Ein Hersteller von Motorrad-Airbags hat ein Schutzsysteme für ältere Menschen entwickelt. Da einige Stürze unvermeidbar sind, sollen zumindest die oft damit verbundenen Hüftgelenksfrakturen verhindert werden. Ist der Airbag für den Körper eine gute Idee?
Vier bis fünf Millionen ältere Menschen stürzen Jahr für Jahr in Deutschland. Die häufige Folge sind Frakturen. „Derzeit werden jährlich etwa 140.000 ältere Menschen in Deutschland deswegen behandelt“, schätzt Professor Dr. Clemens Becker auf Anfrage von DocCheck. Um speziell Schenkelhalsfrakturen zu vermeiden, hat das Unternehmen Helite das erste tragbare Airbag-Schutzsystem entwickelt. Handelt es sich hierbei eher um eine skurrile Idee oder ist es tatsächlich eine sinnvolle Prävention?
Senioren tragen das aus leichten Kunststoffmaterialien gefertigte System um ihre Hüften. In dem Gürtel befindet sich auf beiden Seiten je ein Airbag nebst Elektronik. Erkennt das intelligente System per Bewegungsanalyse, dass ein Sturz droht, werden beide Airbags innerhalb von 0,2 bis 0,25 Sekunden mit Kohlendioxid gefüllt – also noch deutlich vor dem Aufprall. Sie schützen so die besonders gefährdeten Hüftbereiche. Helite entwickelte ursprünglich Schutzsysteme für Motorradfahrer, nimmt sich aber jetzt auch des wachsenden Marktes in der Altenpflege an. In den USA kostet der Gürtel 800 Dollar. Herstellerangaben zufolge werden 90 Prozent der Energie eines Aufpralls durch die Airbags absorbiert. Beim normalen Hüftprotektor, der eher gepolsterter Unterwäsche gleicht, sind es angeblich nur 10 Prozent. Studien dazu gibt es momentan aber nicht.
DocCheck bat Professor Becker um eine kurze Einschätzung. Er ist Chefarzt der Klinik für Geriatrische Rehabilitation des Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. „Airbagsysteme für die Hüfte, den Kopf oder andere Körperregionen wurden in den vergangenen zehn Jahren immer wieder vorgeschlagen“, so der Experte. „Das Problem dabei ist die Erkennung des Sturzes während der Fallphase. Hierfür wurden Algorithmen entwickelt.“ Becker ergänzt: „Die Fallerkennung ist – anders als die Aufprallerkennung – extrem schwierig, da im Alltag sehr ähnliche Bewegungen auftreten können, die dann zu einem falschen Alarm führen.“ Er berichtet von weiteren Experimenten aus Japan, Frankreich und aus den USA. Viele Experimente seien mit jungen Personen ausgeführt worden. Die Übertragung auf die Bewegungsabläufe älterer Menschen sei bislang immer gescheitert, erklärt der Arzt. Er fordert, Produkte unter Alltagsbedingungen zu testen. Das sei bislang aber noch nicht der Fall.
Becker zufolge gelingt es mit Präventionsprogrammen wie Trainings, 20-30 Prozent der Stürze älterer Menschen zu verhindern. Osteoporosemedikamente können etwa 40 Prozent der Frakturen abwenden. Mitte der 90er Jahre wurden bereits Hüftprotektoren entwickelt, die mehr als 50 Prozent der Hüftfrakturen vermeiden könnten. Auch die Cochrane Collaboration sieht darin eine sinnvolle Maßnahme. „Das Hauptproblem liegt in der mangelnden Tragebereitschaft älterer Menschen“, konstatiert der Experte abschließend.