Abstandhalten ist das Gebot der Stunde. Das betrifft auch die Arbeit deutscher Ärzte. Die Telemedizin ist jetzt unsere große Chance.
Bücher oder Kleider im Internet zu bestellen ist längst nichts Außergewöhnliches mehr. In Zeiten der COVID-19-Pandemie scheinen außerdem immer mehr Menschen den Online-Versand von Speisen und Lebensmitteln für sich zu entdecken. Greift dieser Trend jetzt auch auf die Medizin über und verhilft der sonst oft so verhassten Telemedizin zum Aufstieg?
Anlass und Möglichkeiten gibt es derzeit genug. Patienten fürchten die Ansteckungsgefahr im Wartezimmer und die Reduzierung von menschlichen Kontakten ist ohnehin das Gebot der Stunde. Was liegt also näher, als Sprechstunden im Videoformat anzubieten? Den Bedarf haben einige Entwickler bereits erkannt. So bietet unter anderem die schwedische Telemedizin-Plattform Kry eine entsprechende App an. Laut Website des Unternehmens ist die Nutzung des Angebots für Patienten mit COVID-19-Symptomen derzeit kostenlos. „Um das Gesundheitssystem in Deutschland zu unterstützen, bieten wir für alle Patienten mit COVID-19-Syptomen kostenfreie Video-Sprechstunden an“, heißt es auf der Website.
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Ein ähnliches Angebot gibt es aktuell auch bei DocCeck Help: Hier werden noch bis zum 5. April jeden Tag drei Gutscheine für eine kostenlose Beratung vergeben. Bei DocCheck Help findet man neben Ärzten auch Hebammen und Veterinärmediziner. Per Chat kann man dann jederzeit Fragen stellen.
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Kassen und Berufsverbände haben inzwischen auf Umstellungen im Bereich Patientenkontakt reagiert und empfehlen die Videotelefonie zum Beispiel in entsprechenden Leitfäden für die Behandlung von Schmerzpatienten und für freiberufliche Hebammen (DocCheck berichtete). Die Grundlage zur Abrechnung solcher Gespräche wurde bereits vergangenen Oktober, im Rahmen der Maßnahmen zur Förderung der Videosprechstunde, aktualisiert.
Die Abrechnung erfolgt laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) über die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale. Allerdings werde diese Pauschale nebst Zuschlägen nur dann gezahlt, wenn im selben Quartal auch ein persönlicher Kontakt zum Patienten erfolgt, andernfalls stehen Kürzungen an. Die Frage ist, ob und wie sich diese Regelung den aktuellen Gegebenheiten anpassen muss.
Ein weiterer Anwendungsbereich der Telemedizin ist die ärztliche Arbeit von zuhause aus. So stellte zum Beispiel mbit, eine Ausgründung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), vor kurzem die App mRay vor (DocCheck berichtete). Damit können Klinikärzte sich schnell austauschen und radiologische Bilder auch ohne Zugang zum Arbeitsplatz befunden.
Dr. Martin Weihrauch, Onkologe und IT-Experte, hat ebenfalls eine Software entwickelt, mit der Home Office für Ärzte möglich wird. Pathologen können sich mit PathoZoom ihr Labor über mobile Endgeräte nach Hause holen – „und zwar unter Berücksichtigung aller Datenschutz- und Berufsausübungsregeln“, so Weihrauch.
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Die Telekom will unterdessen die Arbeit von Labors in Deutschland ebenfalls mithilfe einer App erleichtern. Darüber soll die zeitintensive Befragung von potenziellen COVID-19-Patienten abgekürzt werden. Sobald das Testergebnis eines Patienten nach Probenentnahme beim Hausarzt vorliegt, könnten teilnehmende Labors das Ergebnis anonymisiert in die zur App gehörende Cloud laden. Der Getestete muss somit nicht lange warten, Ärzte und Praxen sparen Zeit, die für Telefonate, Faxe oder Gespräche benötigt worden wäre.
Auch das Arzt-Patienten-Portal Jameda verzeichnet seit Beginn der COVID-19-Pandemie einen deutlichen Anstieg an Videosprechstunden und Ärzten sowie Psychotherapeuten, die diese anbieten, berichtet Gründerszene. Florian Weiß, CEO des Portals, ist sich sicher, dass Ärzte erst jetzt richtig die Vorzüge der Telemedizin kennenlernen: „Ärzte sehen, dass es ganz normal ist, mit einem Patienten über das Internet zu sprechen, dass es sicher ist und in den Workflow passt.“
Ob das auch noch gilt, wenn der Workflow sich nach der Corona-Krise wieder geändert hat, bleibt abzuwarten.
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