Wir begleiten die Behandlung eines Patienten, der sich vor mehreren Tagen in der Notaufnahme einer Münchner Klinik vorstellte – mit progredienter Dyspnoe sowie hohem Fieber (39,5 °C). CT-Bilder von Tag 1 und 5 sind zur Ansicht dabei.
Das „severe acute respiratory syndrome“ Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) verursacht die Erkrankung COVID-19 (für „corona virus disease 2019”) und breitet sich derzeit pandemisch aus [1]. Insbesondere ältere und immunkompromittierte Patienten weisen einen teils schweren und u.U. tödlichen Krankheitsverlauf auf. Die Sterblichkeit bei getesteten Patienten variiert derzeit von ca. 0,5 % für Deutschland bis zu 10 % für Italien und spiegelt damit auch die starke Unsicherheit verlässlicher Daten wider [3].
Publikationen mit für Behandler wichtigen Hinweisen und klinischen Angaben beschränken sich derzeit hauptsächlich auf Fallsammlungen [2]. Daher ist es aktuell von Bedeutung, Behandlungserfahrungen rasch und detailliert zu teilen, um eine bestmögliche Behandlung für COVID-19 Patienten zu erzielen.
Fallbeschreibung
In dem vorliegenden Fall berichten wir von der Behandlung eines 45-jährigen Patienten, der sich am 18.03.2020 (TAG 1) in unserer Notaufnahme mit progredienter Dyspnoe sowie hohem Fieber (39,5 °C) vorstellte. Er berichtete über trockenen Husten sowie Abgeschlagenheit. Die Symptome bestünden seit 4 Tagen. Synkopen, Gliederschmerzen, AP-Beschwerden oder gastrointestinale Symptome wurden verneint. Der Patient war 2004 aufgrund von Schrumpfnieren nierentransplantiert worden.
Seitdem bestand eine Immunsuppression, zuletzt mit Mycophenolatmofetil. Desweiteren bestanden ein arterieller Hypertonus sowie eine Hypercholesterinämie.
Bei einem Arbeitskollegen des Patienten war 6 Tage zuvor der Nachweis einer SARS-CoV2-Infektion erfolgt.
Im körperlichen Untersuchungsbefund präsentierte sich der Patient in reduziertem Allgemeinzustand, 180 cm, 90 kg, tachykard (115/min), tachypnoeisch (24/min), febril (38,4 °C). Die pulmonale Auskultation blieb ohne pathologischen Befund.
Arterielle BGA: pH 7,45, HCO3- 21,7 mmol/l, pCO2 31,3 mmHg, pO2 68,5 mmHg, Laktat 0,5 mmol/l
Labor: LDH 346 U/l; Troponin T <0.013 ng/ml; CRP 1,8 mg/dl; Procalcitonin <0,1 ng/ml; D-Dimer 0,6 µg/ml; IL-6 15,4 pg/ml; Ferritin 431 ng/ml; Lymphozyten 1,18 G/l; Eosinophile <0,01 G/l
Wir führten eine HR-CT Untersuchung am Aufnahmetag durch. In dieser zeigten sich prädominant peripher lokalisierte, landkartenartig konfigurierte Milchglastrübungen des Lungenparenchyms in nahezu allen Segmenten. Keine Pleuraergüsse, keine Bronchialwandverdickungen sowie keine Lymphadenopathie.
Die Befunde passten in das radiographisch breite und überlappende Spektrum der atypischen, viralen Pneumonien. Hierunter sind die Befunde jedoch anhand der aktuellen Literatur typisch für eine Pneumonie im Rahmen von COVID-19 zu werten [4, 5, 6].
Das CT kann interaktiv betrachtet werden.
Quelle: EasyRadiology
Zur Erklärung: Der Viewer enthält beide Untersuchungen vom 19.03.2020 (in der Nacht vom Aufnahmetag) und vom 23.03.2020 (Tag 5), die man in der unteren Leiste auswählen kann).
Aufgrund des klinisch hochgradigen Verdachts auf eine SARS-CoV2-Infektion erfolgte die unmittelbare Aufnahme auf die Überwachungsstation.
Zur Abschätzung der Prognose wurden der MuLBSTA-Score sowie der Charlson-Komorbiditätsindex für Viruspneumonien verwendet. Hierbei ist zu beachten, dass der MuLBSTA-Score zwar für virale Pneumonien verwendet wird, aber nicht spezifisch für COVID-19-Pneumonien validiert ist.
MuLBSTA-Score [8]: 7 Punkte, niedriges Risiko mit 90-Tage-Mortalität von 3.93 %.
