zu suchen oder häufiger in die immunologische Trickkiste (z.B. Rekonvaleszentenserum) zu greifen - auch wenn die Evidenz nur anekdotisch ist.
Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass die Patienten wieder vom Beatmungsgerät entwöhnt werden müssen. Je länger die invasive Beatmung dauert, desto schwieriger ist das sogenannte Weaning. Das gilt auch für COVID-19-Patienten, da viele von ihnen über mehrere Tage beatmet werden müssen.
Laut eines britischen Berichts waren COVID-19-Patienten im Median 5 Tage beatmungspflichtig. Aus Straßburg hört man andere Zahlen. Laut des eingangs erwähnten Berichts des DIFMK beträgt die Beatmungsdauer zwischen 14 und 21 Tagen. Die Entwöhnung der Patienten habe sich als insgesamt schwierig herausgestellt. Bei dem kleinsten Hustenreiz sei eine sofortige Reintubation nötig.
Selbst wenn ein Patient den langen Aufenthalt auf der Intensivstation überlebt, ist von Folgeschäden und einer Einschränkung der Lebensqualität auszugehen. Dabei kommen Lungenschäden zum Tragen, die nicht durch das Virus, sondern durch die Beatmung selbst ausgelöst werden.
Eine Komplikation der Beatmung sind die beatmungsassoziierten Lungenschäden, kurz VILI für "ventilator-induced lung injury". Sie entstehen unter anderem dadurch, dass durch die Entzündung des Lungengewebes bei der Beatmung viel Druck notwendig ist, damit der Sauerstoff im Blut des Patienten ankommt. Diese Dauerbelastung ist für das empfindliche Lungengewebe schädlich.
Diese Komplikation ist bei Patienten mit ARDS besonders häufig. Es ist daher davon auszugehen, dass insbesondere auch COVID-19-Patienten davon betroffen sind. Verlässliche Zahlen finden sich dazu bisher nicht.
Auch mit Einschränkungen der Lebensqualität ist zu rechnen. 525 Patienten, die im Follow-Up einer Studie untersucht wurden, wiesen nach einem ARDS eine signifikant schlechtere Lebensqualität nach 6 und 12 Monaten auf als eine Normpopulation. Patienten leiden oft unter auf der Intensivstation erworbenen Muskelschwäche, Depression und Angststörungen.
Selbst nach der Entlassung von langzeitbeatmeten Intensivpatienten ist die Sterblichkeit hoch. Die Autoren einer Meta-Analyse untersuchten insgesamt 6.616 Patienten mit unterschiedlichen Krankheiten, die länger als 14 Tage beatmet wurden oder als Folge eines akuten Lungenversagens tracheotomiert werden mussten. Ein Jahr nach Krankenhausentlassung verstarben mehr als die Hälfte der Patienten (58 %).
Die geplante massenhafte Nutzung der Beatmung bei COVID-19 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Methode nur ein Notnagel ist.
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