Charlson-Komorbiditätsindex [9]: 3 Punkte mit einem 10-Jahres-Überleben von 77 %
Aufgrund der Immunsuppression erfolgte eine empirische antiinfektive Therapie mit Moxifloxacin. Unter 2-4 l/min O2 über Nasenbrille war der Patient allzeit respiratorisch stabil bei einer peripheren Sauerstoffsättigung (sO2) von 95 %.
Der bei Aufnahme durchgeführte Nasen-/Rachen-Abstrich erbrachte an Tag 2 den Nachweis einer SARS-CoV2 Infektion.
In den Tagen 2-5 zeigten sich leicht ansteigende Infektionsparameter, klinisch war der Patient jedoch jederzeit kardiopulmonal stabil, so dass am Tag 5 die Verlegung auf die Normalstation erfolgen konnte. Hier wurde die Antibiotikatherapie mit Moxifloxacin beendet. Der Sauerstoffbedarf lag bei 2 l/min. Im Verlauf entwickelte der Patient Fieber mit bis zu 39,5 °C, dass auch mit antipyretischen Medikamenten nur insuffizient kontrollierbar war.
Es kam zu einem deutlichen Anstieg der Infektionsparameter mit einem CRP 10,8 mg/dl (< 0,5 mg/dl), Procalcitonin 0,3 ng/ml und IL-6 101 pg/ml. Bei nun auch positivem Procalcitonin wurde aufgrund einer möglichen bakteriellen Superinfektion eine antiinfektive Therapie mit Piperacillin/Tazobactam eingeleitet. In der durchgeführten HRCT-Kontrolle zeigten sich deutlich progrediente, weitflächige Milchglastrübungen nun mit Beteiligung aller Lungensegmente.
Peripher fielen insbesondere dorsal betont auch erste Lungenareale mit beginnender Konsolidierung auf. Keine Pleuraergüsse, Bronchialwandverdickungen oder Lymphadenopathie. Dieser Verlauf ist ebenfalls in der Literatur beschrieben [4, 7].
Im erneuten Fieberschub kam es in der Nacht von Tag 6 auf Tag 7 zu einer Episode mit Tachypnoe, Tachykardie und erhöhtem Sauerstoffbedarf von bis zu 6 l/min via Maske, so dass die Rückverlegung auf die Überwachungsstation erfolgte.
An Tag 8 lag das CRP beim Maximum von 29 mg/dl (< 0,5 mg/dl) und Procalcitonin bei 1,1 (< 0,1). Der klinische Zustand war stabil. Am Tag 9 kam es zu einem deutlichen Abfall der Infektionsparameter (CRP 18, Procalcitonin 0,9). Die LDH stieg jedoch auf 634, ebenso das Ferritin auf 2560 (30-400 ng/ml). Auffallend war auch ein sehr hohes Fibrinogen von > 900 (210-400) mg/dl, eine Erhöhung der Transaminasen und ein kontinuierlich erhöhtes IL-6. Es bestand eine relative Lymphopenie von 12 % (19-48 %). Der Patient benötigte mehr O2, war aber kardiopulmonal stabil.
Am Tag 10 kam es zu einer zunehmenden respiratorischen Erschöpfung bei einer AF von 35/min mit steigendem O2-Bedarf und einem pO2 von 90 mmHg, so dass die Verlegung auf die Intensivstation erfolgte. Im Tagesverlauf wurde der Patient intubiert und beatmet.
Am Tag 13 (30.03.2020) ist der Patient weiterhin beatmet, allerdings ist das Ferritin auf 1650 ng/ml gefallen, CRP bei 15 mg/dl, LDH 35 U/l. Die Lymphozyten lagen nun bei 1.500/µl.
Diskussion
Der vorliegende Fall ist in mehreren Aspekten typisch für eine COVID-19-Erkrankung mit schwerem Verlauf. Unser Patient zählt aufgrund der Immunsuppression und einer chronischen Nierenerkrankung zur Risikogruppe, die bei ca. 50 % der Patienten einer kürzlich publizierten Fallsammlung von 21 COVID-19-Patienten in USA vorlag [2], wobei chronische Nierenerkrankungen in größeren Fallsammlungen aus China kein relevanter Risikofaktor war.
Stattdessen war der relevanteste Risikofaktor und stärkste negative Prognoseparameter die arterielle Hypertonie [8, 9]. Eine Assoziation zwischen schlechter Prognose bei Hypertonie und der Einnahme von ACE-Hemmern wird diskutiert.
COVID-19 beginnt eher schleichend im Gegensatz zur Influenzagrippe. Bei der Erstuntersuchung von Patienten mit schwerem Verlauf sind erniedrigte Lymphozyten (absolut < 1000/µl), eine erhöhte LDH, erhöhtes CRP und ein überhöhtes IL-6 auffallend. Ebenso sind bei 95 % der Patienten im CT-Thorax retikuläre Zeichnungsvermehrungen und/oder Milchglastrübungen zu erkennen [2, 8].
Aus unserer kurzen Erfahrung mit COVID-19-Patienten scheinen sich einige Empfehlungen für die Behandlung herauszukristallisieren. Patienten mit beginnender Dyspnoe sollten frühzeitig stationär aufgenommen werden, da eine Verschlechterung rasch eintreten kann und die ggf. noch vorhandene Leistungsfähigkeit des Patienten über den tatsächlichen arteriellen pO2 und damit über die Mangeloxygenierung hinwegtäuschen können. Infektiologen wird eine solche Diskrepanz von Leistungsfähigkeit und pO2 von PCP-Infektionen bei AIDS-Patienten bekannt sein.
Daher empfiehlt sich auch der großzügige Einsatz der arteriellen Blutgasanalyse, weil diese im Kontrast zur peripher gemessenen sO2 liegen kann. Bei unserem Patienten lag die sO2 noch bei 92 %, während pO2 arteriell schon auf 52 mmHg abgefallen war.
Erneute klinische Verschlechterung im Verlauf
Neu auftretende Fieberschübe oder ansteigendes Procalcitonin, welches meist nicht erhöht zu sein scheint, sollten Anlass zur intensivmedizinischen Überwachung, Abnahme von Blutkulturen und Beginn einer empirischen antibiotischen Therapie geben. Ebenso können CT-Thorax-Untersuchungen auch im Verlauf helfen, um zwischen Virus- und bakterieller Pneumonie unterscheiden zu können.
Die respiratorische Erschöpfung des Patienten an Tag 10 nach stationäre Aufnahme - trotz vorheriger Besserung - könnte mit dem zweigipfligen Verlauf einer Viruspneumonie zusammenhängen. Dabei entstehen die ersten Erkrankungssymptome durch direkte Schädigung der Pneumozyten durch das Virus und durch die Entzündungsreaktion mittels angeborener Immunität. Nach mehreren Tagen bildet sich die erworbene Immunität und kann durch massive T-Zell- und B-Zell-Infiltrate der Lunge den Gasaustausch empfindlich stören, was zu einer erneuten Verschlechterung des Patienten führen.
Aufgrund der starken Zunahme von COVID-19-Fällen in Europa und USA werden wir in Kürze mehr klinische Daten erhalten, die hoffentlich zu einer rasch verbesserten und gezielteren Diagnostik und Therapie von COVID-19 führen werden.
[1] World Health Organization. Coronavirus disease 2019 (COVID-19): situation report 44. Published March 4, 2020. Accessed March 16, 2020. https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200304-sitrep-44-covid-19.pdf?sfvrsn=783b4c9d_2
[2] Matt Arentz, MD1; Eric Yim, MD2; Lindy Klaff, MD2; et al Sharukh Lokhandwala, MD, MSc2; Francis X. Riedo, MD2; Maria Chong, MD3; Melissa Lee, MD2
JAMA. Published online March 19, 2020. doi:10.1001/jama.2020.4326
[3] https://experience.arcgis.com/experience/685d0ace521648f8a5beeeee1b9125cd
[4] Shi, H., et al. (2020). "Radiological findings from 81 patients with COVID-19 pneumonia in Wuhan, China: a descriptive study." The Lancet Infectious Diseases.
[5] Ai, T., et al. (2020). "Correlation of Chest CT and RT-PCR Testing in Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) in China: A Report of 1014 Cases." Radiology: 200642.
[6] Bai, H. X., et al. (2020). "Performance of radiologists in differentiating COVID-19 from viral pneumonia on chest CT." Radiology: 200823.
[7] Wang, Y., et al. (2020). "Temporal Changes of CT Findings in 90 Patients with COVID-19 Pneumonia: A Longitudinal Study." Radiology: 200843.
[8].Guo L, Wei D, Zhang X, Wu Y, Li Q, Zhou M, et al. Clinical Features Predicting Mortality Risk in Patients With Viral Pneumonia: The MuLBSTA Score. Front Microbiol. 2019;10:2752.
[9] Tominaga T, Nonaka T, Takeshita H, Kunizaki M, Sumida Y, Hidaka S, et al. The Charlson Comorbidity Index as an Independent Prognostic Factor in Older Colorectal Cancer Patients. Indian J Surg. 2018;80(1):54-60.
Wir danken den Autoren:
Kathrin Heinrich, Michael S. von Bergwelt-Baildon, Martin R. Weihrauch, Wolfgang G. Kunz